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Im Vorraum der sakralen Kunst

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“Bei der Zuordnung eines Werkes zur Sakralmusik geht es nicht nur um den Stoff, den Text an sich, sondern auch um die Gestalt, die Sprachform des Textes; nicht nur um den absoluten künstlerischen Wert einer Komposition, sondern auch um die geistige Haltung, wie sie sich im Gesamtstil spiegelt. Die vollkommene Synthese aller Elemente ist — das spüren wir immer deutlicher — in der Gre-gorianik erreicht. Soweit in späteren Jahrhunderten ein einheitlicher Stil überhaupt noch zu verwirklichen war, wurde er von J. S. Bach geschrieben. Für jene Zeit erweist sich neben dem Choral die Polyphonie der Fugen, fnven? tionen, Kanons usw. als adäquatestes Ausdrucksmittel des Numinosen. Ein großartiges Beispiel echter sakraler Kunst ist das „M a g n i f i c a t“ für Soli, fünf .stimmigen Chor und Orgel von Bach, das wir in der dritten Philharmonischen Akademie unter Clemens Krauß hörten. — Beethovens Oratorium „Christus am ölberg“ ist durch mehr als die zeitliche Distanz eines Jahrhunderts von Bachs Werk und Stil getrennt. Da ist zunächst der Text von F. X. Huber: bürgerlich-barock, schwulstig, sentimental und opernhaft. Die Musik, mit ihren Duetten, Terzetten und Kriegerdiören ist, von wenigen Stellen abgesehen, reine Opernmusik und klingt wie eine Vorstudie zu „Fidelio“. Sie hat das edle, strahlende Freiheitspathos Beethovens und der Aufklärung — aber kaum etwas vom Geiste der Passion. Dirigent und Staatsopernchpr-fühlten sich bei der Wiedergabe dieses Werkes wesentlich sicherer in ihrem (Opern-) Element als bei Bach, dessen Interpretation sehr anfechtbar war. An der Spitze der Solisten: Julius Patzak, neben ihm Vilma Lipp, Rosette Anday und Ludwig Weber. Franz Schütz hätte sich gegen das Orgel-gebrause jeweils am Ende der Chöre wehren müssen, Kurt Rapf begleitete am Cembalo.

Das Kompositionskonzert Raimund Weißen-steiners umfaßte, oberflächlich betrachtet, zwei geistliche und zwei weltliche Kompositionen, und doch möchten wir sein Gesamtwerk als „geistlich“ bezeichnen, auch dort, wo sich der Komponist ausgesprochen profaner Formen bedient. „Es ist der Geist, der sich den Körper baut.“ Dieser Geist der Strenge, der Unbedingtheit, der Ekstasis im edelsten Sinne des Wortes findet entsprechenden Ausdruck im Kompositionsstil Weißen-steiers. Die Formen sind groß und geschlossen, manches wirkt unbehauen und kantig; alles Schwelgerische, Nur-Gefühlsmäßige ist verbannt: daher ist die Harmonik herb und hart, vielstimmige Bläserakkorde jm Fortissimo werden ausgiebig mit Dissonanzen geschärft. Diese Musik ist nicht immer ein Ohrenschmaus, aber sie wirkt erhebend und aufrüttelnd auf den ganzen Menschen. — Wenn das Publikum eine starke Persönlichkeit spürt, wie sie ihm etwa in Weißensteiner entgegentritt, so geht es mit, trotz Abneigung gegen Modernität und Dissonanzen. Weißensteiner widerlegt mit seinen acht Symphonien

— besonders aber mit seiner Vierten, die ich von den aufgeführten für seine beste halte — auch die These, daß die Form der Symphonie „tot“ und „erledigt“ sei. — Ein neues Klavierkonzert aus dem Jahre 1949 mit vier ineinander übergehenden Sätzen von knapp halbstündiger Dauer müßte eigentlich „Orchestermusik mit Klavier“ heißen — \vie seinerzeit Waqner-Regeny eine seiner Kompositionen nannte (Solist: Hans Weber). Zu Beginn de Konzerts spielte Franz Eibner acht Variatio-. nen über den Choral „Schönster Herr Jesus“ für Orgel. Den stärksten Eindruck bei diesem Konzert empfing man von dem mittleren Teil der „Lieder eines Gefangenen fSoüstin: Ilona Steingruber), wo die psalmodierende Singstimme, nur von Bläsirakkorden begleitet, „Das tägliche Gebet des Gefangenen' vorträgt, das einen ebenso ausdrucksstarken wie reinen Stil zeigt. Dieses Werk wurde v/ährend des Krieges im Gefängnis geschrieben, und es erweist sich darin, daß in der ärgsten Not kein Raum ist für Sentimentalität und Theaterdon? ner. Dieser neue, zugleich sachliche und ehrfürchtige Geist spricht auch aus einer kurzen Erläuterung, die der Priesterkomponist Weißensteiner seinem Werk beigegeben: „Im Gefängnis war es Brauch, mit der Außenwelt durch verläßliche Mittelspersonen zu verkehren. Dabei bediente man sich der sogenannten Kassiber. Vom Gefängnis dieser Welt schicke ich bittend und zagend einen Kassiber in die andere Welt hinauf. Als Mittelsperson bediene ich mich dazu der zuverlässigsten und besten, die ich kenne, und dies ist nach meinem Glauben die Heiligste aller Frauen.“

— Eine besondere Bewährungsprobe hatte in diesem Konzert, das der Komponist selbst leitete, das Orchester der Wiener Symphoniker zu bestehen, da Weißensteiner in der Regel keine Einsätze gibt, sondern sehr akzentuiert den Takt schlägt, so daß es für die Spieler zuweilen nur eine Rettung gab — wegzuschauen!

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