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Wie heilsam sind doch in der Leistimgsgesellschaft, wo die Zeit immer unerschwinglich teurer wird, alle Arten von Steuern, welche den Leistungsbeflissenen ins Finanzamt beordern und ihm dort eine Ruhe­pause des Wartens und der Besin­nung gönnen. So kam ich in die Radetzkystraße Nr. 2. Ich betrat das Foyer und war überwältigt. Dieses Erlebnis hätte ich mir schon ängst gönnen müssen. Wer hätte das geahnt?

Der Empfangshalle des Büroge­bäudes lag das altchristliche Sym­bol des Wassers, das Achteck, Bau­plan so vieler frühchristlicher und romanischer Baptisterien und Tauf­becken, zu Grunde. Wie sollte ich dieses Wassersymbol an diesem Ort deuten? Galt es der Liquidität der österreichischen Staatsfinanzen? Oder sollte auch noch in einer laizi­stischen Republik dem Bundesmi­nisterium für Umwelt, Jugend und Familie doch ein wenig von dem sakralen Charakter eines Baptiste-riums ä la Florenz verliehen wer­den?

Ein erster flüchtiger Rundgang überzeugte mich bereits, daß dieses zentrale Oktagon, in seinem mehr­farbigen Glanz von geschliffenem Granit mit ebenso bedeutsamen Trinitätseinlagen, metallischen Dreiecken, kein isoliertes Apercu ist, sondern ein Konzept, das den ganzen Baukörper in seiner Mehr­stöckigkeit durchgehend bestimmt wie die hohe Tauf kapelle in Parma.

Als ich dann noch im Umgang des Festsaales Säulen entdeckte, die in Nischen stehend, also gleichsam im Verborgenen bald mit ihrer Funk­tion, bald mit ihrer Funktionslo-sigkeit kokettierten, kam ich vor Begeisterung regelrecht ins Schwit­zen. Denn was hat im Laufe meines Lebens die Mode nicht alles streng geteilt! Was hat sie unter Andro­hung des Ausschlusses aus dem ernst zu nehmenden Teil der Bevöl­kerung alles verboten: Das Orna­ment, die Säule, das Kapitell, den Architrav, die Strophe, den Reim, den harmonisierenden Rhythmus. Hier aber im Anblick dieses Fi­nanzamtes und Bundesministe­riums durfte ich sagen wie Simeon: Nun, Herr entläßt Du Deinen Die­ner in Frieden. Denn meine Augen haben die Postmoderne gesehen!

Die berüchtigte Moderne hat sich endlich für jene, welche sie über­lebt haben, selber überlebt. Denn da steht sie, da ist sie wiederge­kehrt: die Säule, wie sie Michelan­gelo in der Bibliotheca laurentiana erstmals in eine Wandfläche einge­bunden hat.

War es die Transpiration meiner Begeisterung, welche die feine Witterung eines Finanzbeamten auf meine Spur brachte und ihn veran-laßte, hinter mir sjehen zu bleiben?

„Also das gefällt Ihnen."

„Mehr als das. Ich finde diese Auseinandersetzung mit der Tradi­tion bewundernswert." Dabei ver wies ich auf ein Gitterwerk, das wie in den Neobarockschlössern Lud­wig II. von Bayern durch dahinter-liegende Spiegelplatten die Raum­tiefe multiplizierte. „Und so kann's geschehen, daß die Partei über den Säulenfuß stolpert und dann blu­tend auf der Nase liegt."

Nach einer Schrecksekunde be­griff ich, daß dies keine politische Anspielung war, verwandelt sich doch jeder Staatsbürger bei dem Eintritt in ein Amtsgebäude inner­halb des Parteienverkehrs in eine Partei. „Ausrutscher wird es im­mer geben", versuchte ich das Malheur abzuschwächen. „Aber ein solches Labyrinth, licht- und luft­los, ist eine österreichische Spezia­lität des Psychoterrors. Es soll aus jedem Eintretenden einen ver­schreckten Menschen machen. Wenn er sich immer der Wand ent­lang tastet und auf allen Türtafeln nur „Krazaf" liest, kann ihn Panik erfassen und in den Wahnsinn trei­ben. Wieviele Stunden meiner Arbeitszeit muß ich nur aufwen­den, um den Weg in mein Büro frisch im Gedächtnis zu behalten!

Schon lange bilde ich mir nicht mehr ein zu wissen, wo es hier lang geht... Hier geht nichts lang. Das Oktagon sorgt für Kurzweil mit seinem Winkelwerk in allen Räum­lichkeiten. Wenn Sie, lieber Herr, schon so viel für die Kunst übrig haben, dann müssen Sie auch füh­len , daß Sie hier ganz nahe bei Franz Kafka sind. Dazu trägt die Akustik wesentlich bei, ein Nachhalleffekt wie in den berühmten Flüsterge­wölben des Barock.

Neben der Dauerbelastung in diesem psychisch unverträglichen Haus kommt es dann im Sommer gelegentlich noch zu Sonderbela­stungen, so etwa in den höheren Stockwerken zu Temperaturen bis zu 38 Grad Celsius. Da rinnen nicht nur die Hirne, sondern auch die Minen der Kugelschreiber aus, Akte verwandeln sich in klecksographi-sche Vorlagen, aus denen Sie nur noch die Traumphan­tasien Ihres Unterbe­wußtseins entnehmen können."

„Hören Sie, bitte, auf", schrie ich, um meine Traumphanta-sie von Schönheit zu retten, stolperte aber, denn der Säulenfuß hatte auch mir das Haxl gestellt. Die Magie der Schönheit bleibt eben zwiespäl­tig-

Und da erst begriff ich, warum man An­ton Hanaks epigonale Plastik „Der Gigant" in die Mitte des mini­steriellen Taufbek-kens gestellt hat. Als Kriegsgeschädigter um den Kopf gebracht, ist er zum Symbol der Kopflosigkeit gewor­den, mit der wir in ein neues Jahrtausend schlittern.

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