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Der Birnbaum

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Der breitete alle Delikatessen in das Gras hinein, als gelte es eine Speisenschau im Freien zu veranstalten, und die Reihenfolge, in der Kaspar Hendl die willkommenen Schätze aus dem Korbe hob, war so: ein sehr fleischiges Schinkenbein, zwei Prachtwürste, an denen man hinter einer seidendünnen Haut die schneeweißen Fettwürfel wahrnehmen konnte, ein noch warmer duftender Brotlaib, der erst an diesem Morgen aus dem Backofen gekommen sein mußte, ein Knollen Butter, ein armdickes Salamistück, ein gutes Dutzend goldig gebackener Butterschnitten mit aufgestreutem Mohn und zuletzt zwei plombierte Flaschen vom himmlischen Jahrgang 1820, an deren Echtheit Schubert anfangs gar nicht glauben wollte.

„Aber, Menschenskind, ist denn das möglich?” wunderte er sich beinahe verzückt. „Das alles hat Ihm die Wirtin geschenkt?”

„Mir nicht, sondern den Liedern des Herrn von Schubert.”

„Das reicht ja für den ganzen Tag. Da bleiben wir halt heroben, denn es kann gar nicht i anders sein: Gott will, daß wir uns an seinem Frühling recht delektieren.”

„So ist es, Herr von Schubert”, beeilte sich Hendl zu versichern.

„Wenn er uns so reichliche Atzung zukommen läßt”, sinnierte Schubert, während der Musikant schon den Brotlaib anschnitt, sich übrigens auch im weiteren Verlauf des Mahls wie ein vorsorglicher Diener benahm, „meint er es gut mit uns und ist zufrieden, daß wir zwei uns zusammengefunden haben.”

Sie taten sich gütlich, und Schubert erinnerte sich nicht, jemals zu einem so unverhofften Schmause geladen worden zu sein, jemals mit so viel Behagen von seinem Handteller gegessen zu haben. Was er hier oben, im hohen Grase, unter einem blank geputzten Himmel, inmitten einer wohltuenden ländlichen Stille, an Tafelfreuden genoß, das war eine jener seltenen Gnaden, auf die mancher ein Leben lang warten muß, ohne daß er ihrer teilhaftig wird; und lächelnd betrachtete er auch den gesegneten Appetit des Wandersängers.

Nur half dieser für den Geschmack Schuberts der ohnehin unabwendbaren Vergänglichkeit des Weines, von dem auf jeden von ihnen eine Flasche kam, allzu sehr nach, und er mußte milde gemahnt werden:

„Aber, Hendl, teil Er es doch vernünftig ein, daß Ihm für den Nachmittag auch noch ein Schluck übrigbleibt. Er hat einen ganz respektablen Zug, das muß ich sagen.”

Da kam es denn heraus, daß Hendl mit seinem Anteil reinen Tisch machen wollte, denn es sollte für ihn dieses Idyll bald zu Ende sein. Ein rechter Grund, warum er dem schönen, stillen, besonnten Aufenthalte zu entweichen wünschte, war aus ihm nicht herauszubekommen, seine Angaben widersprachen sich nacheinander: Er wolle den Herrn von Schubert seinen göttlichen Ideen allein überlassen … Es würde im Lande rundum jetzt bald Mittag läuten, und nach dem Essen begehrten die Leute nicht selten ein wenig Musik … In irgendeinem Gebüsch wollte er einen ungestörten Mittagsschlaf halten … Dergleichen redete er herum, aß von Wurst, Brot, Salami, Buttergebäck gewissenhaft das ihm Zuge-

teilte und rodete zuletzt in der Wiese einen winzigen Fleck, indem er ein Büschel Grashalme ausriß und die Er3e mit den Fingern glatt und eben drückte; dorthin streute er alle Brosamen und sagte: „Hier ist für ein Mäuslein gedeckt.”

Ehe er dann Schuberten wahrscheinlich für immer entschwinden wollte, um wieder im Lande unterzutauchen, aus dem es ihn dahergeweht hatte, redete er sich mit einiger Stockung noch eine Bitte vom Herzen:

„Wollen Herr von Schubert gnädig verzeihen … wenn ich noch ein Anliegen hab… und selbiges zum Schluß auch vorbringe.”

„Red Er nur, Hendl”, ermunterte Schubert, der sich eben in froher Laune mit dem goldig angelaufenen Buttergebäck beschäftigte.

„Einen schmalen Streifen Papier nur tat ich gern haben, und auf dem ein kleines musikalisches Andenken. Dann hätt ich etwas in der Hand, das mich daran erinnern tät, wie ich einmal mit dem Herrn von Schubert hab im Frühling übers Land gehen dürfen.”

Schubert wunderte sich zwar über die plötzliche Hast desjenigen, der noch vor zwei Stunden so getan hatte, als wolle er sich diesen Hügel zum immerwährenden Aufenthalte einrichten, doch zu wiederholten Male nun geschmeichelt, erfüllte er in einer leisen Rührung den Wunsch. Hendls, der ihn an diesem über alies schönen Tąge in den Mittelpunkt eines fast kindlichen Kultes gestellt hatte. Notenpapier trug er stets mit sich, denn die Eingebungen der inneren Stimme hielten sich an keine Zeit, an keinen Ort. Und überlegend, was er dem böhmischen Musikanten mitgeben könnte, entsann er sich einer wundervollen Strophe aus dem Gedichte „Frühzeitiger Frühling” des Exzellenzherm von Goethe, den er verehrte, wenn er auch kränkend schwieg und weder von der Musik noch von der Bewunderung Franz Schuberts etwas wissen zu wollen schien.

Jene geliebten Worte aber lauteten: „Tage der Wonne, kommt ihr so bald? Schenkt mir die Sonne, Hügel und Wald?” Darüber nun zauberte er eine reizende, göttlich heitere Melodie und ließ sie von ähnlich prickelndem Rauschen begleiten wie in jenem Liede von dem Bächlein, das nach dem Wohin gefragt wird, denn Schubert wußte ja, wie fein und sauber die geschickten Finger Kaspar Hendls die Sechzehntelnoten aus den Gitarrsaiten zu wirbeln wußten; nur war hier nicht das Wasserspiel in Noten gebannt, sondern das Geplauder von Baumlaub, das Gewisper von Gräsern.

Also; Hendl, der andächtig wartende, empfing die Goethe-Zeilen in Musik, beteuerte, daß er sie in der abgeschiedenen Stille des nächsten Weingartens einzuproben gedenke, und verabschiedete sich:

„Dero ergebenster Diener, Herr von Schubert… Auf dem Totenbett werd ich noch daran denken, daß ich mit dem Herrn von Schubert einmal beisammen gewesen bin. Vale! Vale!” (Fortsetzung folgt)

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