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Wiener Kammeroper: Fast eine Monopolstellung

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Großstädte sind im Sommer Kulturwüsten. Alle Jahre wieder stehen die durch die Lande schwappenden Touristenwellen nicht nur in Wien vor verschlossenen Theatertoren. Ein Umstand, gegen den sich aus vielerlei Gründen .licht nur hierzulande schwer etwas machen läßt — soweit Theater im Sommer überhaupt stattfindet, findet es in Form von Fest- und Sommerspielen statt. Das Sprechtheater ebenso wie das Musiktheater.

Da und dort gibt es die Unentwegten. In der Bundeshauptstadt zählt dazu die Kammeroper, die seit runden zwei Jahrzehnten sommers das Schönbrunner Schloßtheater bespielt. Mit Produktionen, die manchmal gut und manchmal weniger gut, oft hervorragend sind und gelegentlich danebengeraten. Als Institution hat die Wiener Kammeroper heute nicht nur in der Saison, sondern gerade auch off-season, im Sommer, eine außerordentlich wichtige Funktion. Und die Sommeraufführungen im Schönbrunner Schloßtheater sind nicht nur für den hauptstädtischen Fremdenverkehr, sondern auch unter anderen Gesichtspunkten von erheblicher Bedeutung.

Für die Kammeroper — von ökonomischer, fast schon von existentieller Bedeutung. Für den Sängernachwuchs aber stellen sie eine Bewährungschance dar.

Kann schon sein, daß das Touristenpublikum, das im Sommer eines der schönsten unter den intimen Theatern des Kontinents füllt, nicht dieselben Ansprüche wie das Salzburger Festspielpublikum stellt, das sich ja auch aus ganz anderen Kreisen rekrutiert. Sicher sogar: Es verzeiht unerfahrenen jungen Sängern manchen Anfängerfehler, der anderswo nicht so glatt durchginge, merkt ihn vielleicht gar nicht. Aber dieser „Laufkundschaft“, die daheim zu einem Teil vielleicht gar nicht in die Oper geht, wurde von der Wiener Kammeroper so manche Aufführung geboten, die sich auch in großen Häusern sehen lassen könnte.

Denn die Wiener Kammeroper ist mit Sicherheit ein Wiener, aber in mancher Beziehung auch ein europäisches Unikum. Sie spielt heute im Musikleben jene Rolle, die in den goldenen Zeiten des Wiener Kellertheaters, den frühen fünfziger Jahren, Bühnen wie das Theater am Parkring und manches andere für das Theater spielten.

Die Kammeroper besteht seit 22 Jahren und spielt seit 21 Jahren in den Sommermonaten in Schönbrunn. Ihr ist es zu verdanken, daß dieses Theater, das nobelste von Wien, aus seinem Dornröschenschlaf erweckt wurde — vorher kannten es nur die Reinhardt-Seminaristen und deren Papas, Mamas, Onkel und Tanten. Der „Don Pasquale“, der heuer hier aufgeführt wird, war genau die 154. Premiere der Wiener Kammeroper.

In den 154 Stücken, welche die Kammeroper in 22 Jahren spielte, traten insgesamt mehr als 1600 Sänger auf. Herausgepickt aus dem Reservoir eines Nachwuchses, der nicht so unerschöpflich ist, wie er manchmal aussieht. Professor Hans Gabor, der künstlerische Leiter der Kammeroper, hört pro Jahr vier- bis fünfhundert Sänger, um etwa zehn zu finden, die seinen Ansprüchen genügen.

Nach den Maßstäben der Kammeroper ist ein brauchbarer Sänger ein Mensch, der bei der Premiere — die vielleicht seine erste ist — durchfallen darf, wenn man sich von ihm erwarten kann, daß die Kritik, käme sie nicht zur ersten, sondern — beispielsweise — zur sechzigsten Aufführung, dann mit ihm zufrieden wäre. Die talent-scouts der größeren (und zahlungskräftigeren) Häuser werden daher in der Wiener Kammeroper mit einem lachenden und einem weinenden Auge begrüßt. Mit einem lachenden, weil sie den guten Griff des Hauses in Nachwuchsfragen von Jahr zu Jahr bestätigen. Mit einem weinenden, weil die Kammeroper ihre Kräfte oft nicht so schnell ausbilden kann, wie sie abengagiert werden. Was in vielen Fällen auch nicht gerade im wohlverstandenen Interesse des Sängers ist, wenn er zu früh etwa an eine mittlere Bühne gerät, an der es ihm passieren kann, daß er verschlissen wird, bevor seine Karriere richtig begonnen hat.

