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Dr. h. c. Karajan?

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Karajan polarisiert die Meinungen. Die Meinungen jener, die ihn nie gehört haben, noch mehr als die Meinungen jener, die seine spezifisch künstlerische Leistung zu würdigen wissen. Auch die sind freilich über die nichtkünstlerischen Aspekte des Phänomens Karajan geteilter Meinung. Und nun wird das alte, immer wieder neue Pro-und-kontra-Karajan-Spiel zur Abwechslung an der Salzburger Universität ausgetragen, wo sich die juristische Fakultät gegen einen vom psychologischen Institut ausgehenden Antrag sperrt, Karajan ein Ehrendoktorat der Philosophie zu verleihen.

Daß die in den universitätsinternen Beratungen vorgebrachten Einwände der Juristen gegen den Antrag einer anderen Fakultät überhaupt in die Öffentlichkeit drangen, kann nur auf Indiskretion zurückzuführen sein. Der Vorwurf trifft freilich nicht die Zeitung, die schreiben darf, was man ihr erzählt, der aber irgend jemand etwas erzählt haben muß, was er ihr nicht hätte erzählen dürfen. Uber das Motiv kann man nur rätselraten. Aber die Zahl der möglichen Rätsellösungen ist nicht sehr groß.

Hoffnung auf Unterstützung von außen könnte ein Motiv gewesen sein. Ebenso könnte die Hoffnung, der ebenso empfindliche wie selbstbewußte Karajan könnte, von der neuen Diskussion um seine Person angewidert, auf den Ehrendoktor dankend verzichten, zu einer solchen Indiskretion geführt haben. Ebenfalls nur eine Möglichkeit - aber eine nahehegende, wenn wir nicht annehmen wollen, es hätte irgendwer mit irgendwem streng vertrauliche Angelegenheiten im Aufzug oder Kaffeehaus beredet und sei belauscht worden. Was ja auch eine Möglichkeit wäre. Aber die nächstliegende?

So hat also wohl wieder einmal jemand, der nicht hoffen konnte, seinen Standpunkt auf den verfahrensmäßig vorgezeichneten Wegen durchzusetzen, hintenherum zu verhindern versucht, was ihm nicht paßt. Im gegebenen Fall: per Öffentlichkeit. Und deshalb muß nun auch die Frage, ob Karajan Ehrendoktor der Salzburger Universität werden soll, öffentlich gestellt werden. Was spricht dafür - was dagegen?

Gegen die Ehrung sprechen, in den Augen der Karajan-Gegner, nicht nur Emotionen. Sondern zweifellos auch einige nichtkünstlerische Aspekte des Phänomens Karajan. Dessen Stellung als Symbol für die Kostspieligkeit heutigen Opernbetriebes. Seine Machtstellung im internationalen Musikbetrieb. Seine Vielseitigkeit bei der Vermarktung künstlerischer Produktionen, seine Geschäftstüchtigkeit. Vielleicht auch seine Unnahbarkeit. All dies wäre kritischer Durchleuchtung würdig (was leider daran scheitert, daß Karajan aus begreiflichen Gründen die Partituren seiner kaufmännischen Tätigkeit nicht so durchsichtig macht wie die von ihm dirigierten Symphonien und Konzerte). Aber all dies berührt nur die Opportunität, keinesfalls aber die Gerechtfertigtheit einer Ernennung zum Ehrendoktor.

Reden wir schon von der Opportunität, müssen wir freilich doch, zu Kara-jans Gunsten, auch das von ihm der Salzburger Universität gestiftete Institut für die Erforschung der psychologischen Wirkungen von Musik in Rechnung stellen. Und ihm ferner zugute halten, daß er zwar seinen Erfolg maximiert, wo immer er kann, aber die international eingerissene Uberdotierung des reproduktiven Musikbetriebes gegenüber anderen kulturellen Bereichen nicht erfunden hat. Er ist bloß aller Hochkultur-Verächter liebstes Aggressionsziel. (So gesehen, hat der Widerstand gegen seine Ehrung auch eine opportunistische Komponente!)

Anderseits wäre der Sache nicht gedient, würde man pro Karajan mit Argumenten auffahren wie: „Politiker werden auch zu Ehrendoktoren ernannt, ohne' daß man nach wissenschaftlichen Leistungen fragt!“ Genau dies ist nämlich in anderen Ländern üblich - nicht aber in Österreich, das nur, im Uberschwang der Nachkriegsgefühle, einen einzigen Politiker zum Ehrendoktor gemacht hat: Figl zum Doktor der Bodenkultur.

Die einzig richtige, die einzig mögliche Fragestellung lautet: Kann Werksinterpretation am Dirigentenpult verbaler Interpretation gleichgesetzt werden? Muß einer, der am Dirigentenpult unbestrittene Höhepunkte bei der Interpretation künstlerischer Werke gesetzt hat, auch noch hundert Seiten über Wagner, Beethoven, Mozart oder Verdi abgeliefert haben, um von den Juristen als Hermeneut voll genommen zu werden?

Eine Schichte tiefer, im psychologischen Bereich, geht es darum, ob Wissenschaftler bereit sind, eine künstlerische Leistung als ebenbürtig anzuerkennen. Geisteswissenschaftler sollten da keine Schwierigkeiten haben. Die Salzburger Kabalen aber zeigen, daß selbst (manche) Naturwissenschaftler in dieser Beziehung einsichtiger sind als (manche) Juristen.

So gesehen, steht in Salzburg aber auch die Glaubwürdigkeit der österreichischen Universitäten auf dem Prüfstand, die sich nun diplomatisch aus der Affäre ziehen müssen: Lehnen die Salzburger Professoren die Verleihung des Ehrendoktorates ab, werden sie des Kantönligeistes geziehen; sagen sie ja, betreten selbsternannte Kämpfer wider die Hochkultur die Szene; lehnt aber Karajan selbst ab, haben wir den Wirbel erst recht.

Der Urheber einer Indiskretion hat die Causa zum Testfall gemacht.

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