6736035-1966_20_15.jpg
Digital In Arbeit

Pfeifkonzert für Messiaen

Werbung
Werbung
Werbung

Das 3. Abonnementkonzert der Münchner „Musica Viva“ begann mit den bereits klassisch gewordenen „Sechs Stücken für Orchester" von Anton Webern. Das kammermusikalisch-durchsichtige, lyrischaphoristische Opus 6, das dem Orchester sehr viele ‘ sollstische Details a'hbVferiangt,' • zählt zu den wenigen Werken Weberns, die ins Repertoire Eingang fanden. Selten hört man dagegen die 1. Kantate für Sopran, Chor und Orchester auf Worte von Hildegard Jone. Diese Arbeit zeigt Webern von einer dramatischen Seite, wie man sie an ihm kaum kennt. Mit erstaunlicher Sicherheit, aber etwas dünner Stimme stellte sich Anita Westhoff der heiklen Aufgabe des Soloparts. Bei Wolfgang Fortners „Aulodie für Oboe und Orchester" ging es dann mit vollen Segeln in die stürmische See der zeitgenössischen Musik. Dieses Werk, das seine Uraufführung beim Weltmusikfest der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik im Jahre 1960 in Köln fand, ist zweifellos eine beachtenswerte Bereicherung der konzertanten Literatur. Fortners Zwölftontechnik kommt dabei zu eindrucksvoller Entfaltung. Mit „Aulodie“ will der Komponist den Gesang der Oboe kennzeichnen (der „Aulos“ war ein altgriechisches Blasinstrument), also ein etwas bildungsbeladener Name für Melodie oder Kantilene. Der meisterhafte junge Oboist Lothar Faber verhalf dem Werk zu einem durchschlagenden Erfolg für den persönlich anwesenden Komponisten.

Der zweite Teil des Konzerts war Olivier Messiaen gewidmet. Die geniale, unverwechselbare Originalität dieses Mannes machte aus der „Musica Viva“ eine musica vivis- sima. Das Publikum spaltete sich in zwei Fronten, schrille Pfiffe und ausgedehnte Buh-Rufe übertönten den Beifall und das Bravo der seriösen Zuhörerhälfte. Was aber ist es, daß sich die Geister an diesem großen Franzosen so lautstark scheiden? Das Werk, das wir hörten, heißt „Trois Petites Liturgies de la Presence Divine" für Klavier, Ondes Martenot, Chor und Orchester (es sind drei kleine Liturgien über die Allgegenwärtigkeit Gottes). Olivier Messiaen hat alle Staffiėh def modernsten akustischen Ausdruckmittel entscheidend beeinflußt und geprägt, von der seriellen Musik bis zur „musique concrete“ und der elektronischen Musik. Wenn er aber wie hier in diesem Frühwerk von 1944 rein „tonal“ schreibt, so „schockiert“ dies das junge Publikum.

Eigenartigerweise nimmt man Strawinsky die reine Harmonie seines „Halleluja“ in der Psalmensymphonie nicht übel, während man Messiaen auspfeift, wenn er zu einem reinen A-Dur findet. Freilich, wenn der Frauenchor im Unisono mit den Ondes Martenot (einem in Frankreich viel verwendeten elektronischen Instrument) melodische Linien nachzeichnet, könnte der Eindruck einer etwas kitschigen Primitivität entstehen, aber erstens wird Messiaen von der Klangästhetik des echten Franzosen vor Geschmacklosigkeit bewahrt und zweitens kann man — kennt man Messiaen persönlich — versichern, daß es sich hier um echte Naivität des schöpferischen Menschen und nicht um die Pose eines musikalischen Spekulanten handelt. — Jeder der drei Komponisten dieses Konzertes fand in Günter Wand einen souveränen Interpreten — in seiner professoralen Erscheinung und der gestochenen Diktion an Hans Rosbaud erinnernd —, der in exemplarischer Weise das glänzend disponierte Symphonieorchester des Bayrischen Rundfunks und den von Wolfgang Schubert zuverlässig einstudierten Rundfunkchor dirigierte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung