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Der Unbestechliche als Schriftsteller

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Wer sich künftig von der österreichischen Literatur in der Ersten und Zweiten Republik ein Bild machen will, wird Hermann Hakeis Aufzeichnungen nicht übergehen dürfen. Die tausend Einwände - auf jeder Seite des 400 Seiten-Buches werden sich bestimmt zwei finden lassen, welche von jedem wachsamen Leser gegen den Text erhoben werden könnten - summieren sich aber nicht zu einem Argument gegen die Bedeutung des Ganzen.

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Wer sich künftig von der österreichischen Literatur in der Ersten und Zweiten Republik ein Bild machen will, wird Hermann Hakeis Aufzeichnungen nicht übergehen dürfen. Die tausend Einwände - auf jeder Seite des 400 Seiten-Buches werden sich bestimmt zwei finden lassen, welche von jedem wachsamen Leser gegen den Text erhoben werden könnten - summieren sich aber nicht zu einem Argument gegen die Bedeutung des Ganzen.

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Was Hermann Hakel von Robert Musil behauptet: „Musil war immer eine Art beleidigter Leberwurst", könnte man auch von Hakel sagen, ohne daß dadurch beider Bedeutung für den nahrhaften, ja kulinarischen österreichischen Brotaufstrich im geringsten geschmälert wird.

Besonders Hakeis Darstellung von Frauen wie Ingeborg Bachmann, Christine Busta, Dorothea Zeemann ist nur vom Standpunkt dieser „Leberwurstigkeit" erklärbar. Man könnte viele Stellen Hakeis durch Namensaustausch transponieren und ihnen dadurch einen neuen Sinngehalt abgewinnen, so zum Beispiel: „Ernst Jünger erkennt, wie der Tourismus die Welt überall zerstört und zu einer unaufhaltsamen Katastrophe führt. Dabei tut er so, als wäre er kein Tourist." Hakel legt uns überzeugend dar, wie sehr der literarische Betrieb den Menschen korrumpiert, in ihm die Gefühle der Aufrichtigkeit, der Selbstkritik und der Demut erstickt und ihn zur gierigen Hyäne des Erfolgs macht, mag dieser auch mit faulendem Odeur behaftet sein. Dabei tut Hakel so, als ob er selber kein Literat wäre. Wir geraten da in die Nähe eines der Fundamentalprobleme der aristotelischen Logik: Alle Kreter sind Lügner, sagt ein Kreter... Ist Hermann Hakel ein Kreter, wenn er ein Kapitel verfaßt: „Der Hauptbetrug der heutigen Literatur"? In Wahrheit eignet ihm virtuose Brillanz des Literaten in hohem Maße. In seinen Menschenbildern heißt es von Felix Braun: „Er war ein zweidimensionales Wesen. Papieren und lamentabel... ein orthodoxer Weihwasserjude... ausgeronnen und blutlos." Derartige Porträtskizzen finden sich von Franz Werfel, Josef Weinheber und Stefan Zweig, um nur die bedeutendsten zu nennen. Ihre Originalität besteht darin, daß der karikierende Witz nicht eigentlich beabsichtigt ist, sondern sich als Spontanreaktion eines Privatkriegers einstellt. „Für mich dauert der Krieg schon 30 Jahre (also seit der Rückkehr aus der Emigration), mit allem, was dazugehört: Niederlagen, Rückzügen, Verwundungen und Selbstbehauptung." Aber just aus diesem Pri-vatkrieg entwickelt sich das allgemeine, die Literatur bei weitem überschreitende Interesse dieses Buches. Denn es jst die jedem offenen Konflikt ausweichende Feigheit (Seite 285) des Intellektuellen, welche zu einer voreiligen und heuchlerischen Versöhnung mit den Ungereimtheiten und Unzulänglichkeiten des Zeitgeists stimuliert. Dank solcher ge-schicktertAnpassung kann man Erfolg erschleichen, welcher nicht nur

