Hut ab, ihr Herrn, ein Genie!

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Mahler, Schumann und Chopin sind die dominierenden musikalischen Jahresregenten. Aber nicht die einzigen, die mit ihren Beiträgen Musikgeschichte geschrieben haben. Ein Streifzug.

Für Mahler muss man mittlerweile nicht mehr werben. Bis Mitte des vorigen Jahrhunderts konnte man davon bestenfalls träumen. Wer 1960, zu Mahlers 100. Geburtstag, einige seiner Werke hören wollte, hatte keineswegs die Qual der Wahl. Damals verzeichneten Plattenführer bloß die 1., 4. und 5. Symphonie, die Rückert-Lieder, die „Kindertoten-Lieder“ und das „Lied von der Erde“ unter Bruno Walter und die „Lieder eines fahrenden Gesellen“ mit Dietrich Fischer-Dieskau unter Wilhelm Furtwängler. Heute kann der Konsument unter 43 Einspielungen der Ersten Mahler wählen. Zum Vergleich: Von Beethovens Erster existieren gegenwärtig 35 Aufnahmen, listet Jens Malte Fischer in der kürzlich erschienenen Neuauflage seiner umfangreichen Mahler-Biografie „Gustav Mahler. Der fremde Vertraute“ auf. Nur von Beethoven und Brahms gibt es mehr Symphonie-Gesamteinspielungen als von Mahler. Damit ist die Prophezeiung des Komponisten, seine Zeit werde erst kommen, wahr geworden.

Mahlers Beschäftigung mit Schumann

Was man auch durch Veranstaltungen bestätigt findet. Zum doppelten Mahler-Jahr 2010/11 – Mahler wurde vor 150 Jahren geboren, nächstes Jahr ist sein 100. Todestag – gibt es Mahler-Symphonien-Zyklen etwa in Amsterdam und Wien, 2011 ein von mehreren bedeutenden Orchestern bestrittenes Mahler-Fest in Leipzig, wo der junge Komponist von 1886 bis 1888 als Kapellmeister wirkte. Zehn Jahre später, 1898, übernahm Mahler die Leitung der Philharmonischen Konzerte in Wien. In diese Zeit fällt die Beschäftigung mit den Symphonien von Robert Schumann. Für ihre Aufführungen in Wien, später in New York nahm Mahler, wie es damals durchaus üblich war, unterschiedlich starke Revisionen vor, die das ursprüngliche Klangbild dieser Opera des vor zweihundert Jahren verstorbenen Zwickauer Meisters nicht unwesentlich veränderten.

Schumann selbst, der es mit seinen Werken zu Lebzeiten bekanntlich weitaus schwerer hatte sich durchzusetzen als nach seinem Tod, zählt gleichfalls zu jenen Komponisten, die immer wieder die Lanze für andere brachen. Etwa für den gleichaltrigen Frédéric Chopin. Ihn stellte er 1831 in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung anlässlich der Präsentation von dessen Variationen über Mozarts „Là ci darem la mano“ mit dem längst zum geflügelten Wort gewordenen Satz: „Hut ab, ihr Herrn, ein Genie“ so enthusiastisch vor, dass er ihn damit schlagartig in der Musikwelt bekannt und zum Begriff machte. 1853 machte sich Schumann erneut zum Protegé eines großen Talents und öffnete damit auch ihm die Pforten in eine große Zukunft: Johannes Brahms.

Schumanns Blick war keineswegs auf die deutsche und französische Komponistenszene fixiert. Gelte es, sich für ein Requiem zu entscheiden, ziehe er allen anderen das des Italieners Luigi Cherubini vor, betonte er immer wieder. London, vor allem Paris, aber auch Wien, wo er für das Kärntnertortheater die Oper „Faniska“ komponierte, die dort auch uraufgeführt wurde, waren die Stationen des vor 250 Jahren in Florenz geborenen Cherubini. Beethoven hielt ihn für den berühmtesten Komponisten seiner Zeit. Heute ist es vor allem der italienische Dirigent Riccardo Muti, der nicht müde wird, von Cherubinis Œuvre zu schwärmen und Teile davon aufzuführen oder für Platte einzuspielen. Nicht zuletzt hat er das von ihm gegründete italienische Jugendorchester nach Cherubini benannt.

