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Ein Tastentornado

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Es frappiert immer wieder, mit welcher Intuition und Sicherheit Leonard Bernstein aus einer eher etwas naiven Musikalität heraus selbst so artistische Werke wie Ravels Klavierkonzert in G-Dur zu gestalten weiß. Er spielt es rasant. Die Show ist stets präsent. Die Sensation wird greifbar. Und doch ist das eigentlich nicht ganz Ravels Werk, das von den großen französischen Pianisten meist viel kühler, distinguierter, mdt mehr Koketterie und

Esprit vorgetragen wird. Bernstein macht es dennoch zum Erlebnis, wie er dieses Bravourstück als Tornado über die Tasten fegen läßt und zugleich dem Orchester die Einsätze mit legerer Gebärde zuspielt. Nur im melancholischen Adagio assai können Ravel und er nicht zueinander kommen. Bernstein mißversteht da die Kantüenen gründlich, spielt träumerisch-elegisch, als war’s beste deutsche Voillblutromantik.

Schumanns „Vierte" (d-MoU) baute er großartig auf: aus den einfachen Anfangstakten entwickelt sich der riesige Architekturbogen. Die Konzentration wird da von Takt zu Takt kunstvoll verdichtet. Das dynamisch und in den Tempi gewaltig überzeichnete Finale klang dennoch im ganzen weder aufdringlich noch unorganisch, und zwar, weil Bernstein den musikalischen Atem auch für diese Tour de force hat.

Noch stärker überzeichnet wirkte Haydns Symphonie Nr. 102, in der Bernstein die Details überakzentuierte und so kein rechtes klassisches Gleichgewicht zustande kommen ließ. Sein Verdienst: daß diese Symphonie nicht wie so oft ein bloßes Einspielstück ohne Bedeutung wurde.

Im ganzen: ein sehr spannungsgeladenes Konzert, in dem die Wiener

Philharmoniker mit Akkuratesse, Einfühlung, Engagement spielten, wie man’s selten erlebt. Das Publikum im Musikverein akkla-mierte Bernstein und das Orchester stürmisch.

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