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Karaj ans Abgang

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Nach seiner Demission als Direktor der Wiener Staatsoper vom 8. Mai dieses Jahres hat Herbert von Karajan am 23. Juni über die Austria-Presseagentur erklärt, daß er nach 18jä’nrigem Wirken im Konzertsaal, 16 Jahren in Salzburg und achtjähriger künstlerischer Leitung der Wiener Staatsoper ab 31. August 1964 seine Tätigkeit in Österreich zu beenden gedenkt. — Das ist ein bitterer Reis, von dem man nur hoffen kann, daß er nicht ganz so heiß gegessen wird, wie er gekocht wurde. Aber vorderhand haben wir uns jedenfalls mit dieser Kündigung abzufinden.

Als Grund für seinen Entschluß gibt Herr von Karajan an, daß man ihm innerhalb von sieben Wochen von seiten des Unterrichtsministeriums keinen akzeptablen Vorschlag gemacht habe, der die Sicherheit seiner weiteren Tätigkeit als Dirigent und Regisseur garantierte. Bekanntlich hat Karajan zuletzt Oskar Fritz Schuh als seinen Nachfolger vorgeschlagen, und mit diesem seien „die Verhandlungen zum Scheitern gebracht worden”.

Das ist ein eindeutiger Vorwurf, der genau geprüft werden will.

Der andere Grund, weshalb wir uns an dieser Stelle noch einmal mit dem Fall Karajan befassen, ist der, daß von einigen (wenigen) Wiener Blättern, auf deren Titelseiten der Bikinikrieg tobt, emsig an der Vorbereitung und Konstruktion einer Dolchstoßlegende gearbeitet wurde. Eine solche aber ist für jede gegenwärtige und künftige Direktion — und damit für die Existenz der Wiener Staatsoper — so gefährlich, daß man ihr rechtzeitig entgegentreten muß. Man tut dies am besten, indem man bei der Wahrheit bleibt und an die Fakten erinnert.

Zunächst: Niemand in oder im Umkreis der Wiener Staatsoper hat Herbert von Karajan zur Demission gezwungen, sondern er tat dies auf Anraten seines Arztes. Als es, in der zweiten Phase, um seine Weiterbeschäftigung an der Wiener Staatsoper ging, machte er diese von einer rechtlich und menschlich unerfüllbaren Forderung abhängig: von der Entlassung seines Kodirek- tors. Durch einen ihm ergebenen „Sonderbeauftragten” wollte er weiterhin, obwohl aus der Direktion ausgeschieden und daher auch von der Verantwortung für das Haus entbunden, weiterhin, von außen her, bei der Leitung der Oper mitsprechen. Wir haben dieses schwer zu realisierende Projekt trotz großer Bedenken als Kompromißlösung gutgeheißen. Es wäre, wie wir in unserem Leitartikel (in Nr. 22 der „Furche”) ausführten, „ein Weg aus der Opernkrise” gewesen. Aber dieser Mann fand sich nicht, weil Karajan offensichtlich einen Stärkeren, als es sein Kodirektor Doktor Hilbert ist, als Statthalter wünschte. Deshalb schlug er Professor O. F. Schuh als seinen „Nachfolger” vor — ein an sich ungewöhnlicher Vorgang, der nicht einmal in konstitutionellen Monarchien Brauch ist. Aber der Unterrichtsminister ging auch darauf ein.

Daß die Verhandlungen mit Professor Schuh zu keinem Ergebnis führten, hat andere Gründe, als daß sie der Minister zum Scheitern bringen wollte. Er mußte den neuen Direktioriskandidaten über die rechtliche und personelle Lage in der Staatsoper informieren und konnte ihm auch nicht verschweigen, daß auf Grund eines Einschauberichtes des Rechnungshofes dieser verlangt hat, daß die seinerzeit auf Wunsch Karajans entmachtete Bundestheaterverwaltung ihre früheren Befugnisse, vor allem was die budgetäre Gebarung der beiden Staatstheater betrifft, zurückerhält. Mit diesem dunklen Punkt wird sich wohl demnächst das Parlament zu befassen haben. — Außerdem hätte Prof. Schuh seine Tätigkeit an der Wiener Oper erst im Herbst 1965 aufnehmen können — falls er sich überhaupt entschlossen hätte, das kühlere und stabilere Klima Hamburgs, wo er gegenwärtig als Intendant der Städtischen Bühnen tätig ist, mit dem wesentlich unbeständigeren und stets ein wenig gewitterigen von Wien zu vertauschen.

Während dieser ganzen sieben Wochen aber hat Unterrichtsminister Dr. Piffl-Percevic weder Mühe och Zeit gespart, um mit Karajan zu einer Einigung zu gelangen. Falls er sich eines Tages dazu entschließen sollte, seine Verhandlungen und Konsultationen mit allen Details publik zu machen, so erschiene manches anders, als man es in gewissen Wiener Zeitungen lesen oder von einem gleichfalls sehr engagierten Fernsehreporter hören konnte.

Von diesen wurde nämlich, statt auf realisierbare Lösungen zu sinnen, der Konflikt in der Operndirektion in unverantwortlicher Weise dramatisiert und angeheizt, und der Hauptakteur dazu ermuntert, „aufs Ganze” zu gehen. Man werde es schon schaffen! Wir haben Karajan, der als Künstler ein gewisses Recht auf plötzliche, ja zornige Reaktionen für sich beanspruchen darf, vor seinen falschen Freunden gewarnt (falsche Freunde sind nicht nur solche, die vor allem ihre eigenen Interessen im Auge haben, sondern auch jene, die schlechte Ratschläge erteilen). Von ihnen wurde Karajan in eine Situation hineinmanövriert, aus der es keinen Ausweg mehr gab. So kam es zu dieser betrüblichen Kurzschlußreaktion der totalen Absage an Wien und Österreich. Denn weder die Salzburger Festspiele noch die Gesellschaft der Musikfreunde und die Philharmoniker waren a priori in den Opemkon- flikt einbezogen.

Die künftige Direktion der Wiener Staatsoper wird es, wie immer sie zusammengesetzt sein mag, in der ersten Zeit nicht leicht haben. Doch wird sie auf die Unterstützung des gesamten künstlerischen Personals zählen können, das in einem Brief an den Unterrichtsminister das Versprechen abgegeben hat, „alle Kräfte für die Wiener Staatsoper einzusetzen”, und davon überzeugt ist, „daß das Niveau der Oper gehalten und womöglich sogar verbessert werden kann”.

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