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Der Birnbaum

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Erst als Schubert, der den Hut wieder abgenommen hatte, von tief hängender Obstbaumlaube plötzlich das Haar gelinde durchkämmt fühlte, entsann er sich fast erschreckt der eigentlichen Bestimmung dieses Ausflugs, auf dem er, von dem Musikanten Kaspar Hendl abgelenkt, nun wohl schon manches versäumt und übersehen haben mochte. Doch es war merkwürdig: er bedauerte es nicht, er wünschte auch die neue Bekanntschaft nicht ungeschehen, denn sie paßte vortrefflich in den heiteren Morgen. Warum auch nicht? Da war einer, der sich zu Geschwistern gewann den unbeholfen im Grase torkelnden Hirschkäfer, die geschmeidige Bachstelze und den herumschwätzenden Star; das Wild war ihm gleich vertraut wie der Wiesenschmetterling. Vor ihnen wollte er nichts voraus haben als die Musik, und die-se auch nur als Ersatz für eine seßhafte Ruhe, die ihm vorenthalten war als Trost für seine Armut. Von diesem Bemühen, einen seltsamen Ausgleich zu suchen und sich mit ihm zu begnügen, wollte Schubert dann einmal dem philosophischen Kopf Hüttenbrenner erzählen und dazu am Ende sagen: „Der Kerl hat mir So gefallen, daß ich ihn einen ganzen Tag an meiner Seite behalten habe.“

Eben ir. diesen Minuten nun, als sich Schubert solchen Nachgenuß in Gedanken zurechtlegte, hatten sie einen ungemein anregenden Anblick. Es stieg da eine sanft geneigte Hügellehne, über und über mit weißen und gelben Sternen besprenkelt, vor ihnen empor. Droben aber zwischen mächtigen Baumkronen, die wie beschneit aussahen vor lauter Blüte, war allerlei zu sehen, was nur zu einem Landgasthause gehören konnte: ein sehr breites Haustor, Bänke und Tische unter den Bäumen, ja sogar noch ein Ausschankzeichen vom vorigen Herbst, eine weit in die Luft stechende Stange, von der ein Wind oder auch Menschenübermut den verwelkten Weinlaubkranz fortgezaust hatte. Unter den alten Bäumen lag ein stiller, jetzt aber gar nicht dämmeriger Schatten, der die Näherkommenden ahnen ließ, wie wunderbar es sich dort schmausen und trinken lassen mußte; besonders Schubert spürte sogleich Hunger und Durst, denn für ländliche nahrhafte Idyllen hatte er sehr viel Sinn. Zudem erkannte er da zwischen den Obstbäumen, unter denen seltenerweise der Schank- und Sitzgarten hergerichtet war, einige Kastanienbäume, die ebenfalls ihre Blütenk-rzen angesteckt hatten, und deren Anblick war für ihn stets der willkommene Anlaß zu einer Träumerei, denn das war der Baum, dessen begnadeter Bruder als süßmehlige edle Kastanie in einem reicheren Süden gedieh, wohin geheimster Sinn und stille Sehnsucht Schubert nur zu oft trieben, seit Schwind aus Italien wieder zurückgekommen war und nächtelang von dem südländischen Glück geschwärmt hatte. Sogleich regte ihn die Anwesenheit der Kastanien auch an, den Kaspar Hendl darauf aufmerksam zu machen.

„Schau Er nur, da sind mitten im Obst einige der Bäume, die so hübsche und dabei so nutzlose Früchte tragen. Ihre Brüder aber, aus denen ist was Rechtes geworden ...“ Und er dachte an die gebratenen Maroni.

Hendl hatte noch einen Nachsatz bereit, aus dem wohl ein Wunsch erraten werden konnte, denn er lautete: „Der Garten ist wie ausgestorben, daß es eine Freude ist.

