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Alte Musik auf neuen Schallplatten

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Auch wer häufig Konzerte besucht, viel Radio hört und dies jahrelang tut, wird fast ausschließlich Musik des 18. und 19. Jahrhunderts und nur ab und zu eine moderne Komposition und gewisse Standardwerke der Barockmusik hören. Aber die abendländische Musik ist reicher und vielfältiger, es gibt unzählige verborgene Schätze, die nicht nur wegen hrer musikhistorischen Bedeutung, sondern auch wegen ihres absoluten Wertes als Kunstwerke Interesse verdienen. Die „Deutsche Grammophon Gesellschaft“ hat sich mit der Archivproduktion ihres Musikhistorischen Studios, das von dem bekannten Musikhistoriker und Herausgeber der Zeitschrift „Musica“, Dr. Fred Hamel, geleitet wird, die Aufgabe gestellt, diese Schätze ans Licht zu heben' und zu klingendem Leben zu erwecken. Durch die wissenschaftlichen Editionen, welche besonders während der letzten 50 Jahre veranstaltet wurden, durch eingehendes Studium der Aufführungspraxis alter Musik, ihres Instrumentariums und der verschiedenen Sing- und Spielmanieren wurden die Voraussetzungen zu einem Unternehmen geschaffen, das seinesgleichen nicht hat.

Das gesamte, etwa 1000 Jahre umfassende und von den frühesten Anfängen bis zur Klassik reichende Material wurde in zwölf Forschungsbereiche eingeteilt: Gregorianik, zentrales Mittelalter, Frührenaissano, Hochrenaissance, italienisches Seicento, deutsche Barockmusik, Westeuropa zwischen Barock und Rokoko, italienisches Settecento, das Schaffen J. S. Bachs, Werke von G. F. Händel, deutsche Vorklassik, Mannheim und Wien (bis 1800). Unter diesen Titeln finden sich: die ersten vollständig auf Schallplatten aufgenommenen Ostersonntags- und Totenmessen (mit dem Chor der Mönche der Benediktiner-Erzabtei St. Martin in Beuron), Lieder der Troubadours, Trouveres und Minnesänger, Musik der Spielleute aus dem 13. Jahrhundert, Rondeaux von Adam de la Halle und dessen berühmtes . „Jeu de Robin et de Marion*, geistliche Gesänge von Dufay, weltliche Lieder nach den Notenbüchern der Margarete von Oesterreich, Chöre von Heinrich Isaac und Madrigale von Luca Marenzio, heitere und ernste deutsche Chorlieder von Hans Leo Haßler, Leonhard Lechner und Ludwig Senfl, eine Messe von Orlandus Lassus, das „Lamento d'Arianna“ von Monteverdi, die Kantate „Jephte“ von Carissimi, Cembalo- und Lautenmusik von Froberger, Buxtehude und Johann Kuhnau, Ensemblesuiten von Samuel Scheidt und Hermann Schein, Gambenmusik von Henry Purcell, Lautenstücke vom Hof Ludwigs XIV., Glockenspiele der Kathedrale von Malines in den Niederlanden, Con-certi grossi von Corelli und Vivaldi, Kantaten und Gravicembalomusik von Scarlatti. Den größten Raum nimmt selbstverständlich das Werk von J. S. Bach ein, dann folgt G. F. Händel. Eine Auswahl von Georg Friedrich Telemann, Carl Stamitz, der Bach-Söhne sowie einiger Frühwerke von Haydn und Mozart beschließen das Repertoire.

Da es unmöglich ist, alle Autoren und Titel aufzuzählen, verweisen wir auf den bei der PHILIPS-Gesellschaft (Wien I, Schwarzenbergplatz 2) gratis erhältlichen Gesamtkatalog der „Archivproduktion“ und nennen einige markante und besonders geglückte Aufnahmen aus dieser Reihe: Joseph Greindl, Baß, ein Posaunenquartett und Klaus Fischer-Dieskau am Orgelpositiv sind die Ausführenden dei zwei „Symphoniae Sacrae“ von Heinrich Schütz; die „Musicalischen Exequien“, die sich auf der gleichen Platte befinden (APM 14 0 23), werden von einem auserlesenen Gesangsseptett, dem Heinrich-Schütz-Chor, München, und einem Instrumentalensemble unter der Leitung von Karl Richter aufgeführt. Von den 18 aufgenommenen Motetten und Kantaten Bachs seien zwei hervorgehoben: „Ich will den Kreuzstab gerne tragen“ und „Ich habe genug“ mit Dietrich Fischer-Dieskau, Hermann Töttcher, Oboe, dem Berliner Kammerchor und einem Kammerorchester unter K. Ristenpart (beide Kantaten auf APM 14 0 04). Als Probe des reichen Orgelschaffens von J. S. Bach höre man sich die 45 kurzen Stücke des Orgelbüchleins an, die Helmut Walcha auf dem schönsten uns bekannten alten Instrument spielt, der Schnitger-Orgel (APM 14 0 21 und 14 0 22). Von den „Brandenburgischen Konzerten“ nennen wir Nr 2 und Nr. 3 (AP 13 0 16) wegen der hervorragenden Instrumentalsolisten und des stilechten Musizierens der Schola Cantorum Basiliensis unter A. Wenzinger. Die federnd Bewegung und der durchsichtige Klang des Ensembles sind einzigartig. Wer eine prunkvollere Einkleidung der alten Musik liebt, wird an den zwölf Concerti grossi Händeis. die von den Bamberger Philharmonikern unter Fritz Lehmann gespielt werden, seine Freude haben. Besonders empfehlenswert sind die letzten vier der Reihe, die in F-dur und d-moll (auf APM 14 0 15) und die Concerti in A-dur und h-moll (APM 14 0 16).

Bei der Interpretation war man bemüht, lebendige Musik möglichst stilecht zu produzieren. Daher sind die genannten Werke nicht nur für Musikseminare, Konservatorien, Colleges und höhere Lehranstalten, sondern auch — und in erster Linie — für den anspruchsvolleren Musikfreund von Wert und Interesse (Die einzelnen Langspielplatten kosten je nach ihrer Größe: 198, 162 oder 66 S.)

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