Wenn Mahler Schumann korrigiert

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Mit den Schumann-Symphonien in der Version Mahlers eröffnet kommende Woche das Gewandhausorchester Leipzig die Saison im Wiener Musikverein.

Vorurteile und Pauschalurteile haben eines gemeinsam: Sie halten sich besonders lang, meist unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt. Eines der vielen: Robert Schumann hat schlecht orchestriert. Ein Grund, weshalb zahlreiche Dirigenten immer wieder Korrekturen in der Instrumentierung seiner Symphonien vorgenommen und sie in dieser Version aufgeführt haben. Darunter auch Gustav Mahler.

Bewundert hat er den Symphoniker Schumann immer. Aber erst 1899, ein Jahr nach seiner Bestellung zum Wiener Hofoperndirektor, dirigierte er erstmals Schumanns erste Symphonie. Entstanden ist sie in Leipzig, in jenem Haus in der Inselstraße, die heute eine Schumann-Gedenkstätte beherbergt. Jeweils Mitte September wird dort zur Erinnerung an Clara Schumanns Geburtstag und an den Hochzeitstag von Robert und Clara Schumann eine Schumann-Festwoche ausgerichtet. Schließlich war es die erste Wohnung, die das Ehepaar bezog.

Neuer Blick auf Schumann

Allein an Schumanns erster Symphonie – für den gegenwärtigen Chefdirigenten des traditionsreichen Gewandhausorchesters Leipzig, Riccardo Chailly, „ein Wunder an Schönheit und Perfektion“ – nahm Mahler 830 Veränderungen vor. In den folgenden drei Symphonien sind es immer noch 355, 465 und 466. Mahlers Anliegen war es keineswegs, diese Werke in seine Tonsprache zu übersetzen. Mit seinen Adaptionen wollt er nur Schumanns Absichten deutlicher machen. In dieser Version, wurde er nicht müde vor allem gegenüber seinen New Yorker Kritikern zu betonen, werde man „nicht Mahler, sondern mehr Schumann“ hören. Nicht alle wollten dies wahrhaben.

2007 und 2008 haben das Gewandhausorchester Leipzig und Riccardo Chailly die vier Schumann-Symphonien in dieser Mahler-Adaption – sie zielt auf eine bessere Durchhörbarkeit der einzelnen Stimmen, verzichtet, aber auch auf die eine oder andere Wiederholung, um die charakteristischen Strukturen der einzelnen Werke klarer herauszustellen – für Platte aufgenommen. Um „einen neuen Blick auf den Symphoniker Schumann“ zu werfen, wie Chailly dieses Unterfangen begründet, das nicht zufällig gerade in Leipzig realisiert wurde. Schließlich wirkte Mahler am Beginn seiner Dirigentenkarriere kurz als zweiter Kapellmeister am Stadttheater, dem heutigen Leipziger Opernhaus.

Der Mailänder Chailly zählt damit zu den wenigen Dirigenten, die sich sowohl mit der Originalversion dieser Schumann-Symphonien – sie hat er vor Jahren mit seinem damaligen Orchester, dem Concertgebouworkest Amsterdam, eingespielt – als auch mit Mahlers Version intensiv auseinandergesetzt haben. Sein Urteil über Schumanns Orchestrierungskunst fällt entsprechend differenzierter gegenüber den üblichen Bewertungen aus: „Er hat zu Beginn wunderbar orchestriert, ist im Laufe der Jahre aber schwächer geworden. Möglicherweise hat das mit seinen späteren Lebensumständen und seiner Krankheit zu tun. Aus diesem Blickwinkel ist es freilich überraschend, dass Mahler gerade in der ersten Schumann-Symphonie die meisten Veränderungen vorgenommen hat.“

Aber nicht nur die Schumann-Symphonien in Mahlers eigenwilligem Klanggewand bringen die Leipziger Musiker, die diese Spielzeit ihre bereits 230.(!) Gewandhaussaison bestreiten, zu ihrem am 8. September beginnenden, viertägigen Wien-Gastspiel mit. Ebenfalls in ihrem Gepäck haben sie Schumanns Manfred-Ouvertüre (ebenfalls in Mahlers Version), das Schumann-Violinkonzert mit Frank Peter Zimmermann, das Schumann-Cellokonzert mit Enrico Dindo und das Schumann-Klavierkonzert mit dem jüngsten aller Klavier-Shootingstars, dem erst 18-jährigen, von Alfred Brendel geförderten Kalifornier Kit Armstrong, der gerade in Paris sein Mathematik-Studium abschließt und auch als Komponist schon auf sich aufmerksam gemacht hat.

Ergänzt durch Mendelssohn

Erstmals zu hören war dieser Schumann-Mahler-Zyklus vorige Woche in Leipzig, womit das Orchester seine neue Saison startete. Weil es damit gleichzeitig die Leipziger Mendelssohn-Festtage 2010 bestritt, wurde diese Schumann-Perspektive mit einigen Mendelssohn-Ouvertüren, die auch in Wien zu hören sein werden, ergänzt. Dies wiederum ruft Zweifaches in Erinnerung: dass Felix Mendelssohn Bartholdy nicht nur Schumanns bester Freund war und dessen erste Symphonie zur Uraufführung brachte, sondern auch einer der bedeutendsten Gewandhauskapellmeister. Eine Position, die Schumann nach Mendelssohns überraschendem Tod anstrebte, die ihm aber, wie manches andere im Leben, verwehrt blieb. Enttäuscht kehrte Schumann deswegen Leipzig den Rücken und zog nach Düsseldorf, wo er als Städtischer Musikdirektor bald tragisch scheiterte.

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