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Der Birnbaum

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Und an dem, was sich nach jedem derartigen Silberschuppenfall ereignete, zeigte sich die behutsamere Lebensart des einen und das derbe Landstreichergemüt des anderen. Dieser nämlich hatte einen Strohhalm bereit, fischte jedes Blättlern gleich aus dem Weine und warf es in verächtlichem Ärger fort; Schubert aber wartete, bis ihrer drei beisammen waren und sich angesogen hatten, dann verleibte er sie sich mit ein m Weinschluck ein und gab auf die belustigte Frage des Hendl, warum er denn so etwas tue und wie die Dinger schmeckten, ernst und nachdenklich zur Antwort: „Die sind Medizin gegen alles mögliche Herzweh. Das leibhaftige Frühjahr ist drin. Und schmecken tun s’ besser wie Tabak; grad, daß sie nit süß sind.”

Der Wein war bald sehr tief gegen den Glasboden herabgesunken, Schubert hatte bereits gezahlt, und Hendl brannte vergeblich nach reichlicher Bewirtung, die ihm ja verheißen worden war. Da wurde ihm bei einiger Betrachtung des sehr verlegenen Kompositeurs, dem die Gabe der Verstellung aber schon gänzlich versagt geblieben war, mit einem Male manches offenbar, das eigentlich verborgen hätte bleiben sollen, und dieser an Herz und Geist so reiche, an Geld aber so arme Herr, der ihm wohl nur aus purer Güte mehr als den Weingenuß versprochen haben mochte, jetzt aber kaum den Wein erschwang, rührte ihn sehr. Ein Verlegener und ein mancherlei Erwägender verließen dann den stillen Gastgarten, als wäre es nur eine beiläufige Einkehr gewesen.

Da sie nämlich nicht ewig bei den leeren Gläsern verweilen konnten, hatte Schubert vorgeschlagen: „Setzen wir uns auf einen Hügel und schauen wir ins Land hinein, das ist nach so einem aufmischenden Wein ganz erbaulich!”

Und das taten sie dann auch wirklich, denn hier einen Hügel zu finden, war nicht schwer. Sie brauchten nur ein paar hundert Schritte hinanzusteigen, da hatten sie, was sie begehrten; und sie ließen sich in einer Wiese nieder, in der es von Bienen und Hummeln summte. Schubert hatte sich die Weste aufgeknöpfelt, als wäre sein Leib voll von einem ausgiebigen Mahl, und er spürte es doch gerade in diesen Stunden wieder, wie wenig sättigend und bekömmlich geträumte Backhendl und Schnitzel sind. Ein gelinder Hunger rumorte verschämt in seinem Bauche, und die Weste war nur von der Sonne aufgesprengt worden, die es jetzt frühlingshaft gut meinte.

Unter ihnen war Blüte im Lande. Dort stäubte das Goldpulver der Pflanzenliebe in durchsichtigen, verwehenden Wolken dahin; dort ging jetzt immer ein sanfter Wind um die hochzeitlichen Bäume, als sei es sein unversäumbares Frühlingsamt, die Wohlgerüche der Millionen kleiner Duftfabriken zu sammeln, zu mengen und zu verbreiten als das wahrnehmbare Zeichen einer unerhört seligen, geheimnisvollen, ach, so kurzen Zeit; dort unten rochen jetzt auch Laub und Borke nach Blüte.

Schubert, der noch keinen richtigen Übergang von seiner Befangenheit (zu einer neuen Unterhaltung gefunden hatte, hörte in sich ein Cello summen, und diesem Klange hing er nach, während er kein Wort zu sagen wußte, das die früheren Gespräche in warmem Flusse fortgesetzt hätte.

Da regte sich neben ihm das Gras stärker. Kaspar Hendl, der bis jetzt, auf dem Rücken liegend, in die Wolken gestarrt und alle ihm bekannten Lieder überdacht hatte, die von Wolken handelten, hatte sich aufgerichtet, die Gitarre umgehängt und sprach von einem Entschlüsse, der in diesen Augenblicken im Grase entstanden sein mußte: „Jetzt laß ich den Herrn von Schubert ein bisserl allein. Da unten in dem verlassenen Wirtshaus, wo rundum der Frühling steht, daß es zum Jauchzen schön ist, haben wir eine Wirtin allein angetroffen. Der Papa Wirt ist vielleicht auf seinem Weinhandel unterwegs, und der Frau Wirtin ist wahrscheinlich so langweilig, daß ich sie mit meiner Gitarr zu einem Unsinn bringen könnt. Aber darnach steht mir der Sinn nit. Ich werd ihr den Kopf so verdrehen, daß sie die Speisekammer aufsperren muß. Das hat jetzt mehr Sinn.. übrigens, wenn der Wirt fortbleiben sollt, kann ich ja am Abend wiederkommen.”

„Er ist ein Lump, Hendl”, tadelte Schubert, aber er lachte dabei.

„Das weiß ich schon sehr lange, Herr von Schubert.”

