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Digital In Arbeit

Weg mit Bernstein!

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Wäre Leonard Bernstein ein hervorragender Pädagoge, ein bedeutender Schauspieler, wäre er was immer: Hätte Bernstein die vorgesehene Altersgrenze erreicht, die er ja längst überschritten hat, dann müßte er jetzt Daumen drehen.

Ich weiß, daß es die Schrek-ken der Arbeitslosigkeit gibt, daß es eine große Zahl junger Menschen gibt, die keine Arbeit findet und die dran zerbricht, ich weiß. Ich weiß aber auch, daß es Menschen gibt, die dran zerbrechen, daß man sie, dem Kalender gehorchend, brutal (ich sage: brutal) zwingt, ihr Lebenswerk bei voller Schaffenskraft von heute auf morgen zu beenden.

Dos erste Philharmonische dieser Saison war ein ganz großes Erlebnis, nicht nur für mich.

Wenn Leonard Bernstein geehrt wird, dann gilt dies nicht nur einem der größten lebenden Dirigenten, sondern auch einem treuen Freund Österreichs, der zu uns gehalten hat, als wir es in den Vereinigten Staaten schwer hatten.

Und er nahm auch das Risiko auf sich, mit einem Wiener Orchester nach Israel zu fahren. Das hätte nicht unbedingt gut ausgehen müssen. Dank seiner war das Gastspiel in Israel für die Wiener Philharmoniker ein Riesenerfolg.

Wenn ich das alles jetzt resümiere, habe ich nicht nur Völkerfreundschaft im Sinn. Meine Gedanken bei diesem herrlichsten aller Konzerte in der letzten Zeit galten einer Frage, die mich seit langem beschäftigt.

Ich stelle mir vor, daß ich — es hätte mir passieren können — nicht .Jreier“ Schriftsteller geworden wäre, sondern eine Stelle angetreten hätte, die meinen Fähigkeiten entgegengekommen wäre, und daß ich jetzt seit mehr als einem Jahrzehnt meine Stelle, die ich - das stelle ich mir vor — zum Wohl meiner Mitarbeiter und meines Tätigkeitsbereiches dusgeübt hätte, nicht mehr ausfüllen dürfte. Mit all den Fähigkeiten, die ich bis heute noch besitze.

Wir müssen den jungen Menschen zuteil werden lassen, was wir können, doch wir dürfen nicht taten- und gedankenlos die derzeit leider gefährlich weit gediehene Tendenz der brutalen Quälerei älterer Menschen fortführen. Wer sich pensionieren lassen will, soll das Recht dazu haben. Man soll dürfen, aber man sollte nicht müssen!

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