Er ist beides: Anreger und Aufreger

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Manchmal kommt man aus dem Staunen nicht hinaus. Etwa, als 2001 der damals 76-jährige Pierre Boulez in seinem Basler Hotel aufgefordert wurde, seine Papiere abzugeben und damit kurzfristig an seiner Weiterreise nach Chicago gehindert wurde, wo er mehrere Konzerte dirigieren sollte. Der Grund: Vor Jahren hatte er in einem berühmten Spiegel-Interview gefordert, die Opernhäuser in die Luft zu sprengen. Was selbstverständlich nicht wörtlich gemeint war, sondern als Aufforderung an die Intendanten, ihre Häuser mehr der Moderne zu öffnen, was man nach kurzen Recherchen auch in der Schweiz erkannte. Kultur, forderte Boulez stets, dürfe nie wie eine Bibliothek funktionieren. Sonst könne sie sich gegenüber der Macht der Vergangenheit nicht durchsetzen. Vielmehr müsse es jeden Morgen brennen, jeder Abend müsse aus der Asche neu entstehen, sagte er in einem Interview zu seinem 80. Geburtstag. Der in eine Ingenieursfamilie in Montbrison hineingeborene Pierre Boulez war immer beides: Anreger und Aufreger. Freilich nicht in einem billigen populistischen Sinn, sondern von der Aufgabe erfüllt, neue Ufer zu eröffnen und zu betreten. Wozu er, der erst einmal Mathematik studierte, ehe er sich ganz der Musik verschrieb, nicht zuletzt durch die Erfahrungen mit seinen großen musikalischen Lehrern, dem Komponisten Olivier Messiaen und dem Dirigenten René Leibowitz, inspiriert wurde. Klare Konstruktion und differenzierte Klanglichkeit sind Kennzeichen seiner Werke, an denen er oft Jahrzehnte feilt und die seine Affinität zur 2. Wiener Schule, zu seriellen Techniken und elektronischen Möglichkeiten - auf Boulez geht das weltberühmte, von ihm jahrelang geleitete Pariser Institut de Recherche et de Coordination Acoustique/Musique (IRCAM) zurück - dokumentieren. Spätestens seit der Uraufführung von "Le Marteau sans Mâitre" 1955 zählt Boulez zu den bedeutendsten Vertretern der internationalen Avantgarde. Daneben profilierte er sich mit der Gründung und Leitung des Ensemble InterContemporain, durch Chefpositionen beim BBC Symphony Orchestra und den New Yorker Philharmonikern, der Leitung des Bayreuther Jahrhundert-"Ring" und zahlreichen Gastdirigaten bei den bedeutenden amerikanischen und europäischen Orchestern, darunter die Wiener Philharmoniker, mit denen er maßstäbliche Aufnahmen einspielte, als einer der führenden Interpreten der Gegenwart. Am 26. März feiert er in seinem Wohnsitz in Baden-Baden seinen 90. Geburtstag.

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