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Fünfmal Wagners „Ring“ auf Platten

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Ein Wunschziel in weiter Ferne: Das war Anfang der sechziger Jahre Richard Wagners Musikdramentetralogie „Der Ring des Nibelungen“ als Gesamtaufnahme auf Langspielplatten. Als Georg Solti 1966 mit einer „Walküre“-Produktion seinen 1958 begonnenen „Ring“-Zyklus bei „Teldec“ komplettierte, bestaunten Publikum und Fachwelt dieses „Wunder“ an Präzision, akustischer Vollkommenheit. Und welche Prominenz war da vereinigt: Birgit Nilsson, Kirsten Flagstad, Christa Ludwig, Jean lVtön^1fa,P Hgw^mith JÜm?S, r?erit Lindholm, Helga Dernesch, Gejorg _ jlondön, Hans.„Hotter^ Set. Svanholm, Wolfgang. Windgassen, James King, Dietrich Fischer-Dieskau, die Wiener Philharmoniker, kurz: die Wagner-Prominenz eines Dezenniums hatte sich zusammengefunden ...

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Ein Wunschziel in weiter Ferne: Das war Anfang der sechziger Jahre Richard Wagners Musikdramentetralogie „Der Ring des Nibelungen“ als Gesamtaufnahme auf Langspielplatten. Als Georg Solti 1966 mit einer „Walküre“-Produktion seinen 1958 begonnenen „Ring“-Zyklus bei „Teldec“ komplettierte, bestaunten Publikum und Fachwelt dieses „Wunder“ an Präzision, akustischer Vollkommenheit. Und welche Prominenz war da vereinigt: Birgit Nilsson, Kirsten Flagstad, Christa Ludwig, Jean lVtön^1fa,P Hgw^mith JÜm?S, r?erit Lindholm, Helga Dernesch, Gejorg _ jlondön, Hans.„Hotter^ Set. Svanholm, Wolfgang. Windgassen, James King, Dietrich Fischer-Dieskau, die Wiener Philharmoniker, kurz: die Wagner-Prominenz eines Dezenniums hatte sich zusammengefunden ...

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Die Tage, da sich Opernfans, Wagnerianer, Musikstudenten mit zahllosen Einzelaufnahmen oder privaten (rechtlich eigentlich streng verbotenen) Mitschnitten aus Bayreuth behelfen mußten, war endlich vorbei. Eines der aufwendigsten Plattenproduktionsunternehmen war'

abgeschlossen und mit einem Preis von D-Mark 256.— gerade noch „markt“-, das heißt: „konsumenten-freundlich.“ Und sieben Jahre später, also 1973?

Der internationale Plattenmarkt hat sich inzwischen selbst vielfach übertroffen: Der härter werdende Konkurrenzkampf der Plattenfirmen hat keinen so recht ruhen lassen. Der „ ,Ring' — komplett“ wurde zum Prestigeartikel, mit dem die großen längst mehrfach fusionierten Firmen im internationalen Geschäft einfach vertreten sein mußten. Und gleich fünf vollständige „Ring“-Einspielungen sind in diesen paar Jahren im Rekordtempo auf den Markt geworfen worden.

Jede der Firmen sicherte sich rasch ihre Stars: Die Deutsche Grammophon Gesellschaft produzierte unter Herbert von Karajan ihre Gesamtaufnahme (mit ihrem 298-D-Mark-Preis heute die teuerste ,,Ring“-Aufnahme), nachdem DGG bereits bei den Salzburger Osterfestspielen ins Geschäft eingestiegen war und so den Bestand des Festivals mitgarantiert hatte; „EMI“ legte rasch einen Mitschnitt mit dem Orchester der Radiotelevisione Italiana (RAI) unter Wilhelm Furtwängler von 1953 auf (Preis: mit 198 D-Mark der billigste „Ring“); „Phonogramm“ folgte schließlich im Sommer '73 mit einer überspielten Bandaufnahme aus Bayreuth von 1966/67, wo Karl Böhm die Aufführungen leitete (Preis: DM 248.—); außerdem ließ sich auch eine Gesamtaufnahme unter Hans Swarowsky gut verkaufen, obwohl daneben große Teile aus „Walküre“ und „Götterdämmerung“ unter Stars wie Kempe, Knapperts-busch, Klemperer, Solti, Rodzinski, Furtwängler, Leinsdorf u. a. bereits vorlagen.

