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In neuem Gewand

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Zu seinen Lebzeiten stand Carl Millöcker im Schatten der mächtigen Rivalen Johann Strauß und Franz von Suppe — und hatte doch, dank seines unverwechselbaren Eigentones, mit dein ,3cttelstudent“ einen Erfolg, der kaum zu überbieten war. Am 6, Dezember 1882 war die Premiere am Theater an der Wien, und genau zwei Jahre später wurde das Meisterwerk zum 150. Mal aufgeführt. Das Textbuch war von Zell und Genee nach „Fernande“ von Sairdou; Girardi und Schweighofer waren die Darsteller der männlichen Hauptpartien.

Nun ist der „Bettelstudent“ in prunkvoller Metamorphose in die Volksoper eingezogen und hat in der textlichen und musikalischen Bearbeitung von Eugen Otto erneut seine Lebendigkeit und Wirksamkeit bewiesen. Die Substanz des Werkes blieb auch in der speziellen „Einrichtung für die Wiener Staatsoper“ durch Anton Paulik und Adolf Rott im wesentlichen unangetastet. An szenischer und musikalischer Wirkung wurde freilich alles — und vielleicht noch etwas mehr — aus dem Werk herausgeholt. Am originellsten gelang dies in dar Ouvertüre, deren Hauptmelodien den einzelnen Gestalten, die sich wie auf einem Ringelspiel am Zuschauer vorbei’bewegen, in den Mund gelegt wurden: der ebenso geistvolle wie geglückte Versuch einer gesungenen und szenisch dargestellten Ouvertüre. Von da ab, bis sich der Vorhang zum letztenmal senkt, 1st die Bühne in fast ununterbrochener fröhlicher Bewegung.

Der Regisseur erreicht diese dynamische Wirkung durch virtuosen Einsatz der — manchmal auch geteilten — Drehbühne und eine ebenso einfallsreiche wie sorgfältige Bewegungsführung der Solisten und der Massen. Die Choreographie Erika Hankas beschränkt sich nicht auf einzelne Tanznummern, sondern trägt wesentlich zur optischen Belebung der gesamten Aufführung bei. Nicht nur prächtig-bunt, sondern auch geschmackvoll sind die Bühnenbilder Walter Hoeß- lins und die Kostüme Elli Rolfs.

In dem fröhlichen Trubel der Bühne spielen die Sänger-Darsteller fast eine sekundäre Roll , zumal ihnen durch die Drehbühne viele wirkungsvolle Eigenbewegungen abgenommen werden. Die Damen Maria Cebotari, Lorna Sydney und Henny Harze, gesanglich und darstellerisch hervorragend, bilden die polnisch-adelige gräfliche Familie. Die große Überraschung im Ensemble war Fred Liewehr, der sein Spiel vorzüglich der neuen Umgebung anpaßte und ein mittelmäßiges Stimmaterial effektvoll wie ein Heldentenor — nur nicht so prätentiös — entsetzte. Aus der großen Zahl dar Mitwirkenden mag nur noch Kurt Preger als echter Operettenkomiker hervorgehoben werden.

Die Einstudierung durch Anton Paulik war sorgfältig, die musikalische Leitung schwungvoll und präzise. Vor allem im zweiten Akt machte sich die etwas zu dick geratene Instrumentierung störend bemerkbar. Hier wäre auch das allzu knallige Schlagwerk abzudämpfen. — Die gesamte Neuinszenierung stellt eine Form der Adaptierung dar, gegen die keine grundsätzlichen Einwände zu machen sind. Genauer: man könnte eigentlich nur grundsätzlich dagegen sein, würde aber durch, die Praxis widerlegt. Denn vom Prinzip historischer Treue haben wir uns ja auch bei der Aufführung rein instrumentaler Werke — von anderen Nachbarkünsten zu schweigen — längst entfernt. Wichtiger erscheint, daß ein bestimmter Eigenstil durchgehalten und die Grenze des guten Geschmacks nicht überschritten wird. Unter diesem Gesichtspunkt sind der Auftritt der Gefangenen aus dem Zuschauerraum und die witzig-aktuellen Zeitstrophen abzulehnen. Sie sind überflüssig und fallen aus dem Rahmen.

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