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Kammermusik
Enrico M a i n a r d i, dessen Kunst des Cellospiels formale Ausgewogenheit und persönlichen Ausdruck zu absoluter Einheit verbindet und eben dadurch den Hörer am stärksten bewegt, hat in den beiden Sonaten von B r a h m s (e-moll, op. 38, und F-dur, op. 99) ein höchst lebendiges Profil des Hamburger Meisters und seines gigantischen Spannbogens von früher Melancholie bis zur lächelnden Weisheit der späten Jahre geben können. Mainardis Ton überzeugt nicht nur durch seine süße Fülle, noch mehr dadurch, daß alle technische Kunst in ihm aufgegangen und in den Dienst geistigen Erler/ens gestellt ist. Daß eine solch restlose Einsetzung einer Gleichgestimmtheit des Betreuers am Klavierpart bedarf, hat die Gemeinschaft mit Carlo Zecchi im positiven Sinne überzeugend bewiesen.
Nach Gesängen von Mozart und Beethoven hat Anton D e r m o t a den zweiten Teil seines Liederabends österreichischen Komponisten der Gegenwart und ihrem Liedschaffen gewidmet. Drei Lieder von Fritz Skorzeny überraschten durch die Klarheit und Reife ihrer Diktion und ihres in sich versunkenen Ausdrucks. Bei aller romantischen Grundhaltung tritt der Wille zur gestaltenden Form erfreulich deutlich in den Vordergrund. Zwei Lieder von Ernst Ludwig Uray, ungefähr vom gleichen Herkommen, sind charakteristisch durch das fast ungestümen Drängen nach härteren formalen und klanglichen Manifestationen. Mit Liedern von Altmeister Joseph Marx wurden Ausgangspunkt und Vollendung dieses Stiles überzeugend dargestellt. Anton Dermota, bisher fast nur den Liedern (und Arien) älterer Meister zugewandt, bewies hervorragendes Einleben in das Schaffen der Gegenwart, das sehen genug der Interpretation solcher Künstler teilhaft wird. Das Schaffen der neueren Richtung (etwa Apostel, Alban Berg usw.) wurde allerdings schmerzlich vermißt. Hilde Berger-Weyerwald war eine feinsinnige und hingegebene Begleiterin.
Ralph K i r k p a t r i c k ist in Wien kein Fremder mehr. 1?54 trug er Werke von Scarlatti, im Vorjahr Bachs Goldbergvariationen vor, heuer brachte er Cembalomusik aus drei Jahrhunderten, darunter einige Seltenheiten, etwa William Byrds, des Domorganisten von Lincoln dreigliedriges tänzerisch empfundenen Poem, Jan P. Sweelinks, des Organisten der Oude Kerk in Amsterdam elegischen Abgesang „Mein junges Leben“. Dann kam eine Gruppe deutscher Cembalomusik, eine Abteilung ' französischer (darunter die farbig geschauten Badeszenen von Francois Couperin, des Neffen von Louis, Organist von St. Gervais in Paris, Rameau und — vor dem abschließenden Scarlatti — den auch selten zu hörenden spanischen Hoforganisten Antonio Cabezon. Auf dem zweimanualigen, etwa fünfzehn Jahre alten, gut gehaltenen Neupert-Cembalo verstand es Kirk-patri'ck, obschon die gewöhnliche Art des Anschlages kaum eine Schattierung zuläßt, dennoch dynamisch zu spielen und bei aller instrumentalen Helle und Strenge dem Gemüt das seine zu geben, vor allem auch die Eigenart der Nationen auszudrücken, und aus dem Geiste des Instrument: heraus zu musizieren, also durchaus ohne Reminiszenzen an die Interpretation alter Musik auf modernen Konzertflügeln.
Zum erstenmal in Wien dagegen war das K a m-merorchesterderStadtLinz, das vor zwei Jahren gegründet wurde. Ein Wagnis, daß es Johann S. Bachs „Kunst der Fuge“, ein abendfüllendes Werk, brachte, von dem noch immer da und dort die Sage geht, es wäre ein Lehrbuch. Wir hörten in Wien ja schon viele Bearbeitungen, von „kammermusikalischen“ bis zu romantisierenden. Die Fassung für Streichorchester, die diesmal zu hören war, geht auf die Streichquartettbearbeitung durch Klemm-Weymar zurück, die Einteilung bzw. Ordnung auf ' Wolfgang Graeser. Im ersten Teil dominierte eine gewisse klangliche Fülle, es war wie ein Glänzen vieler Kerzen, wie ein Wogen barocker Säulen, Emporen und Stukkos. Zum Beginn des zweiten Teiles konnten die Solisten zeigen, was sie können (Rosemarie Kolb, die Herren Reutterer, Rois und Peer). Der Dirigent Michael Hutterstrasser — ohne Stab, mit den Händen modellierend — machte mit seiner, seltene, aber dann desto packendere Höhepunkte suchenden Interpretation (er schrieb auch die interessante Programmeinleitung) einen guten Eindruck.
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