In Zahlen ausgedrückt: Rund 80 Prozent der Sänger werden innerhalb eines Jahres an ein größeres Haus, in den meisten Fällen in der Bupdesrepubik, abengagiert. AHein das Münchner Gärtnerplatz-Theater wimmelt von Exmitgliedern der Wiener Kammeroper, aus der, unter Einbeziehung des „Wiener Opernstudios“, das später in Kammeroper umbenannt wurde, Künstlerpersönlichkeiten wie Berry, Kmentt, Wächter, Norman Bailey, Prikopa und so weiter hervorgegangen sir>d.

TSin anderer Aspekt ' Ist der Modellcharakter der Wiener Kammeroper als ökonomisch mit äußerster Sparsamkeit geführter Betrieb. Sie kommt — bei rund 120 Vorstellungen pro Jahr, einschließlich der Schönbrunner Sommeraufführungen — mit einem Gesamtbetrag aus, den die Staatsoper in einer Woche an Subventionen verbraucht. Ein Ausgabenrahmen von — heuer — sechseinhalb Millionen Schilling ist nicht nur sehr niedrig, er erscheint vielleicht manchem in der Branche zu niedrig. Zu niedrig hier keineswegs im Sinne von Un-glaubwürdigkeit, sondern gemessen an einer sonst vielfach üblichen, nicht immer am Leitbild rationellen Wirtschaftens orientierten Ausgabenpolitik. Man gewinnt manchmal den Eindruck, daß dieser oder jener Herr über einen hohen Etat keine reine Freude empfindet, wenn ihm vorexerziert wird, wie viel mit wie wenig Geld möglich ist. Derlei kann durchaus zur Ursache von Aggressionen der Wiener Kammeroper gegenüber werden. Zumal sie sich auch bislang ihre volle Unabhängigkeit gegenüber allen Einflüssen zu erhalten wußte, die, von dieser Seite oder von jener, innerhalb des kulturellen Lebens, auf das kulturelle Leben, ausgeübt werden.

Fast eine (ungewollte) Monopolstellung errang sich die Wiener Kammeroper auf dem Spezialgebiet des Wiener Singspiels, das sie in seiner klassischen Form, ivie es vor der Operettenära gepflegt wurde, als einzige Institution der Vergessenheit entreißt. Vor der Gründung der Wiener Kammeroper war auch einem musikalisch interessierten Wiener Publikum weithin unbekannt, welche Schätze hier der Hebung harrten. Unter den fünfeinhalb Produktionen, welche die Kammeroper jährlich herausbringt (vier Stücke im Stammhaus auf dem Fleischmarkt, eine Produktion in zweifacher Besetzung in Schönbrunn) ist Jahr für Jahr eine musikhistorische Wiederbelebung, die sich jeweils als springlebendig zu erweisen pflegt.

Auch hier liegen die Goldkörner zwischen viel taubem Gestein. Auf etwa hundert Partituren und Textbücher, die Gabor im Lauf des Jahres zu lesen pflegt, kommt ein zur Aufführung in der Kammeroper geeignetes Werk, das dann aber oft Furore macht.

Zum Beispiel „Oberon, König der Elfen“ von Wranitzky, der vier Jahrzehnte vor dem Weberschen Oberon entstand, und, H. H. Stuckenschmidt zufolge, die „seltenste Kombination“ von „Riesenspaß und ... Bildungserlebnis“ bot. Gestützt auf Wielands Versepos, wurde dieser Oberon als Weiterführung einer hundertjährigen .Volksbührien-tradition empfunden.

