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„Für nichts als Componieren!“

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Eigentlich steht er noch mit 206 Gulden bei der Gemeinde Wien in der Kreide. Aber die Gemeindeväter haben wohl diskreterweise darauf vergessen. Denn eintreiben können sie die Summe ohnedies nicht mehr. Er wäre zwar heute längst ein steinreicher Mann, die Tantiemen, die er allein durch die Konzerte zwischen New York, London, Wien und Tokio bekäme, gingen in die Millionen, um von den Platten gar nicht zu reden. Aber der Schuldner, Franz Schubert, ist bereits vor geraumer Zeit verstorben. Am 19. November vor genau 150 Jahren. Und aus dem Nachlaß war damals nichts herauszuschlagen.

Das geht jedenfalls aus der „Sperrrelation Todtenfall Schubert“ im Wiener Stadtarchiv hervor. Die Hinterlassenschaft war karg. Das Beste davon noch „drei tücherne Fräcke, drei Gehröcke und ein Leintuch“. Außerdem alte Musikalien, die man damals auf 10 Gulden schätzte (internationale Bibliotheken würden heute dafür Millionen zahlen). Wert alles in allem 63 Gulden, denen für Krank-heits- und Leichkosten 269 Gulden als Schuld gegenüberstanden. Der Bericht fragt außerdem, „ob Bücher in der Verlassenschaft vorhanden und ob dieserwegen die Anzeige sogleich nach der Sperre an das k. k. Bücherrevisions-Amt geschehen sei? Keine vorhanden“. Schubert, der stets Bücher bei der Arbeit um sich hatte, dürfte sie wohl schon vorher dem Freund Schober gelassen haben, wenn der Bruder Ferdinand sie nicht überhaupt an sich genommen hatte.

So arm war er, der Komponist, als ihn - nach Ansicht der Zeit - ein „Nervenfieber“ nach einer Fischvergiftung hinwegraffte (eigentlich war es Bauchtyphus, der damals in Wien neben Ruhr und Lungentuberkulose grassierte und zum Beispiel einen Bevölkerungsrückgang um fast 8 Prozent bewirkte). Still, bescheiden, verschüchtert lebte er, vereinsamt starb er im Haus seines Bruders Ferdinand, Kettenbrückengasse 6 (damals Firmiansgasse 694). Am 18. hatte er noch seinen Bruder kommen lassen und klagte, warum man ihn „in einem seltsamen Zimmer“ hielte. „Ich beschwöre Dich, mich in mein Zimmer zu schaffen, nicht da in diesem Winkel unter der Erde zu lassen; verdiene ich denn keinen Platz über der Erde?“ Und als Ferdinand ihn beruhigte, behauptete er: „Nein, es ist nicht wahr, hier liegt Beethoven nicht!“ Auf den Grabstein ließ Grill-parzer ihm die Worte setzen: „Der Tod begrub hier einen reichen Besitz, aber noch schönere Hoffnungen“. Auf dem Währinger Friedhof setzte man ihn neben Beethoven bei, dem er in allem nacheiferte, unter dessen Größe er aber, immer wieder aufbegehrend, gelitten hatte.

Es dauerte Jahrzehnte, bis man das Werk des rasch Vergessenen wieder entdeckte. Gewiß, der Verleger Dia-belli hatte manche seiner Werke, Lieder, Klavierstücke und anderes, für 2400 Gulden gekauft. Aber auch bei ihm blieben viele Meisterwerke in der Lade liegen und manche dieser Stücke holte erst wieder Diabellis Nachfolger Spina hervor.

1838 fand Robert Schumann - „Die Welt, so zahllos und so Schönes sie gebiert, einen Schubert bringt sie nicht wieder“ - bei Schuberts Bruder Ferdinand die C-Dur-Symphonie. Er schwärmte: „Wer die Symphonie nicht kennt, kennt noch wenig von Schubert“. Und das Werk, das später schlechthin für den Namen Schubert stehen sollte, die h-Moll-Symphonie, die „Unvollendete“, hat Johann Herbeck überhaupt erst 1865 dem eifersüchtigen Schubert-Freund Anselm Hüttenbrenner genommen.

