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Statt einer Ballettkritik

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Am vergangenen Samstag sollte in der Wiener Staatsoper die Premiere zweier neuer Ballette stattfinden. Für deren Einstudierung und Ausstattung hatte man Gäste aus Wuppertal ingeladen, das in den letzten Jahren dank der aufsehenerregenden Leistungen und Zusammenarbeit zwischen dem Ballettmeister Erich Walter und dem Bühnenbildner Heinrich Wendel in den Rang eines deutschen, ja man kann sagen: eines internationalen Tanzzentrums aufgerückt ist. — Am vergangenen Dienstag fand die Hauptprobe für das zweite der vorgesehenen Ballette — Gustav Holsts „Planeten” — statt, dessen musikalische Leitung sich Herbert von Karajan Vorbehalten hatte. Eine Viertelstunde vor Ablauf der vorgesehenen Zeit mußte die Probe abgebrochen werden, da das technische Personal auf Einhaltung seiner Arbeitszeit bestand, die durch Auswechslung zweier Vorstellungen („Entführung” statt „Salome”) knapper geworden war, als voraus- berechnet.

Worauf Herr von Karajan die Premiere kurzerhand absagte.

An diesem Vorfall ist einiges merkwürdig.

Die Krise nämlich, der Konflikt zwischen dem Bühnenpersonal und der Bundestheaterverwaltung, datiert nicht von gestern, sondern brach bereits vor zwei Monaten aus. Aber man hat den Eindruck, daß sich die zuständigen, für das klaglose Funktionieren des Opernbetriebes verantwortlichen Stellen allzuviel Zeit gelassen haben. (Die Schwierigkeit dieser Verhandlungen, bei denen es um Lohnerhöhungen und die Fünftagewoche geht, unterschätzen wir keineswegs.) Ein ganz anderes Verhältnis zur Zeit hat jedenfalls Herr von Karajan, dem es auf Viertelstunden ankommt, obwohl es bei der bereits erwähnten verkürzten Hauptprobe keineswegs um eine letzte Erprobung des komplizierten technischen Apparates, der Licht regie usw. ging (das alles hatte vorher schon Herr Wendel besorgt), sondern lediglich um eine Orchesterprobe mit Chor und Ballett. Außerdem hatte Karajan das genannte Werk kurz vorher mit dem gleichen Ensemble auf Platten aufgenommen und entsprechend minuziös studiert. Und außerdem war die fatale Hauptprobe, wie ihr Name sagt, keineswegs die letzte vor der Premiere, sondern es stand noch die Generalprobe zur Verfügung.

Unter normalen Umständen hätte ein so erfahrener Dirigent wie Karajan auf die fehlende Viertelstunde oder halbe Stunde verzichten können. Aber der Hausherr fühlte sich beleidigt und reagierte dementsprechend.

Das ist die ine Seite der Angelegenheit. Die andere, ebenso unerfreuliche, ist, daß das technische Personal die sich bietende Gelegenheit einer Demonstration seiner Forderungen leider ohne Rücksicht auf seine Kollegen (wir meinen: das gesamte an diesem Abend beschäftigte Ballett) ergriff und so einen Abend gefährdet hat, für den monatelang hart gearbeitet worden war und auf den sich alle Beteiligten gefreut hatten.

Das Ganze aber ist symptomatisch für das Fehlen jenes guten Geistes der Zusammenarbeit und der Solidarität, den man unserer Oper so dringend wünscht und den man mit dem altmodischen Wort „Ensemblegeist” bezeichnet. Dieses Ensemble, das Große Ganze, bilden nämlich nicht nur Solisten, Chor und Orchester, sondern zu ihm gehören auch das „Mauerblümchen Ballett”, das technische Personal, die Verwaltung und, nicht zuletzt, der künstlerische Leiter. Vielleicht erinnert man sich daran im Lauf der künftigen Verhandlungen. (Die vorgesehene Premiere mußte um vier Tage verschoben werden. Wir berichten darüber in unserer nächsten Nummer.)

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