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Fidelio: Musik und Szene

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Sosehr es heute üblich geworden Ist, bei Berichten über Opernpremieren den szenischen Ereignissen den Vorrang zu geben, so muß im Falle der „Fidelio“-Premiere bei den Salzburger Festspielen der Musik und im besonderen den Wiener Philharmonikern und ihrem Dirigenten Karl Böhm der Primat eingeräumt werden. Ihnen ist mit einer kaum je so dramatisch, so ausdrucksvoll, so überwältigend großartig gespielten III. Leomoren-Ouver- türe das eigentliche Ereignis des Abends zu danken. Hier hatte sich das Drama, dessen szenische Realisierung keineswegs immer überzeugen konnte, am vollkommensten kundgetan. Um diesen Mittelpunkt gab es auf der Bühne qualitativ sehr unterschiedliche Dinge zu hören und vor allem zu sehen. - Den stärksten Eindruck — und dies mag paradox klingen — empfing man aus dem Dialog bei der Erkennungsszene im Kerker des zweiten Aktes. Christa Ludwig in der Titelpartie zeigte sich hier als Künstlerin größten Formates. weitefe Abstanddfezü-

gruapiantcKn sich dlsaahdeeeÖL Szenen Günther Rennert, der oft erprobte Meisterregisseur, hat vor allem in der Führung der Solisten eine deutlich erkennbare Arbeit geleistet und in der so überaus schwierigen Gestaltung der Chörszenen sehr eindringliche Wirkungen erzielt. Trotzdem unterlaufen ihm gelegentlich Dinge, die mit der Musik und mit der Idee des Dramas gar nicht in Einklang zu bringen sind. Hiefür zwei kleine, aber bezeichnende Beispiele: Im Quartett der ersten Szene, in der sich das Dilemma einer bürgerlichen Familie um die Heirat der Tochter in so rührender, vom Gefühl der einfachen Menschen getragenen Weise offenbart, läßt Beethoven den Jacquino erst nach etwa 30 Takten zu Wort kommen, um ihm sozusagen Gelegenheit zu geben, sich über das zu informieren, was sich da um ihn und seine Liebe zu Marzelline anbahnt. Nicht so bei Rennert. Hier ist Jacquino zunächst gar nicht auf der Bühne und tritt erst auf das Stichwort mit dem überdies recht merkwürdigen Gehaben eines Tölpels auf, um sofort mit dem Satz „Mir sträubt sich schon das Haar, der Vater willigt ein“, von einer Sachlage zu reden, die er, da er nicht anwesend war, in diesem Ausmaß noch gar nicht kennt. Das andere Beispiel liefert die Schlußszene. Der große Freiheitshymnus Beethovens, sein Manifest der Menschenwürde und Humanität bleibt szenisch ungelöst, wenn die Gefangenen bis zum Sinken des Vorhanges rechts außen in derselben zusammengeballten Abwehrpose verharren, die sie in der Gefängnisszene beim bedrohlichen Eintritt des

Pizarro eingenommen hatten. So eindrucksvoll dieses kreatürliche Zusammenscharen in höchster Angst vor der unentrinnbaren Gewalt des Bösen hier gewesen war, so unverständlich bleibt es beim Jubel des Finales, das sich, über das Schicksal Leonore-Florestan hinausgehend, zu einem Hymnus auf die Freiheit des Menschen an sich emporschwingt.

Die szenische Gestaltung durch Rudolf Heinrich mit einem überaus armseligen, trostlosen, mit Gerümpel und einem verdorrten Rudiment eines Baumes angeräumten „Gärtchen“, von dem man es nicht glauben kann, daß sich hier das Leben einer kleinbürgerlichen Familie mit ihren Sorgen und kleinen Freuden abspielt. Vollends dann, wenn diesen Menschen die innige, schlichte, singspielhafte Musik Beethovens beigegeben ist. Wir befinden uns nicht bei „Wozzek“, sondern bei „Fidelio“. In der Szene des Gefängnishofes fühlt man sich viel eher in eine Supergarage mit Schiwenktüren oder vor den Kommandostand eines großen E’i-Werkfes I versetzt ttjnin d’flpHof .• eines alter tümlidbeh t . Gef igijlgses.’ In der Kerkerszene hingegen schafft die in den Mittelpunkt gestellte Treppe, über die das Verhängnis herabsteigt, aber auch der Weg in die Freiheit führt, eine Atmosphäre von beklemmender Eindringlichkeit. Dem Finale schließlich glaubt Heinrich durch ein Breitwandrelief mit aufgepappten Gestalten in grellstem Weiß die Illusion einer sich ins Unendliche verlierenden Menschenmasse zu geben. Das Publikum bedachte dieses Bild mit Szenenapplaus.

Von den Sängern überzeugte vor allem Edith Mathis als Schlichte, innig und glockenrein singende Marzelline. Christa Ludwig kam in der Titelpartie bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit und gelegentlich darüber hinaus. Donald Grobe (Jacquino) und Franz Crass (Rocco) fanden für ihre Partien den rechten Ton, während — was zu erwarten war — Invar Wixell als Pizarro eine glatte Fehlbesetzung gewesen ist. James King stattete die gefürchtete Partie des Florestan auf Kosten lyrischer Farbtöne mit fulminanten Spitaentönen aus. Hans Hotter (Minister) war einmal einer der Großen der Opernbühne. Man sollte ihm solche Peinlichkeiten ersparen.

Das Ereignis des Abends lag also — wie eingangs angedeutet — vor der Bühne. Dort saßen die Philharmoniker, die unter Böhms wissender Leitung, mit unüberbietbarer Schönheit, mit Leidenschaft und zartester Innigkeit musizierten und dem Abend jene Festlichkeit gaben, die man in Salzburg zu erleben wünscht. Dr. Hans Sachs

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