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„Aschenbrödel“ aus dem Osten

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Seit etwa 1822 geistert das Aschenbrödel-Ballett in acht verschiedenen musikalischen und choreographischen Fassungen als „Cinderella“, „Cendrillon“ oder „Soluschka“ über die großen Tanzbühnen Europas und ,der Neuen Welt. — Aber Prokofjews Partitur, 1941 bis 1943, in Zusammenarbeit mit Nikolai Wol-kow, Schabukiani und Sergejew entstanden, umfaßt nicht weniger als 50 Nummern und hat alle anderen Versionen verdrängt. Beendet wurden Klavierauszug und Partitur 1944 in Molotow, weit im Osten Rußlands, am Ural, wohin man das kostbare Instrument des KiroW-Theaters evakuiert hatte (Prokofjew selbst, der sich zur Armee gemeldet hatte, erhielt den Bescheid: „Wir wollen ihr Genie, nicht ihr Blut“). Die Premiere fand dann im Jahr darauf in Moskau statt, und Anfang April 1946 kam „Soluschka“ auch ins Mutterhaus, den Auftraggeber in Leningrad. — In Europa brachte als erste Truppe „Sadler's Wells“ 1948 Prokofjews Ballett in Covent Garden .inszeniert y,pn Efederick Ashton.

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Seit etwa 1822 geistert das Aschenbrödel-Ballett in acht verschiedenen musikalischen und choreographischen Fassungen als „Cinderella“, „Cendrillon“ oder „Soluschka“ über die großen Tanzbühnen Europas und ,der Neuen Welt. — Aber Prokofjews Partitur, 1941 bis 1943, in Zusammenarbeit mit Nikolai Wol-kow, Schabukiani und Sergejew entstanden, umfaßt nicht weniger als 50 Nummern und hat alle anderen Versionen verdrängt. Beendet wurden Klavierauszug und Partitur 1944 in Molotow, weit im Osten Rußlands, am Ural, wohin man das kostbare Instrument des KiroW-Theaters evakuiert hatte (Prokofjew selbst, der sich zur Armee gemeldet hatte, erhielt den Bescheid: „Wir wollen ihr Genie, nicht ihr Blut“). Die Premiere fand dann im Jahr darauf in Moskau statt, und Anfang April 1946 kam „Soluschka“ auch ins Mutterhaus, den Auftraggeber in Leningrad. — In Europa brachte als erste Truppe „Sadler's Wells“ 1948 Prokofjews Ballett in Covent Garden .inszeniert y,pn Efederick Ashton.

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Für die Wiener Einstudierung holte man sich als Choreographen Tom Schilling, Schüler von Dore Hoyer, Mary Wigman und mehrerer sowjetischer Künstler, der 1954 Ballettdirektor in Dresden war und seit 1956 Chefchoreograph an der Komischen Oper Berlin ist. Die Bühnen-büder schuf Wilfried Wetz, seit zehn Jahren Ausstattungschef an der Berliner Staatsoper Unter den Linden, der, zwischen Warschau und Brüssel, mehr als 50 Stücke ausgestattet hat. Die Kostüme stammen von Eleonore Schneider. — Wir geben den beiden letzteren Künstlern den Vorzug. Denn die Ausstattung war nicht nur märchenhaft bunt, sondern auch geschmackvoll und subtil. Fast immer dominierte ein reichschattiertes Blau, belebt von eleganter, zierlicher Architektur in Weiß und, in mehreren Bildern, von acht bis zwölf silberweißen, freischwebenden Tauben. Die phantasievollen bunten Kostüme waren den jeweiligen „Bildern“ — und deren gibt es im „Aschenbrödel-Ballett“ ja sechs —, intelligent angepaßt.

Was nun die Choreographie betrifft, so sahen wir nicht viel Neues, jedenfalls nichts aufregend Originelles. Aber darf man dies bei dem simplen Sujet erwarten? Ist das überhaupt der richtige Gegenstand für einen großen Ballettabend — und nicht eher für eine Kindernachmittagsvorstellung prädestiniert? Gewiß, Prokofjew will mit seiner Musik soviel tänzerische Gelegenheiten Wie möglich schaffen und benützt auch traditionelle Formen, wie Pas de deux, Gavotte, Adagio, Pavane, Passepied, Bourree, Mazurka und Galopp — meist ein wenig persiflierend. Aber ernsthaft wird es in dem so überaus sympathischen russisch-sentimentalen und pathetischen Walzer (der mit dem Wiener Walzer nur den Dreivierteltakt gemeinsam hat, aber sonst auch nichts, rein gar nichts. Denken Sie an Tschaikow-skys 4. Symphonie!). Und Aschenbrödel ist für Prokofjew nicht nur eine Märchenfigur, sondern auch ein lebendiger Mensch, der fühlt, leidet

und erlebt — und dessen Schicksal uns erregen soll. Aber tut es das wirklich? Lag es am Choreographen oder an den Ausführenden, daß in entscheidenden Szenen der Funke nicht übersprang? Wir vermuten das Manko beim ersteren, werden uns aber erst in den folgenden Umbeset-zungen der Hauptpartien von der

Richtigkeit dieses unseres ersten Eindrucks überzeugen lassen.

Die Protagonisten der 1. Aufführung am Sonntag waren Swsanne Kirnbauer (in der Titelrolle), als armes Aschenbrödel und als strahlende Prinzessin gleichermaßen überzeugend. — Sehr männlich, sehr elegant, sehr virtuos: Franz Wilhelm als Prinz. Unmöglich, die übrigen rund drei Dutzend Mitwirkenden zu nennen. Aber Judith Gerber darf als gute Fee, deren Rolle nicht viel mehr hergab als die eines besseren Nummerngirls, nicht unerwähnt bleiben: sie war „la belle du soir“, die eleganteste und schönste.

Stefan Soltesz hat mit dem Orchester der Philharmoniker diese ausgedehnte, aber kurzweilige Partitur mit all ihren athletischen und lyrischen Zügen, ihren vielen genial erfundenen, auf soliden Bässen aufruhenden Melodien und ihren zuweilen mtem^tnüMikalisehen Feinheiten brav musiziert. — Zweimal gab es Applaus nach hochgegangenem Vorhang: Es hätte auch ein drittes- und ein viertesmal sein können. Womit wir zum Ausgangspunkt unserer wohlwollend-kritischen Beschreibung des unterhaltsamen, leichtgewichtigen Abends zurückgekehrt sind.

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