Giovanni B. Pergolesi, ein Frühvollendeter

Dreihundert Jahre sind es, dass der nur 26 Jahre alt gewordene Giovanni Battista Pergolesi, wie Mozart ein Frühvollendeter, geboren wurde. Im Gegensatz zu Cherubini braucht es nicht unbedingt ein Gedenkjahr, um an ihn zu erinnern. Wenigstens dann nicht, wenn man sich mit Aufführungen jener Werke zufrieden gibt, denen er seine bis heute ungebrochene Popularität verdankt und die auch seine meisterliche Behandlung der Stimmen dokumentieren: das „Stabat mater“ und das musikalische Intermezzo „La serva padrona“.

Apropos Singstimme: Auf sie verstand sich auch der vor 150 Jahren geborene Hugo Wolf, einer der innovatorischsten Liederkomponisten, hervorragend. Vor Jahren kaum ein Liederabend, in dem man nicht einige seiner Mörike-, Goethe-, Eichendorff-Vertonungen, das „Italienische“ oder das „Spanische Liederbuch“ hören konnte. Warum es heute um den Jahrgangskollegen von Mahler, mit dem er kurze Zeit auch ein Zimmer teilte, so ruhig geworden ist? Macht heutigen Interpreten Wolfs differenziertes Wort-Ton-Verhältnis Schwierigkeiten? Können sie mit seiner Idee, einen Text nicht bloß zu vertonen, sondern aus dem Text Musik zu erfinden, zu wenig anfangen? Liegt es daran, dass man mit einfacher zu erarbeitendem und gestaltendem Repertoire rascher und dauerhafter Erfolg haben kann? Tatsache ist, dass Wolf-Lieder – gar nicht zu reden von seinen symphonischen Werken und Opernversuchen – weniger oft in den Programmen vertreten sind als noch vor Jahren. Ob sein Geburtstagsgedenken daran etwas ändern kann?

Geboren wurde Wolf im damals südsteirischen Windischgraz (dem heute slowenischen Slovenj Gradec). Aus der Steiermark stammt auch ein weiterer musikalischer Jahresregent: der vor 350 Jahren in Hirtenfeld bei Graz geborene Johann Joseph Fux, Organist am Wiener Schottenstift, Hofcompositeur, Kapellmeister am Stephansdom, zuletzt Erster Hofkapellmeister. In seinem Schaffen zeigt er sich italienisch inspiriert: In der Kirchenmusik knüpft er an Palestrina an, in seinen Opern an die Neapolitanische Schule. Bedeutend ist er aber vor allem als Theoretiker durch sein Lehrwerk „Gradus ad parnassum“, durch Jahrhunderte Pflichtlektüre für Komponisten.

Doppeltes Alban-Berg-Gedenken

Manchmal führt der Weg dazu über Umwege. Zwei Jahre wirkte Alban Berg als Rechnungspraktikant in der k. k. Niederösterreichischen Statthalterei, wo er mit der Ein- und Ausfuhrstatistik von Schweinen, Alkohol- und Kesselsteuern beschäftigt war. Verständlich, dass er sich bald nach einer anderen Beschäftigung umsah. Noch dazu, wo er zu diesem Zeitpunkt bereits Theorieschüler von Arnold Schönberg war. Tatsächlich war diese Beamtentätigkeit nur ein zweijähriges Intermezzo. Eine Erbschaft der Schwester seiner Mutter erlaubte ihm ab Herbst 1908, sich ausschließlich auf sein Schaffen zu konzentrieren.

Auch wenn 2010 international vor allem als Mahler-, Schumann- und Chopin-Jahr firmiert, ist es mindestens ebenso das Jahr des Alban Berg. Noch dazu auf zweifachem Grund: Am 9. Februar konnte man seinen 125. Geburtstag feiern, am Heiligen Abend wird seines 75. Todestages zu gedenken sein. Grund genug für einen Berg-Schwerpunkt bei den Wiener Festwochen. Sie richten zusammen mit der Konzerthausgesellschaft eine kleine Konzertreihe aus und führen Bergs beide Opern auf: „Lulu“ in der dreiaktigen Cerha-Version in jener Inszenierung von Peter Stein, die bereits in Lyon zu sehen war (schließlich handelt es sich um eine Koproduktion mit dem dortigen Opernhaus), „Wozzeck“ in einer eigens für die Festwochen geschaffenen Inszenierung von Stéphane Braunschweig. Beide Male ist das Mahler Chamber Orchestra mit von der Partie. Zufall oder auch ein gezielter Hinweis auf den marktbeherrschenden Musikregenten dieses Jahres? Jahresregenten, machen wir uns nichts vor, sind auch ein willkommener Teil erfolgversprechender Marktstrategie.

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