den Beweis dafür liefert, wie richtig es gewesen ist, feig zu sein, sondern zugleich die Feigheit mit einem Triumphgefühl des Erfolgreichen zu überwinden imstande ist. Hermann Hakel erwies sich als immun gegen diesen Feigheits-Erfolgsmechanismus und kämmte seine Zeitgenossen gegen den Strich, auf dem sie so erfolglüstern gehen. Denn er blieb der europäischen Tradition verpflichtet, und dies auf allen Gebieten der Kunst, für die er, ein liebender Universalist, zeitlebens ein feines Gespür besaß. Daher verschmolz in seinem Empfinden die Tragödie des jüdischen Volkes mit dem Drama Alteuropas, das nun sein Gesicht verliert und stattdessen entweder eine Betonmaske aufsetzt oder sich mit der magischen Schminke assoziativer Metaphern archaisch anmalt: die sogenannte „moderne Lyrik", während Hakel selbst in seinen Gedichten in Reim und Rhythmus so logisch als nur immer möglich die Rätsel der Welt darzustellen versucht.

Was dieses Buch an allgemeinen Bemerkungen über Literatur enthält (von Goethe bis Thomas Bernhard) wird dem Leser manches bieten, das ihm die -zünftige Literaturforschung vorenthält. Läßt sich doch Hakel auf Gedankenabenteuer ein - mögen sie noch so riskant sein -, vor denen der prestigebegünstigte und auch für den kollektiven Erfolg der Zunft verantwortliche Interpret zurückschreckt. So etwa, wenn er den Teufelskreis analysiert, den ein Talent in Bewegung zu setzen vermag. Finden sich Anhänger, denen das Talent den Zugang zu neuen Gefühlen oder zu einer Erfahrung erleichtert hat, so liefern sie dem Talentierten eine Leistungsbestätigung, die ihn für den beschränkten Umfang seiner Gaben blind machen kann. Er traut sich dann zu, was ihm in Wirklichkeit verwehrt bleibt, er mißt seinem Erfolg ein Gewicht bei, das dem tatsächlichen statistischen Gewicht nicht im geringsten entspricht. Dadurch gerät er in den Kreis eines sich selbst aufschaukelnden Narzißmus, welcher nicht nur ihn, sondern das Publikum erfaßt, besonders heute, da es in der grauen Beton welt mehr denn je ikonenlüstem nach Gnaden-und Heilsbringern Ausschau hält.

Der Erfolg - das Goldene Kalb, um das die Massenmedien im Rhythmus der Bilanz und der Einschaltziffem tanzen - ist also keineswegs Gütesiegel von durchwegs lobenswerten Leistungen, sondern ebensooft oder öfter ein Brandmal, an dem das Minderwertige erkennbar ist (Seite 302). Hermann Hakel zeigt, daß das in der Politik ja unanzweifelbar wirksame Prinzip des Macchiavellismus auch im Bereich der Kunst seine Gültigkeit beziehungsweise seine Effizienz hat, was ja nicht ausschließt, daß das Gegenbild, die „Erasmische Kunst" der Wahrhaftigkeit und des „idealen Scheitems", nicht auf die Dauer gesehen wirksamer bleibt, ja sogar die Unsterblichkeit erreichen kann.

Und so ist Hermann Hakel, vor dessen beleidigender Aggressivität sich der auf Objektivität bedachte Verfasser des Vorworts, Hans Raimund, zu warnen veranlaßt sieht, doch auch ein „Unbestechlicher", durchaus im Hof-mannsthalschen Sinne. Leider nicht ganz so moralisch, wie man als Moralist wohl sein müßte, ein Mangel, den er mit der Komödienfigur Hofmannsthals teilt, aber doch moralisch genug, um dem verlogenen Kult mit der Kultur entgegenzutreten, sich aber auch nicht von jenen beeinflussen zu lassen, die im Ex für diesen Kult ihre letzte Chance erblicken, um als Parasiten von diesen zersetzten Werten noch zu profitieren.

Nicht genug zu bestaunen ist die Arbeit der Herausgeber, die aus dem „Riesenhaufen von hinterlassenem Papier" ein gut aufgebautes Buch geschaffen haben, das vom Besonderen der Persönlichkeiten zum Allgemeinen der Idee organisch fortschreitet. Ein Namensverzeichnis macht die Autoren, die ins Bild kommen - es sind deren etwa 250 - rasch verfügbar.

DÜRRE ÄSTE WELKES GRAS. Begegnungen mit Literaten, Bemerkungen zur Literatur. Von Hermann Hakel. Hermann Hakel Gesellschaft (Lynkeus) 1991. öS 390,-.

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