Aber war es wirklich bloß Prestigedenken, das die Firmen zur Realisierung zum Teil derart umfangreicher, kostspieliger Projekte

veranlaßte? Gewiß nicht. Aufmerksamen Beobachtern wird es kaum entgangen sein, daß der Plattenmarkt heute, etwa in den USA längst stagnierend, ähnlich reagiert wie auch die Buchverlagsbranche. Man versucht steigende Verluste aufzufangen, wie sie von zahlreichen Produktionen, nicht zuletzt wegen der Übersättigung des Marktes, immer häufiger verursacht werden. Teils durch Neuauflage alter Verkaufshits, teils durch eine überwältigende Vielfalt des Angebots. Den Reiz zum Kauf beim Publikum zu steigern: das ist es, was Plattenfirmen nun veranlaßt, längst vorliegende, manchmal sogar noch immer greifbare Produktionen mit neuen zu konkurrenzieren: Wer einen kompletten „Ring“ besitzt, wird viel eher noch einen zweiten mit anderen Stars . kaufen, schon der Vergleichsmöglichkeiten wegen. So kalkuliert man. Und die Verkaufsmanager können sich dabei auf Europa, und vor allem auf Amerikas Konsumgesellschaft verlassen, deren Gewohnheiten man ja immer wieder genau testet, um mit Neuausgaben und -auflagen nicht allzusehr daneben zu treffen.

Herbert von Karajan, gewiß einer der besten Kenner des Plattenmarktes und der Materie „Massenmedien“, hat die Situation einmal

genau erklärt. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, meinte er, wäre es unmöglich gewesen, einer Firma etwa eine zweite Aufnahme einer Brahms-Symphonie unter einem noch so prominenten Dirigenten einzureden, wenn schon eine existierte. Das Publikum wollte damals erst einmal den wichtigsten Bestand an Werken zusammenbekommen. Heute, in einer Periode extremen Überangebots der Massenmedien und riet Erschließung neuer Medien, liegt die Reizschwelle für den Kauf von Platten, auch so teurer wie einer „Ring“-Produktion, viel mehr bei .Vergleichsmöglichkeiten. Und dem Vergleich dürfte wohl auch in Zukunft ein Hauptgewicht zukommen, denn neben der Platte werden in ein paar Jahren die TV-Kassette, das heißt der zu Hause jederzeit abspielbare Konzert- und Opernfilm, oder die Bildplatte zur Verfügung stehen. Was das Feld des Vergleichs erst recht zum entscheidenden Faktor machen wird; schon weil all die aufwendigen Gesamtaufnahmen der sechziger und siebziger Jahre, von der Super-„Welt der Symphonie“ über „Das Alte Werk“ bis zu den Produktionen sämtlicher Mahler-Werke, bis dahin historische Kostbarkeiten, Dokumentationen von unschätzbarem Wert sein werden.

Man kann sich heute schon ausrechnen, welche Bedeutung etwa den vorhin zitierten fünf „Ring“-Auf-nahmen mit den Prominenfesten der Prominenten dann zukommen wird, wenn erst einmal die Opernfilmpro-duktion, wie Karajan sie erträumt, in vollem Umfang angelaufen sein wird. „Ein RCA-Direktor sagte mir einmal“, berichtet etwa Karajan, „er empfehle den Architekten schon jetzt, im untersten Geschoß jedes Hauses einen riesigen Raum, einen .Medienraum', einzuplanen, in dem sich eines Tages die ganze Familie wird aufhalten können. Ich glaube, dieser Plan stimmt. Durch Bildplatte, TV-Filmkassette; Kabelfernsehen werden Oper, Konzert, Showprö-gramme perfekt ins Haus geliefert und zum wesentlichen Ereignis der Freizeitgestaltung werden. In den Studios werden bereits Bildwände entwickelt, die in jeder beliebigen Größe geliefert werden können. Und die Entwicklung der Laserstrahlen wird noch ganz andere Wege öffnen.“ Kein Wunder, daß für Karajan etwa die technischen Medien, das heißt, die Musik aus der Konserve, eine so starke Faszination ausüben, in seinem Lebenswerk einen so entscheidenden Platz einnehmen. Einen wichtigeren jedenfalls als im Le-

benswerk eines Böhm,, Solti oder gar Furtwängler, die die Platte stets nur als Dokument einer Wiedergabe, nie aber als eigenständiges Medium verstanden. Denn Karajan hat wie kaum ein anderer erkannt: „In jedem Konzertsaal kommen zwei- bis dreitausend an ein Musikereignis heran; bei einem TV-Konzert, allein in der BRD, etwa zwölf Millionen; aber lassen Sie erst einen Standortsatelliten in Betrieb kommen, so sind es wahrscheinlich 150 Millionen Menschen ... Unsere Musik, das ist eine Sprache,, die heute die ganze Welt versteht. Ich bin dagegen, daß sie ein Reservat für ein paar Liebhaber und Kenner bleibt.“

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