Wenn die Liebe einen zum Irrsinn treibt

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Oft sind Institutionen derart mit einer Person verknüpft, dass es nicht nur schwierig ist Nachfolger zu finden, sondern überhaupt weiter zu bestehen. Beinahe hätte dieses Schicksal die Wiener Kammeroper ereilt. Zwar führten es nach dem Tode ihres Gründers Hans Gabor mit Isabella Gabor und Holger Bleck enge Vertraute des einstigen Prinzipals weiter. Aber künstlerisch wie finanziell ohne dessen Fortüne. Als der Bund die Subvention aufkündigte, weil er nicht das dafür notwendige innovative Konzept erkennen konnte, schienen die Tage dieses ganz auf Nachwuchspflege ausgerichteten intimen Hauses am Fleischmarkt gezählt.

Junges Sängerensemble

Bewegung kam erst in diese Szenerie, als Theater-an-der-Wien-Intendant Roland Geyer die Stadt Wien von seiner Idee überzeugen konnte, die Kammeroper gemeinsam mit seinem Haus zu bespielen. Und zwar mit einem jungen, in allen Produktionen eingesetzten kleinen Sängerensemble, dessen Mitglieder sich außerdem in Portraitkonzerten einzeln vorstellen sollten. Auch programmatisch setzte man auf eine klare Linie: einen auf mehrere Saisonen verteilten Rossini-Zyklus sowie eine Mischung aus, wenn man so will, alter und neuer Klassik. Was für die eben zu Ende gehende Saison fünf Premieren mit Stücken von Rossini, eine wenig geglückte Uraufführung von Hans-Jürgen von Bose, Puccinis "Bohème“ in einer gestrafften, klanglich zeitgemäß adaptierten Version, einen Britten-Kirchenopern-Abend und, zuletzt, eine Händel’sche Opera seria bedeutete.

Ein Weg, den man in der kommenden Spielzeit weitergehen wird. Mit übrigens beinahe denselben Sängerinnen und Sängern. Die erste Premiere gilt wiederum Händel, dessen Dreiakter "Semiramide“, die zweite Rossinis "La Cenerentola“. Weitere Premierenvorhaben sind Maurizio Kagels Kammeroper "Mare Nostrum“, Mozarts "La clemenza di Tito“ als bewusste Ergänzung zum (allerdings nur konzertanten) Mozart-Da Ponte-Zyklus mit Harnoncourt im Theater an der Wien sowie die Tragikkomödie "Puch and Judy“ des erfolgreichen britischen Zeitgenossen Harrison Birtwistle.

Nicht nur an diesen Produktionen wird sich der mittlerweile erreichte Standard des Ensembles ablesen lassen, sondern auch durch einen Vergleich. Denn an einem Abend stehen die Wiener Sängerinnen und Sänger gemeinsam mit dem Jungen Ensemble des Galina Wischnewskaja Opernzentrums Moskau auf der Bühne des Hauses am Fleischmarkt. "Moskau in Wien“ lautet das Motto dieses Arien-Abends.

Poppiger Orlando

Händel also markierte das Finale der ersten Spielzeit dieser neuen Wiener Kammeropernära. Die bis zum Irrsinn treibende Liebe, aber auch das Verhältnis von Mensch und Natur sind Themen seines dreiaktigen Dramma per musica "Orlando“. Entsprechend lässt die Kammeroper-Debütantin Stefania Panighini die Szenerie in einer Art Pavillon, der ebenso Glashaus- wie Unterweltatmosphäre glaubhaft suggeriert, ablaufen. Versuche, die Handlung für den Zuseher aufzubereiten, Personen zu führen, unternimmt sie erst gar nicht.

Weit besser geriet die musikalische Realisierung mit Rubén Dubrovsky (auch er erstmals in der Wiener Kammeroper zu Gast) am Pult des akkurat und lebendig aufspielenden Bach Consort Wien, der durchschlagskräftigen Çigdem Soyarslan als Angelica, Anna Maria Sarra als rollendeckender Dorinda, sowie dem mit den Schwierigkeiten der Titelpartie meist gut zu Rande kommenden Countertenor Rupert Enticknap, der sich mit poppiger Haartracht präsentieren durfte.

Orlando

Wiener Kammeroper

17., 19., 21., 23., 25., 27., 29., 31. Mai

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