Er machte unbekümmert aus dem Liede „Ich hör ein Bächlein rauschen” Marschtakte und strampfte, das lustige Gesicht lange zu Schubert zurückgewendet, durch das hohe Gras der Hügellehne hinab, bis er um eine Weingartenwelle verschwand, hinter der das Gasthaus lag, dessen Wirtin nun einen beherzten Sängeransturm erleiden sollte…

Da war Schubert mit sich und dem knospenden Lande allein, und jene nie ruhende Stimme einer dunklen rätselhaften Schwermut durchfröstelte ihn: „Sieh nur die schäumende Kraft dieser jungei\ Jahreszeit, sieh nur das Übermaß, die Verschwendung, die beseligte Ratlosigkeit: Wohin mit dem allen? Kannst du ihrer aber überhaupt froh werden, wenn du ihrer kurzen Dauer gedenkst? Sieh nur auch diesen böhmischen Musikanten; für heute ist er dir zur Ergötzung zugeführt, morgen aber schon wird er dir genommen sein. Erkenne! Verstehe!”

Vergleiche dieser Art wollten in ihm nicht verstummen, da er als einzelner eine Landschaft betrachten durfte, die ihn aus den Tiefen einer namenlosen anderen Welt anzuhauchen schien.

Nach einiger Zeit sah Schubert, der sich über die lange Abwesenheit Kaspar Hendls schon gewundert hatte, diesen den Hügel wieder heraufkommen, und zwar in jener lustigen Verkürzung der Gestalt, die durch den Blick von oben verursacht war, und an seinem merkwürdig vergrößerten Umriß ließ sich bald erkennen, daß er sich irgend etwas aufgeladen haben mußte, wovon auch seine Schritte bedächtiger geworden waren, als es dem sanften Abhang und den rüstigen Landstreicherfüßen eigentlich zukam. Seine Fülle wuchs beängstigend, je näher er kam, sie lenkte die andächtigen Gedanken Schuberts naeh einer völlig weltlichen Richtung, denn der seltsame Zuwachs an dem Musikanten klärte sieb bald auf; er rührte nämlich von einem jener länglichen, aus Stroh geflochtenen Körbe her, in denen die Fleischhauer den Braten in die Häuser der Herrschaften trugen; das Fleisch für ein Schlüssel und in Dutzend Bürgerhäuser hate darin Platz. Und da nun Hendl sehr praktischen Sinnes die Lage von Gitarre und Fleischkorb am Rücken so angeordnet hatte, daß sich vorne an der Brust Strick und Korbträger kreuzten wie das glänzende Riemenzeug der Grenadiere, ragte hinten auf einer Seite das Instrument hinaus, auf der anderen der Strohkorb, und damit war ein seltsames Bild geschaffen worden, das bei einem noch fernen Beschauer zunächst wohl Verwunderung erregen mußte. Hendl hatte bei dieser Art von Beladung seine Hände frei, und die gebrauchte er zu ganz verrückten Signalen, mit denen er schon so weit unten begann, daß Schubert anzunehmen geneigt war, der Kerl habe plötzlich den Verstand verloren. Die Absicht dieser Windmühlenflügelei war erst viel später zu erkennen, als auch der Ruf des lockeren Patrons schon bis zur Flöhe des Hügels hinaufreichte:

„Herr… von… Schubert… Gloria!”

Zwar blieb dieses Gloria für den Angejauchzten einstweilen noch ein Rätsel, wenn es auch einige Male wiederholt wurde, aber der schnaufende Hendl löste gleich darauf zwischen kurzen Atemzügen dieses Rätsel:

„Der Papa Wirt ist… natürlich nicht daheim … Und die Frau Wirtin … hat ein gutes Herz … sehr viel Musikverständnis … und eine volle Speiskammer… Getroffen hat sich alles ausgezeichnet nach Wunsch … Setz ich mich also hin und spiel eine gute Gitarreinleitung dann aber gleich ein Lied vom Herren Schubert… und noch eins und ein drittes… Sie hat immer mehr verlangt, und es kommt eine Zeit… da bin ich in Verlegenheit… denn die Lieder des Herrn von Schubert, die ich kenn… sind ausgesungen … Hol’s der Teufel, denk ich, der Herr von Schubert entschuldigt’ … und ich sing eins, das ist nicht von ihm, geb’s aber dafür aus… merkt sie’s nicht und sagt: ich sollt den Herrn von Schubert nicht verschandeln … Sie will dem wunderbaren Liedermacher danken, sagt sie, verschwindet in der Speiskammer und kommt mit dem da zurück.”

Und Hendl lüftete beinahe feierlich das Geheimnis des Strohkorbes, das von dem überraschten Schubert mit mehr Andacht und Rührung aufgenommen wurde, als es einem kaiserlichen Geschenk widerfahren wäre, denn mehr als die magere Huld einer Majestät, als der schönste Orden waren jetzt nach einem ausgiebigen Spaziergange die köstlichen Dinge, die da an das schmunzelnde Licht kamen, und die großen Augen Schuberts, seine froh ergriffene Stummheit machten den Musikanten glücklicher, als es überschwengliche Worte vermocht hätten.

(Fortsetzung folgt)

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