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Verführung zum Bösen

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Alban Bergs „Lulu“, 1937 in Zürich teilweise uraufgeführt, hat nach der Wiener Premiere (Juni 1962) im damals neueröffneten Theater an der Wien einen langen Umweg gemacht, über Essen, Hamburg, München, Hannover, Düsseldorf, Stuttgart und Graz, ehe sie nun in Wien erstmals in der Staatsoper zu sehen war. Wie damals an der Wien auch nun in Otto Schenks inszenierung und mit Karl Böhm am Pult, was beinahe schon eine Garantie für eine klarlinige, wohldurchdachte, gut proportionierte Aufführung war.

Gewiß, um das Problem der mehr oder minder freischwebenden Schlußszene kommt keine Präsentation herum. Aber Schenk hat es auch diesmal verstanden, die sechs Bilder, Bestandsaufnahmen verschiedener Stationen eines Aufstiegs aus der Gosse und eines Falls ebendorthin, die Verführung zum Bösen psychologisch zwingend, in packenden Spannungskurven aufzubauen, so daß man die fehlenden Teile gern in Gedanken zu ergänzen bereit ist. Um so mehr, als er Lulu in ihrer Urbestimmung, Böses zu stiften, als Urschlange in einer verrotteten Welt, als Urverführerin mit den großen unschuldsvollen Kinderaugen, überzeugend charakterisiert. Die Gestalt bindet relativ lose Ereignisse, und Wedekinds expressive Reißerstory verfehlt nicht ihre Wirkung.

Karl Böhm durchleuchtete die in herrlichsten Farben schimmernde Partitur scharf, pointierte die Details minuziös, mit feinem Gespür für knappe Formen und deren subtile Stimmungswerte, so daß ein „Klangbild vibrierender Erotik“ zustande kam. Günther Schneider-Siemssen schuf markant konturierte Bühnenbilder in einem eher kühlen Jugendstil, Dekors, die manchmal an Gaudi-Interieurs gemahnen, in ihrem

Grauschwarz voll drohender Momente, voll Unsicherheit. Sie zählen übrigens in ihrer stilistischen Konsequenz zu seinen besten Arbeiten der letzten Jahre. Hill Reihs-Gromes entwarf elegante, kontrastreiche Kostüme, besonders für Lulu, die, bald Engel, bald Verführerin, stets eine Augenweide ist.

In Anja Silja bat Otto Schenk eine Lulu-Interpretin, die seinen Intentionen voll entgegenkommt, die Bösartigkeit aus kindlichem Mutwillen, hemmungslose Weiblichkeit bis in die feinsten Nuancen sicher trifft: Geschaffen, alle zu verderben, spielt sie mit eigenen Gefühlen und denen anderer — oft am Rande des Abgrunds — und gefällt sich dabei in narzißtischer Selbstbespiegelung: „Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig.“ Frau Silja hat gesanglich die Partie souverän gestaltet, wußte die kantablen Passagen wie die deklamatorischen Stimmführungen plastisch, mit erstaunlicher Ökonomie in der Ausdruckswahl zu realisieren.

Ernst Gutstein sang den Dr. Schön dramatisch erregt, im Timbre voll düsterer Verzweiflung: eine runde Leistung. Die Partie Alwas lag bei Waldemar Kmentt, die des Malers bei William Blankenship in guten

Händen, wenngleich beide stimmlich stellenweise etwas forcierten. Eine Kammerstudie irrlichtemder Unterwelt: Hans Hotter als Schigolch. Profilierte Leistungen boten Martha Modi (Gräfin Geschwitz), Oskar Czerwenka (Rodrigo) und Rohangiz Yachrdi flSįflšinhsižfffJ- ,

Großer Premierenjubel.

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