Ein Riesenwerk hatte Schubert in knapp sieben Jahren geschaffen. Ergebnis einer gegen Korper und Psyche rücksichtslosen Gewaltleistung, zu der er viele Stimulantia brauchte,

Tee, Kaffee, Tabak und nach dem täglichen Siebenstundenpensum viel Alkohol. „Er. pfiff und sang den ganzen Tag schubertische Lieder“, verniedlichten die Zeitgenossen diese Gewaltleistung, die ihn - zeitgemäß ausgedrückt - zweifellos in eine unvorstellbare Streßsituation versetzt haben mußt. Denn er schlief selbst mit der Brille auf der Nase und Papier und Bleistift neben dem Bett, um stets sofort jeden Gedanken, jede Klangfarbe, jede Harmonie notieren zu können. Denn nur zu genau wußte er, daß Einfälle nicht unbegrenzt fließen, daß gute Einfälle erarbeitet sein wollen: aus kleinsten Klangkeimzellen, aus harmonischen Rük-kungen, knappstem Grundmaterial, das erst geformt werden muß ...

Neun Symphonien entstanden so, die berühmte „Rosamunden“-Musik, die manche als ursprüngliche Fortsetzung der h-Moll-Symphonie vermuten, eine Handvoll Opern, Ouvertüren, Messen, mehr als ein Dutzend Streichquartette, Kammermusik, Klavierwerke, mehr als 600 Lieder. Oft schrieb er fünf Lieder pro Tag.

Während der Vorarbeiten zur großen Schubert-Ausstellung, die heuer während der Festwochen im Palais Harrach gezeigt wurde, geschah das Unerwartete: In einem Paket Schubert-Skizzen zu der unvollendet gebliebenen und bis heute nicht veröffentlichten Oper „Der Graf von Gleichen“ stöberte Dr. Ernst Hilmar von der Musiksammlung der Wiener Stadtbibliothek zwei unbekannte Klavierwerke auf. Blasse Bleistiftskizzen, zwar nicht ganz vollendet, aber so weit ausgeführt, daß sie in Schuberts Geburtshaus in der Nußdorfer Straße gespielt werden konnten. Zwei behutsam singende Stücke aus dem letzten Lebensjahr 1828. Schubert-Uraufführungen.

Und seither gab es noch andere Überraschungen. Hilmar und Dr. Otto Brusatti entdeckten auch Skizzen zu Symphonien. Und mit kriminalistischer Spürarbeit lüftete man das Geheimnis der als verschollen geltenden legendären Gasteiner Symphonie. Man prüfte Papiere, Schriftbilder, klärte spätere „Verfälschungen“. Jetzt glaubt man es endgültig zu wissen. Die Gasteiner Symphonie dürfte die von Schumann so gepriesene C-Dur-Symphonie sein, deren Manuskript im Tresor der Wiener Gesellschaft der Musikfreunde hegt. Der Arbeitsbeginn muß bereits ins Jahr 1825 gefallen sein (statt- wie angenommen - 1828).

Allerdings, das Bild des Menschen Schubert, der als zwölftes Kind des armen Schulmeisters Franz im Lichtental geboren wurde, wird sich kaum mehr ändern. Er bleibt für uns der bald zu Tode Betrübte, der all seine Melancholie, das „Selbstgefühl seines Leidens“ in seine Lieder legte: „Leise flehen meine Lieder“ heißt eines seiner berühmtesten Ständchen.

Nur selten war er so fröhlich wie bei den Ausflügen, die er mit seinen Freunden unternahm: mit Hüttenbrenner, Moritz von Schwind, Franz von Schober, Kupelwieser. Oder wenn er im Salon von Josefine, Ka-thy, Anna und Barbara war, bei den berühmten Schwestern Fröhlich, von denen drei sich via Operettenhimmel und Schubert-Filmkitsch in die Gegenwart gerettet haben und eine, Kathy, als Grillparzers „unsterbliche Geliebte“ Literaturgeschichte gemacht hat. Den „Fröhlichen“, seinen singenden Musen, war Schubert sicher am meisten zugetan. Und ihnen widmete er bedeutende Werke, darunter den 23. Psalm, in dem alle vier ihre schönen Stimmen zeigen konnten. Seine Erfolge haben ihn nie stolz gemacht. Bescheiden wie er war, meinte er nur: „Ich bin für nichts als das Componieren auf die Welt gekommen.“

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