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Festlicher „Fidelio

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Es mag manchen als ein Wagnis erschienen sein, daß man im Jubiläumsjahr und zur Eröffnung der Wiener Festwochen im Theater an der Wien die „Fidelio“ -Premiere Leonard Bernstein und Otto Schenk anvertraut hat. Doch wer wagt gewinnt. Nicht immer. Aber diesmal hat sich das Sprichwort bewahrheitet. — Eine andere Frage ist, ob mit dieser Neuinszenierung nicht eine Chance vertan wurde, nämlich die, zu festlichfeierlichem Anlaß einmal etwas ganz anderes als das Erwartete zu machen und den Ur-Fidelio von 1805, der „Leonore“ hieß, aufzuführen. Demnächst besorgt dies Direktor Ernst August Schneider von der Wiener Staatsoper. Aber nicht in Wien, sondern bei den Europa-Wochen in Passau. — Doch zurück und vorwärts zu unserem „Fidelio“ von 1970, der am vergangenen Sonntag Abend Premiere hatte.

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Es mag manchen als ein Wagnis erschienen sein, daß man im Jubiläumsjahr und zur Eröffnung der Wiener Festwochen im Theater an der Wien die „Fidelio“ -Premiere Leonard Bernstein und Otto Schenk anvertraut hat. Doch wer wagt gewinnt. Nicht immer. Aber diesmal hat sich das Sprichwort bewahrheitet. — Eine andere Frage ist, ob mit dieser Neuinszenierung nicht eine Chance vertan wurde, nämlich die, zu festlichfeierlichem Anlaß einmal etwas ganz anderes als das Erwartete zu machen und den Ur-Fidelio von 1805, der „Leonore“ hieß, aufzuführen. Demnächst besorgt dies Direktor Ernst August Schneider von der Wiener Staatsoper. Aber nicht in Wien, sondern bei den Europa-Wochen in Passau. — Doch zurück und vorwärts zu unserem „Fidelio“ von 1970, der am vergangenen Sonntag Abend Premiere hatte.

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Da sind zunächst einmal die Bühnenbilder von Günther Schneider-Siemssen zu loben: der Gefängnishof mit Roccos Wohnung, nur mit dem Nötigsten ausgestattet und von einem verkrüppelten Baum gekennzeichnet, der Kerker und der Platz vor der Festung. Diese ganze Gefängniswelt ist mittels klar-realistischer Dekorationen dargestellt, ganz ohne Projektionen und andere Zaubereien. Das Licht ist gleichmäßig hell (mit Ausnahme der Kerkerszene natürlich), und in diesem hellen Licht machen die Bühnenbilder einen starken Eindruck. Sie sind auf ihre Art „schön“ wie die Bilder und Zeichnungen Bernard Büffets, an deren Stil Schneider-Siemssen sich ein wenig orientiert zu haben scheint. Das Niedergehen der mächtigen Zugbrücke in die Freiheit (letztes Bild) ist ein ausgezeichneter Einfall, der mit Sonderapplaus bedacht wurde.

Der Regisseur Otto Schenk hat sämtliche Akteure dieser abenteuerlichen und zeitnahen Handlung logisch und psychologisch richtig geführt. Auch bedachte er stets, daß er Sänger, nicht Schauspieler, zu betreuen hatte, und ließ, um nur ein Beispiel zu nennen, das große Quartett im 1. Akt im Stil einer „sancta conversatione“ singen (hier spielt, ausnahmsweise, auch ein wenig das Licht mit!) Überhaupt vermied er jede unnötige und entbehrliche Bewegung; lediglich beim Auftritt der Gefangenen und ihrer Befreiung verfiel er ein wenig dem Klischee. Sind sie wirklich nur eine arme Bagasch ohne Stolz und Würde — oder sind es „Politische“?

Die von Bernstein betreuten Sänger erwiesen sich auch als gute Schauspieler. Gwyneth Jones ist eine ungemein sympathische, gutaussehende, noble Leonore, die die Riesenpartie mit letztem Einsatz ihrer beträchtlichen Mittel, mit schönem, bewegendem Timbre und noblem, auch mit leidenschaftlichem Ausdruck gesungen hat (nur wenn sie deutsch sprechen muß, ist sie arm dran!).

Franz Crass als Kerkermeister, Lucia Popp — Marceline, Karl Ridderbusch — Minister, und Adolf Dallapozza als Jaquino lassen kaum einen Wunsch offen. Theo Adam überraschte aufs angenehmste durch ,die echte dramatische Energie seines Vortrags, den gewissermaßen zupackenden Ingrimm in jedem Ton. James King (Florestan) schien anfänglich von der zweijährigen Haft ein wenig geschwächt, steigerte sich dann aber immer mehr, was Intensität und Stimmqualität betrifft.

Bernstein liebt die starken Kontraste, er hat den Drang und den Mut zum extremen Ausdruck. Das wissen wir nicht erst seit seiner Aufführung der „Neunten“ von Beethoven, sondern auch aus seinen Mahler-Interpretationen. Er hat die Kraft für die jähe dramatische Steigerung und den lyrischen Uberschwang, aber auch für die spannungsvolle Ruhe. Sein Expressionismus verleitet ihn zuweilen zu Ubersteigerungen. Aber diese Partitur spiegelt ja die extremsten Gefühlslagen, so daß Bernsteins Stil im Ganzen gerechtfertigt erscheint. Die Philharmoniker schienen ihm willig zu folgen. Ihr Spiel klang härter, kontrastreicher, energischer, zuweilen etwas gröber und lauter, als wir es gewohnt sind. Und von der Art war auch der Beifall.

Bernstein und sein Regisseur machten vor der letzten Szene die bei uns seit geraumer Zeit übliche Orchestereinlage. Was zu dem Thema zu sagen ist, haben wir in der „Furche“ vom 9. Mai unter dem Titel „Warnung vor Leonore 3“ bereits gesagt. Bernstein hat sich dazu in einem Brief folgendermaßen geäußert:

„Unc/IückHcheripeise können diese Ideen (inbegriffen die attacca des Finale mit ,Namenlose Freude') nicht in dieser Produktion verwirklicht werden. Es gibt verschiedene Gründe, die Ouvertüre dennoch zu spielen, hauptsächlich sind es technische, also der vorgesehene Umbau der Szene. Ich hoffe, daß einmal die Zeit kommen wird, in der lange genug im voraus mit mir geplant werden kann, um meine ,ideale' Produktionsvorstellung von ,Fidelio zu verwirklichen.“ Otto Schenk, der Regisseur, begründete sein Festhalten an dem alten Brauch in einem Interview etwa so: Er habe den „Fidelio“ so oft gesehen, und immer mit der großen Leonoren-Ouvertüre vor dem letzten Bild, so daß er sich so sehr daran gewöhnt habe, daß er es schön und richtig findet. Bernstein mache auf seine ausdrückliche Bitte hin diese Einlage. Ob er es gerne tue oder ob er an der Richtigkeit zweifle, wisse er, der Regisseur, nicht.

Jedenfalls erhielten der Dirigent und das Orchester nach der wirklich hervorragend gespielten Ouvertüre „Leonore 3“ lärmenden, nicht endenwollenden Applaus, der den letzten Akt in zwei Teile zerriß. — Ob sie jetzt wohl mehr — oder noch weniger — von unseren Argumenten gegen „Leonore 3“ überzeugt sein werden?

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