Ein nie müde werdender Enthusiast

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"Sein Thema war die Musik": Vor 100 Jahren, am 25. August 1918, wurde Leonard Bernstein in Lawrence, Massachusetts, geboren. Der Komponist, Dirigent und Pianist war Zeit seines Lebens neugierig auf der Suche danach, was sich hinter den Noten verbirgt.

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"Sein Thema war die Musik": Vor 100 Jahren, am 25. August 1918, wurde Leonard Bernstein in Lawrence, Massachusetts, geboren. Der Komponist, Dirigent und Pianist war Zeit seines Lebens neugierig auf der Suche danach, was sich hinter den Noten verbirgt.

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Wie war Leonard Bernstein abseits des grellen Rampenlichts? Was hat ihn ausgezeichnet, welchen Platz nimmt er unter den großen Dirigenten ein? Thomas Angyan, langjähriger Intendant der Gesellschaft der Musikfreunde, der Bernstein schon als Generalsekretär der Musikalischen Jugend Österreichs kennen gelernt hat, im FURCHE-Gespräch.

DIE FURCHE: Laut Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien ist Leonard Bernstein zwischen 1966 und 1990 86 Mal im Musikverein aufgetreten. Wann sind Sie ihm zum ersten Mal begegnet?

Thomas Angyan: Als Zuhörer weiß ich es nicht, aber sicher sehr früh. Ich hatte schon immer ein großes Interesse an klassischer Musik. Aktiv mit dem Beginn meiner Tätigkeit als Generalsekretär der Musikalischen Jugend Österreichs, 1978. Wenig später begannen die Planungen für das von ihm geleitete Hiroshima Peace-Konzert, das 1985 stattgefunden hat, aber auch für die Konzerte, die er für die Jeunesse dirigiert hat und die aufgenommen und verfilmt wurden - übrigens noch mit 16-mm-Kameras. Die Konzerte haben deswegen für die Jeunesse stattgefunden, weil die Kassetten ständig gewechselt werden mussten, und das störte. Lange mit Bernstein zusammen war ich bei dieser Peace-Konzert-Reise, die nach Japan, Athen, Budapest und Wien führte.

DIE FURCHE: Welchen Eindruck hat er auf Sie gemacht?

Angyan: Ein Mensch, der an beiden Enden brennt, der an allem interessiert war, was mit Musik zu tun hat, und der begeistert und begeisternd davon erzählte. Natürlich hat mich seine Universalität fasziniert: Dirigent, Pianist, Komponist und Musikvermittler.

DIE FURCHE: Man kennt Bernstein als Künstler und Buchautor. Sie haben ihn auch privat erlebt. Wie war er abseits des Rampenlichts?

Angyan: Er war, wie es in Amerika üblich ist, mit allen rasch auf einem herzlichen Ton. Aber sein Thema war die Musik. Was ihn in seinem Inneren bewegt hat, hat er nicht nach außen getragen, ausgenommen Politik, hier hat er seine Ansichten nie für sich behalten.

DIE FURCHE: Zu Bernsteins hundertstem Geburtstag ist ein Buch herausgekommen, "Leonard Bernstein. Der Charismatiker", in dem sich Sven Oliver Müller vor allem mit Bernsteins exzentrischem Privatleben auseinander setzt. Hat sich hinter dem öffentlichen Bernstein nicht auch ein nachdenklicher, gläubiger Mensch versteckt, alleine, wenn man an seine drei Symphonien denkt?

Angyan: Der Glaube bedeutete ihm sehr viel, er ist in einer gläubigen jüdischen Familie in Boston aufgewachsen, sein Großvater war Rabbiner, sein Vater studierte eifrig den Talmud. Er selbst ging schon als kleiner Bub in die Synagoge. Wie sehr Bernstein die Religiosität ein Anliegen war, zeigen neben seinen Symphonien auch die Chichester Psalms. DIE FURCHE: Worin lag für Sie das Besondere an Bernstein, etwa im Vergleich zu einem anderen bedeutenden Dirigenten dieser Zeit, den Sie auch im Musikverein zu Gast hatten: Herbert von Karajan?