Ein vergleichbarer Erfolg'— unter vielen — war Müllers, des Nestroy-Komponisten, Parodie auf den „Barbiere“: „Der Barbier von Sievering“, uraufgeführt 1828 im Theater an der Wien. Erwähnen wir nur einige Ausgräbereien, die sich dem Gedächtnis besonders einprägten: etwa „Die Liebe im Narrenhaus“ von Dittersdorf, die „Schwestern von Prag“ von Wenzel Müller, der auch von Haydn und Mozart geschätzt wurde, und in dessen Werken die Atmosphäre des Wiener Vormärz eingefangen ist, oder, vom selben Komponisten, „Caspar, der Fagottist“, der als „Geniestreich der Kammeroper in ihrer bisher glückhaftesten Inszenierung“ gefeiert wurde.

Die Wiederbelebung vergessener Wiener Singspiele wurde längst zu einer neuen Tradition, die auch einem heutigen, am Musical orientierten volkstümlichen Theater

Musikanregungen bieten könnte. Aufgegriffen wurde bisher kaum etwas davon. Immerhin verdankt Wien diesen Inszenierungen nicht nur aktuelles Vergnügen, sondern auch eine wertvolle Dokumentation volksnahen Musiktheaters des vorigen Jahrhunderts, denn diese Aufführungen liegen durchwegs in Fernsehaufzeichnungen vor.

35 Produktionen der Kammeroper wurden vom ORF übernommen, zwei davon in Koproduktionen mit deutschen Anstalten. Gastspielreisen nach Jugoslawien (und demnächst auch in andere Staaten) waren durchwegs erfolgreich — nur in Wien hat die Kammeroper zwar Erfolg bei ihrem Stammpublikum, aber wenig Glück mit Initiativen, die auf'efne engere Zusammeharbelf mit anderen Institutionen des kulturellen Lebens zielen.

Kammeroper-Vorstellungen in den Außenbezirken, wo rund hundertmal gespielt wurde, liegen weit zurück — sie entsprangen eigener Initiative. Dafür, daß ausgerechnet in einer Zeit, in der so viel von der Notwendigkeit geredet wird, die Menschen für Kultur zu interessieren, kein Mensch in Wien daran denkt, die Wiener Kammeroper in die Außenbezirke zu holen, gibt es keine vernünftige Erklärung. Gerade die musikhistorischen Ausgrabungen Gabors, die ja durchwegs dem heiteren Genre angehören, wären geeignet, die Schwellenangst der Menschen vor der Oper zu brechen. Die Kammeroper bringt alle Voraussetzungen mit, bei jenen Menschen, deren kulturelle Passivität der berühmt-berüchtigte Ifes-Bericht über das Verhältnis der Österreicher Zur

Kultur beklagt, anzukommen, ohne Abstriche vom Niveau zu machen. Minister Sinowatz und/oder die Frau Kulturstadtrat wären am Zug.

Überhaupt keine Gegenliebe fand die Kammeroper bisher bei den staatlichen Musiktheatern, denen eine Form der Zusammenarbeit angeboten wurde, die auch für Staatsund Volksoper durchaus nicht reizlos wäre: Gelegenheit für Auftritte für nicht benötigte Eleven, die hier im kleineren Rahmen ohne Risiko erprobt werden und sich Routine erwerben könnten. Also die Kammeroper sozusagen in einem Mini-Verbund mit Staats- und (oder) Volksoper, wobei dem großen Partner durchaus das Recht eingeräumt würde, zu. bestimmen; in welchen' Werken die zur Verfügung gestellten Sänger auftreten sollen.

Auf derartige Vorschläge kam nicht einmal eine Antwort — wie es in Österreich halt üblich ist.

In ihrer ökologischen Nische, in der die Kammeroper den speziellen Bedürfnissen eines speziellen Publikums entgegenkommt, lebt sie nicht gerade üppig, aber auskömmlich, nicht zuletzt dank ihrer Sparsamkeit. Aber Vielleicht sollte man doch überlegen, ob nicht in der lokalmusikhistorischen Ausgrabungstätigkeit dieser Institution ein Ansatzpunkt liegt, die Kammeroper in Überlegungen einzubeziehen, die darauf zielen, breitere Schichten für das Theater oder für die Musik, und sei es in beiden Fällen das Musiktheater, zu interessieren.

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