Es müßt schön sein, in der Ruh hier einen

Wein zu trinken.“

Und Schubert, der selber nur zu oft an sich erfahren hatte, wie betrüblich, ja schmerzlich es war, auch ein geringes Bedürfnis nicht erfüllt zu sehen, konnte es nicht über das Herz bringen, jene leise, schüchterne Sehnsucht des anderen zu überhören. Zwar, gerade in diesen Tagen war er selber sehr arm, aber zu zwei Gläsern Weines reichte noch, was er an Geld in seinem Besitze wußte. Und gleich an diesen Trost schloß der Leichtsinn seine Verführung an: „Den Wein bezahlst du, gut, aber du hast ein ehrliches Gesicht, und vielleicht kennt der Wirt auch deinen Namen. Dann darfst du mehr wagen, nimmst dir einige Delikatessen auf Borg und hast einen Grund mehr, gleich demnächst wieder in diese schöne Gegend herauszukommen.“

Solcher Einflüsterung blieb Schubert immer gleich zugänglich,'und er wehrte sie niemals ab; diesmal aber konnte außerdem die Freude eines seltenen Prachtkerls gewaltig vermehrt werden, und so etwas zu vollbringen war ein großes Talent seines gütigen Herzens. Er konnte sich, um die Überraschung des anderen auszukosten, auch nicht zurückhalten, sondern versprach dem böhmischen Musikanten, als sie an den ersten Gasttischen standen: „Er soll für seine erfreuliche Verehrung noch mehr haben als ein Glas Wein“, welche angenehme Aussicht den Kaspar Hendl, der noch nicht gefrüh- stückt hatte, hoch stimmte.

Doch an diesem Orte war Schubert eine gelinde Qual vorbestimmt, denn als die Wirtin kam, um nach dem Begehren der beiden frühen Gäste zu fragen, erkannte er in ihr eine Wiener Gasthauspächterin, bei der er noch in alter Schuld stand, weil er sich nach ihrer Übersiedlung auf das Land nie wieder darum gekümmert hatte, übrigens, da er zerstreut und vergeßlich war, von Wirten auch stets gemahnt werden mußte. Diese Wirtin nun hatte es unter lassen, aus Absicht oder Gedächtnisschwäche, erkannte ihn jetzt wohl, begrüßte ihn auch überschwenglich, fragte ihn nach Wien in übersprudelnder Neugierde, doch jener glorreiche, vielversprechende Einfall, durch den er ein kleines Gastmahl herbeizuzauhern gehofft hatte, war nun unausführbar geworden. Denn es war mehr als wahrscheinlich, daß der Versuch, die Wirtin zu freigebiger Nachsicht zu bewegen, sie jener alten unbeglichenen Schuld gedenken ließ, und eine Mahnung neben Kaspar Hendl wäre beschämend, ja gefährlich gewesen, weil natürlich zu erwarten stand, daß dieser mundfertige Landstreicher die Geschichte von einer Weinschuld Franz Schuberts und ihrem Nachspiel gerne verbreitet hätte. Und so schwieg er in tiefer Verlegenheit und dachte angestrengt darüber nach, wie er nun sein Versprechen, dem Gitarrespieler mehr als ein Glas Weines aufzutischen, wieder tilgen könnte. Von dem, was er sich so schön ausgedacht hatte: ein Backhendl mit Kompott, Forellen oder, wenn es das nicht gab, Kalbsschnitzel mit 'Essiggurken, war nur Wasser übriggeblieben, und das lief ihm jetzt im Munde zusammen.

Der Wein schmeckte ihnen beiden sehr, er stammte von einheimischen Hügeln, das spürte Schuberts Zunge gleich, und sie hoben in kurzen Abständen ihre Gläser. Sie redeten nicht, saßen einander stumm und nachdenklich gegenüber und schienen die Zeichen und Buchstaben zu entziffern, die von den Gästen in die Tischplarte geschnitten worden waren. Über ihnen griffen die Laubkronen von Apfel- und Kastanienbäumen geschwisterlich ineinander, und es dehnte sich über dem Gastgarten ein grünes, blüten- durchwirktes Dach hin, aus dem immer wieder ein Blütenblatt niederflatterte, als sänke ein heller Schmetterling zu Boden. Geschah es in der Nähe der Gäste, dann blickten die beiden wohl auf den Ankömmling und sahen ihm zu, wie er sich seinen Platz auf dem Tische suchte oder gar in dem gelben Weine ertrank. (Forts, folgt)

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