Angyan: Bernstein war extrovertiert, er ist einem mit offenen Armen entgegen gekommen. Karajan war ein sehr introvertierter Mensch, der einem Respekt einflößte.

DIE FURCHE: Haben Sie Bernstein und Karajan gemeinsam erlebt?

Angyan: Ich habe meine Tätigkeit im Musikverein 1988 mit einem Konzert der Wiener Philharmoniker unter Bernstein begonnen, wenige Tage später kamen die Berliner Philharmoniker mit Herbert von Karajan. Bernstein wollte das Karajan-Konzert hören, und ich gab ihm eine Karte für einen vorderen Logenplatz. Den tauschte er gegen einen Platz in der letzten Reihe, um von Karajan nicht gesehen zu werden. In der Pause bin ich mit Bernstein zu Karajan gegangen, beide haben sich eine Dreiviertelstunde unterhalten. Das war die längste Konzertpause, an die ich mich im Musikverein erinnern kann. Was sie gesprochen haben, ist nie nach außen gedrungen.

DIE FURCHE: Es ist wohl unbestritten, dass gegenwärtig so herausragende Persönlichkeiten wie Bernstein oder Karajan weniger werden oder gar fehlen, auch in Politik oder Wirtschaft. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Angyan: Früher gab es Patriarchen, die gewohnt waren, alleine zu entscheiden. Das war auch bei den Dirigenten der Fall. Die Zeit hat sich geändert, man mag es Zeitgeist nennen. Bei amerikanischen Orchestern ist das Erste, dass sie vor Proben eine für alle ersichtliche große Uhr aufstellen, die dem Dirigenten signalisiert, wie lange er probieren kann, ein Ausdruck einer demokratisierten Gesellschaft.

DIE FURCHE: Bernstein hat einmal gesagt: "Nur aus Enthusiasmus kann Neugierde entstehen, und nur wer neugierig ist, besitzt den Willen zu lernen." Ist das nicht auch eine ideale Selbstbeschreibung?

Angyan: Es mag auch für andere gelten, auf Bernstein trifft diese Charakteristik selbstverständlich zu. Er war lebenslang neugierig, hat nie aufgehört, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, was sich hinter den Noten verbirgt, war immer auf der Suche nach Neuem. Das hat sich nicht auf die Musik beschränkt.

DIE FURCHE: Gibt es einen Auftritt, einen Aufnahme von Bernstein, die Ihnen besonders viel bedeutet?

Angyan: Der vierte Satz der Symphonie Nr. 88 von Joseph Haydn, in dem er die Wiener Philharmoniker ausschließlich mit den Augen und Bewegungen der Schultern dirigiert. Man kann das auf YouTube sehen. Das wirkt für mich selbst in schwierigen Situationen wie ein positiver Stimulanz. Darüber sind vor allem seine Mahler-Aufführungen in Erinnerung. Er hat mir damit dessen Welt, die mir bis dahin kaum bekannt war, erschlossen. Ich bin fest davon überzeugt, dass ihm das auch mit Schostakowitsch und Sibelius, die er in einigen seiner letzten Wiener Konzerte dirigiert hat, gelungen wäre, wäre ihm noch Zeit geblieben. Einige Symphonien von Schostakowitsch haben sich mittlerweile durchgesetzt, bei Sibelius ist es nach wie vor schwierig.

DIE FURCHE: Es heißt oft, die drei bedeutendsten Dirigenten des letzten Jahrhunderts sind Wilhelm Furtwängler, Arturo Toscanini und Herbert von Karajan, weil sie in ihrer Art stilbildend waren. Welche Rolle würden Sie Leonard Bernstein zuordnen?

Angyan: Für meine Generation war er jedenfalls der Musikvermittler, und in dieser Bedeutung würde ich ihn den anderen Dirigenten zur Seite stellen. Mit seinen Gesprächskonzerten hat er vielen, vor allem jungen Menschen das Tor zur klassischen Musik erst geöffnet.

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