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Musik aus mystischer Inspiration

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Selten war auf dem Podium des Konzerthaussaales ein so riesiger Apparat aufgestellt wie zur österreichischen Erstaufführung von Olivier Messiaens Werk „La transfiguration de Notre Seigneur Jesus-Christ“, das, in den Jahren 1965—1969 geschrieben, an Umfang die lOteilige, 75 Minuten dauernde „Turangalila-Symphonie“ noch um 20 Minuten übertrifft. Leider entsprach dem materiellen und' künstlerischen Aufwand der Besuch in keiner Weise: der groß Saal war nur knapp zur Hälfte gefüllt. Es scheint uns daher geboten, wieder einmal an Olivier Messiaen, einen der originellsten Musiker unserer Zeit, zu erinnern.

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Selten war auf dem Podium des Konzerthaussaales ein so riesiger Apparat aufgestellt wie zur österreichischen Erstaufführung von Olivier Messiaens Werk „La transfiguration de Notre Seigneur Jesus-Christ“, das, in den Jahren 1965—1969 geschrieben, an Umfang die lOteilige, 75 Minuten dauernde „Turangalila-Symphonie“ noch um 20 Minuten übertrifft. Leider entsprach dem materiellen und' künstlerischen Aufwand der Besuch in keiner Weise: der groß Saal war nur knapp zur Hälfte gefüllt. Es scheint uns daher geboten, wieder einmal an Olivier Messiaen, einen der originellsten Musiker unserer Zeit, zu erinnern.

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Als Sohn der symbolistischen Dichterin Cecile Sauvage und eines Anglisten und Shakespeare-Ubersetzers, dessen Vorfahren aus dem Flämischen eingewandert waren, wurde Olivier Messiaen 1908 in der Dau-phine bei Grenoble geboren. 1919 bis 1930 war er Meisterschüler des Pariser Konservatoriums, mit 31 Jahren der jüngste Organist Frankreichs an der Kirche Sainte-Trinite und mit 33 bereits Professor am Konservatorium. Sein Forschungsdrang in jenen frühen Jahren muß unbändig gewesen sein, und auch heute noch interessiert sich Messiaen für alles Neue: Neben der Gregorianik studierte er die Rhythmen und Modi der Hindumusik und die neuen Elektrotoninstrumente, besonders die französischen „Ondes Martenots“ benützt er ebenso wie die Stimmen der Vögel, und zwar nicht nur die seiner Bergheimat, sondern auch die entferntester, exotischer Gegenden, die er unermüdlich und mit akribi-scher Genauigkeit aufzeichnete. Sie durchtönen fast alle seine Kompositionen.

Bereits ein frühes Werk, das im Jahre 1941 im Kriegsgefangenenlager von Görlitz geschriebene und aufgeführte „Quatuor pour la fin du temps“, zeigt die Inspirationsquelle und alle wesentlichen Merkmale von Messiaens Musik. Hier wie in den während der folgenden Jahre entstandenen „Visionen über das Amen“ für zwei Klaviere und in dem zweistündigen Klavierwerk „Zwanzig Blicke auf das Jesuskind“ erweist sich Messiaen als moderner Mystiker, der auch den Hörer an seinen Visionen und Ekstasen teilnehmen lassen will. Aber das ist eines der schwierigsten künstlerischen Unterfangen, das nur selten gelingt.

Obwohl Messiaen von Debussy herkommt, ist seine Musik eher expressionistisch. Wie bei vielen Mystikern ist auch Messiaens Schaffen von allerlei Spekulationen angeregt,

zum Beispiel von der Zahlensymbolik (Dreieinigkeit, das siebentägige Schöpfungswerk, die Zwölfzahl der Apostel). Daraus leitet er Rhythmen, Taktformen, Tonreihen und Intervallverhältnisse ab, und was sich frei, rhapsodisch, zuweilen willkürlich anhört, ist das Ergebnis minuziöser Organisation des Materials, der musikalischen „Realien“, und nicht umsonst ist sein Analysekurs am Conservatoire weltberühmt. (Es gibt kaum einen zeitgenössischen Komponisten von Rang, der ihn nicht besucht hat.)

Das durch die ORF-Chöre von Wien und Salzburg, das ORF-Orchester und sieben solistisch hervortretende Instrumentalsolisten unter der Leitung von Miltiodes Caridis aufgeführte Werk mit dem Titel „Die Verklärung unseres Herrn Jesus Christus“ besteht aus zwei verschieden langen, aber völlig gleich angelegten Teilen mit je sieben Stücken: auf den 1. Bericht des Evangelisten folgen zwei Meditationen, auf den 2. Bericht wiederum zwei Meditationen, hierauf der Schlußchoral. Die mosaikförmig zusammengefügten Texte stammen aus dem AT und dem NT, dem Meßbuch und der Summa theologica des heiligen Thomas. Sie werden von einem in zehn Gruppen zu zehn Sängern aufgeteilten gemischten Chor vorgetragen. Das Instrumentalensemble, das nicht nur Begleitfunktion hat, sondern auch häufig selbständig musiziert, besteht aus 18 Holz- und 17 Blechbläsern, einem Streichquintett aus 68 Mann und sechs vielfältig beschäftigten Schlagwerkern. Von dem sehr virtuos eingesetzten So-listenseptett seien wenigstens Yvonne Loriot, Klavier, und Leonhard Wal-Usch, Violincello, genannt.

Nun wäre diese Musik zu beschreiben. Aber das kann man kaum. Mittelalterliches (Gregorianik) steht neben Naturlauten und Sphärenharmonien, Geräuschorgien werden von süßem Wohlklang abgelöst. Die Partitur wirkt auf weite

Strecken sehr zerklüftet und zerrissen, das Mosaik will sich nicht recht zum Gesamtbild fügen, und die vielen, vielen immer wieder hereinklingenden Vogelstimmen, die von den verschiedensten Instrumenten naturalistisch nachgeahmt werden, hat Messiaen selbst, im Laufe eines fast zweistündigen Gesprächs mit Prof. Rudolf Klein in der österreichischen Gesellschaft für Musik, wo er an Hand der Riesenpartitur das 14teilige Werk erläuterte, als „seinen Tick“ bezeichnet.

Unter der sicheren Leitung des stets präsenten Miltiades Caridis gaben sich alle Ausführenden jede erdenkliche Mühe, es dem Komponisten recht ziu machen, der nach der Aufführung mit langanhaltendem, sehr herzlichem Applaus gefeiert wurde. Gottfried Preinfalk und Ernst Hinreiner hatten die Chöre sorgfältig einstudiert und damit die Voraussetzungen zu dieser Aufführung geschaffen.

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