6688475-1962_27_10.jpg
Digital In Arbeit

NEKROLOGIE

Werbung
Werbung
Werbung

Grabreden rühmen das, wodurch der Mann im Sarge seinen Nebenmenschen, wodurch er seiner Zeit, seiner Welt sich nützlich zu machen gewußt hat. Die gesellschaftliche Funktion, die er hatte, da er 's Licht noch sah, wird ihm auf die Gruft gestellt, und ein gutes Abgangszeugnis bestätigt ihm, daß er bestanden hat in dieser oder jener Disziplin. Er war ein pflichtbewußter Beamter oder ein gewissenhafter Arzt oder ein leidenschaftlicher Revolutionär oder ein Mann, dem die Wissenschaft zu danken hat, oder eine Zierde seiner Kunst oder zumindest ein rechtschaffener Kamerad oder, wenn schon gar nichts anderes, ein wackerer Familienvater oder, allerschlimmstenfalls, ein braver Mann schlechtweg und nur einer gewissen Gruppe von Menschen mehr. Hervorragenden Toten wird außerdem gern versichert, daß einiges von ihnen überleben werde, ein Buch oder eine Formel oder ein geschichtliches Faktum, das mit ihrem Namen verknüpft erscheint, doch auch niederen Leuten pflegt man in die Grube nachzurufen, etwas von ihnen würde bleiben, nämlich das sogenannte Andenken an sie. Nun ja;

In der Beziehung zu den andern also — das hören wir, wenn wir's nicht mehr hören können - bestand unser Wert, und als unsere Güte, Schönheit, Richtigkeit gilt das, was die andern Gutes, Schönes, Richtiges aus uns gewonnen haben. Das scheint mir aber (abgesehen davon, daß ein Großteil unserer „Leistung“ aus trüben Quellen fließt, aus Zwang, Lüge, Ruhmsucht, Lebensangst, Geltungsgier, Machtverlangen, Not und Stumpfsinn der Fügung) unbillig gegen die Toten, weil es nur den Nutzeffekt, der ihnen abzuknöpfen war, rühmt, ihr Besonderes und Einmaliges jedoch, also ihr wahrhaft Wesentliches, als Quantite negli-geable behandelt. Jeder würde es als lächerlich empfinden, einem Kellner ms Grab zu attestieren, daß er nie Soße verschüttet und auf einem Arm sechs volle Schüsseln zu tragen vermochte, aber etwa einem Dichter nachzurühmen, daß er Romane geschrieben (und hierbei niemals die Kasus verwechselt) hat, genieren wir uns gar nicht, obgleich, aus der Perspektive des Grabhügels, zwischen jener und dieser Tätigkeit soviel wie gar kein Bedeutungsunterschied wahrzunehmen ist. In beiden Fällen wäre es ein Unwesentliches der Erscheinung, das wir festhielten, und verriete gar nichts von der menschlichen Substanz, die wir da in die kalte Erde oder in den heißen Ofen senkten. Weise und von feinster Feinfühligkeit war die Tante, von der die Anekdote erzählt, daß sie, da dem Toten niemand was Rechtes nachzurühmen wußte, mit tränender Stimme rief: „Mohnkuchen hat er so gern gegessen!“ Daß er gern Mohnkuchen aß, sagt gewiß etwas Charakteristischeres und Persönlicheres von ihm aus, als daß er ein pflichtgetreuer Beamter oder ein wackerer Familienvater oder ein Mehrer des Firmenansehens war.

Ein vernünftiger Nachruf, wie ich mir ihn denke, wird also nicht der sein, der den Toten Zeugnisse ausstellt, sie in geltende Tugendkategorien einreiht und die Tätigkeit rühmt, durch die sie'mit dem Leben der NeBe'rimenschen kommunizierten, sondern' jeners- der(lajissagt, wodurch -de^v, Gerühmte,; sich vpin allen, die,, sind, waren und kommen werden, unterschied. Aus Nachrufen, wie ich sie meine, scheidet daher von vorneweg alles aus, was den Hingeschiedenen den Zeitgenossen wert und wichtig erscheinen ließ (denn das wird immer das Typische oder Erlogene sein), und in Betracht kommt nur, was für den Nebenmenschen nicht in Betracht kam, der Komplex von Einzelzügen, die, weil gar nicht nach außen und nur ins Innere des Individuums wirkend, eben hierdurch als wahrhaft garantiert sind Etwa so:

„Mohnkuchen aß er gerne. Er trug nur weiche Hüte und fühlte sich erst wohl, bis sie recht zerbogen und verknittert waren. Zu schlafen pflegte er so, daß er das rechte Knie (er schlief immer nur auf der rechten Seite) hochzog, bis es fast das Kinn berührte, indes das linke Bein ganz gestreckt lag. Die eine Hand ruhte unter dem Kissen, die andere mit ausgebreiteten Fingern auf dem Herzen, nahm dessen Takt ab und nützte ihn als suggestiven Schlafrhythmus. Er schrieb mit Koh-i-noor 2 B und besaß keine Füllfeder. Seine Frau rief er .Kindchen', .Schatzi', ,Krus-perl' und ,dumme Gans.' Er war dreiundzwanzig Jahre mit ihr verheiratet, ihr Bild als Braut stand immer auf seinem Schreibtisch, und die Briefe, die sie ihm noch als Mädchen geschrieben hatte, bewahrte er, nach dem Datum geordnet und mit einer Gummischnur zusammengehalten, im Wäscheschrank auf, zwischen den Unterhosen. Außerdem liebte er mit großer Zärtlichkeit sein Klavier. Wenn er von einer Reise heimkehrte, ging er gleich zu ihm und streichelte es wie der Reiter seinen treuen Rappen. Beim Spielen behielt er die Zigarre im Munde, und oft fiel ihm Asche auf die Tasten. Er ging leicht vorgebeugt und, wenn in Begleitung, immer links, nicht aus Höflichkeit, sondern weil er sich rechts (ohne daß er einen Grund hätte angeben können, warum) nicht behaglich fühlte. Im Sprechen fügte er sehr häufig die Wörtchen .nicht wahr?' ein, und sein Lachen war seltsamerweise in der Tonlage zwei Oktaven tiefer als seine Stimme. Er sprach Tenor und lachte Baß. Er war astigmatisch und kennte sich nie merken, ob auf der Strecke Wien-Baden zuerst Guntramsdorf käme und dann Gumpoldskirchen oder umgekehrt Kleingeld trug er in der linken Hosentasche, seine Kragennummer war 39, und sein Fluch: ,Zum Teufel noch einmal'. Im Kino weinte er leicht, doch schämte er sich seiner Tränen und tat dann immer so, als schmerzten ihn die Augen Unter der Brille (Dioptrien 2, Yn). An den Rand des Notenpapiers, auf das er seine Partituren schrieb, zeichnete er oft Kreise und Fünfecke und schraffierte sie sorgfältig aus. Die Handbewegung, mit der er sich Gedanken von der Stirn strich, hatte viel Grazie, und in dem Zwinkern seiner Augen, wenn er gespannt zuhörte, verriet sich's, wie seine Skepsis das Vernommene augenblicklich angriff und zerteilte, gleichwie der Magensaft es mit Geschlucktem tut. Alkohol vertrug er in großen Mengen, und erst wenn die Ohrenspitzen sich röteten, durfte man ihn in die Vorhalle der Trunkenheit eingetreten wähnen. Oft hielt er die geschlos-sene.hohle Hand vor das Auge und visierte durch sie, niemand wußte, was, auch ließ er manchmal die Linterlippe fallen, niemand wußte, warum, oder sagte leise: Jajaja', niemand wußte, auf <welche Srage, und var übe^rs-au^yoli,ö^he^nifcr^ Rätsel. -In. Familienkreis und im Dampfbad hielt.er.es nicht: länger als zwei “Minuten aus, RegensdliWrM^^iafäf'Mi“9^if:'md die Haare trug er rechts gescheitelt. Wir werden sein Andenken stets in Ehren halten.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung