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Neue Musik in Wien
Ein Konzert wie das letzte im Großen Sendesaal des Wiener Funkhauses gibt es wohl nur einmal in der Saison. Auf dem Programm standen nämlich lauter Novitäten, und zwar hörenswerte. Das Ensemble „20. Jahrhundert“ unter Peter Burwik sowie die Sopranistin Marjana Lipovsek waren die kompetenten Ausführenden, und das Publikum war sehr begeistert.
Besonders gut als Intrada eignete sich die Instrumental-Motette „Ut hermita solus“ von Harrison Birt-wistle nach Johannes Ockeghem. Wie der zur „Manchester-Gruppe“ gehörende, 1934 geborene Birtwistle das kunstvoll gewebte Vokalstück seines großen Kollegen aus dem 15. Jahrhundert für ein farbiges Kammerensemble umgesetzt hat, war sehr angenehm festzustellen und anzuhören. Er tat es, ohne die Harmonien anzutasten und geht da einen ähnlichen Weg wie die S wingle S inge rs, die ja bekanntlich aus Instrumentalwerken (hauptsächlich von Bach) konzertante Vokalstücke machen.
Jean Barraque, 1928 geboren, Schüler von Messiaen und Mitarbeiter der „GroupedeRecherches“amORTFließ sich zu seinen „Sequences“ von Gedichten und Prosatexten Friedrich Nietzsches inspirieren. Die französische Übertragung durch Henri Albert vertraute er einem dramatischen Sopran an und läßt diesen, an den ungewöhnliche Anforderungen, vor allem was Treffsicherheit bei großen Intervallen betrifft, gestellt werden, von einem sehr differenzierten und farbigen Ensemble begleiten: es wird aus drei Schlagergruppen, Klavier, Harfe, Vita raphon, Celeste, Glockenspiel, Violine und Cello gebildet. Marjana Lipovsek zeigte nicht nur Treffsicherheit bei den großen Sprüngen, sondern auch eine sehr umfangreiche, zuweilen in Altbereiche hinunterreichende kräftige Stimme. Übrigens arbeitet der Nietzsche-Komponist Barraque derzeit an einer umfangreichen, mehrteiligen instrumentalen und vokalen Komposition nach Hermann Brochs Roman „Der Tod des Vergü“.
Ein genauer Kenner der verschiedenen Blasinstrumente scheint der 1924 geborene Francis Miroglio zu sein, der bei Milhaud und Maderna studiert hat. Das einsätzige Stück „Masques“ gibt es in mehreren Fassungen. Wir hörten als Uraufführung die für neun Blasinstrumente. In ihr zeigt Miroglio nicht nur eine vollkommene Beherrschung des unkonventionellen Bläsersatzes, sondern auch eine Vorliebe für extreme Lagen und ungewöhnliche Spielarten. Auch an interessanten kompositorischen Einfällen fehlt es ihm nicht.
Gerhard Wim berger, Jahrgang 1924, wurde zwar in Wien geboren, entwik-kelte sich dann aber zum Salzburger. Hier wurde er zum Dirigenten und Komponisten ausgebildet, und hier lehrt er derzeit und ist Mitglied des Direktoriums der Salzburger Festspiele. Er hat die Hand des Dramatikers und die des originellen Instrumentators, dem es auch an bizarren Einfällen nicht fehlt Wir kennen seine „Dame Kobold“, die „Schaubudengeschichten“, die heiter-ironische „Heiratspostkantate“ sowie seine „Plays“ für 12 Violoncelli, Bläser und Schlagzeug. Er selbst bezeichnet sich als „radikal unorthodox“.
Eine Zeitlang schien er dem Seria-lismus verfallen, aber jetzt hat er sich wieder „erfangen“. Sein 1977 geschriebenes „Concerto a dodici“ schrieb er für Streicher, Bläser, Klavier und Schlagzeug. Der Untertitel „Viaggi“ erläutert den musikalischen Inhalt: es sind Reisen, welche die Töne durch den Tonraum unternehmen, sowie die Abenteuer, die sie dabei erleben. Erfindung und Klanggefühl, verbunden mit sehr gekonnter Instrumentation, sorgen dafür, daß wir mit Interesse diesen „Reisen“ folgen, die zu Melodien, immer neuen Klangfiguren, Akkorden, Überschneidungen und Klangflächen zusammentreten. Auch rhythmische Passagen gibt es in dem Stück, die es vor deriGefahr eines gewissen „Amorphismus“ bewahren.
Keines der Werke dauerte länger als 15 Minuten, und obwohl jeder der vier Komponisten aus vier Nationen seine eigene Handschrift hat, sind die ein-' zelnen Kompositionen „austauschbar“, tragen keine bestimmten nationalen Merkmale. Peter Burwik und seinem Ensemble ist für einen ebenso wichtigen wie interessanten und unterhaltsamen Abend zu danken.
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