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Der stille Aufstand des Einzelmenschen

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Edwin Hartl ist vom Einzelkind (geboren 14. Juli 1906) zum Einzelmenschen geworden. Will das sagen, daß beide Vereinzelungen auf die Matrix, ob nun Familie oder Epoche, zurückzuführen sind? Material zu diesem Thema finden wir in Edwin Haitis jetzt erschienenen Buch „Wenn ich so zurückdenke, Hintergedanken an die gute alte Zeit" (siehe Seite 14). Sehr früh irritierte das Einzelkind all das, was von Le Bon bis zu Ortega y Gasset als „Aufstand der Masse" registiert wurde. Heute nach Jahrzehnten der drei Explosionen, der Beton-, der Atom- und der Bevölkerungsexplosion, hat sich ein gewisser Immunitätsschutz unseres Bewußtseins herausgebildet, der bei dem zarten und sensiblen Kind Edwin aus dem bürgerlichen Milieu der Josefstadt noch nicht wirksam gewesen ist.

Wie sanft und artig der Knabe auch war, schon sträubt er sich gegen jedes Müssen ohne Einsicht in die Notwendigkeit. An solchem „Müssen" hat es aber dann im Verlauf zweier Weltkriege, zweier Wirtschaftskatastrophen und etlicher Revolutionen nicht gefehlt. Dadurch wurde seine Abneigung gegen Ideologien geweckt, also gegen jene Brechstangen, jener langen Hebelarme der Majorität, welche man raffiniert an einem Punkt ansetzt, um Massenwirkungen zu erzielen und womöglich die Welt aus den Angeln zu heben. Gleichzeitig entwickelte sich sein Vorbehalt gegen jedwede Art von Vereinen, deren Doppelgesichtigkeit ihm verdächtig erschien. Einerseits streben sie nach Vereinigung, was ja auf die schöpferische Macht der Sympathie hinweisen könnte, andererseits drängen sie zur Vereinheitlichung, welche den Einzelmenschen auszulöschen sucht, um ihn leichter lenkbar zu machen. Injektionen von sogenannter „Gesinnung" verbessern die Regierbarkeit der Gesinnungstreuen.

Unter solchen Voraussetzungen wurde aus Edwin Hartl allmählich der höfliche Eremit in der Hinterhofklausur der Mariahilferstraße, wonun freilich in seinem Arbeitszimmerein stürmischer Andrang, ja geradezu ein wildes Getümmel der Geister herrscht, die unseren Patriarchen mit Bücher-und Briefbergen umzingeln. Alle verlangen von ihm Beiträge, Stellungnahmen, Feuilletons und Essays, denn nur eines Edwin Haitis Mitarbeit und Autorität beweisen den Print- und elektronischen Medien, daß sie eigentlich viel unabhängiger, objektiver und liberaler sind, als sie sich selber normalerweise eingeschätzt haben.

Vielleicht als letzter Privatmensch innerhalb gut organisierter Autorenversammlungen steht Edwin Hartl gern und freiwillig im Abseits, an dem man aber allseits heftig interessiert ist, denn nur im Abseits gedeiht eine Autorität, die man nicht bloß als vom Zeitgeist auferlegte Mode duldet, sondern de-rerman als verläßliche Orientierungshilfe dringend bedarf. Kommt noch dazu, daß seine Autorität nie autoritativ und trotz seiner satirischen Grundbegabung niemals verletzend ist.

Einer Anregung von Alois Brand-stetter folgend erklären wir damit, daß ja „Hart-!", dieser sprechende Name, bereits ein Rezept enthält, nämlich alles Harte mit dem 1, dem Deminutiv weich zu kochen. Zuletzt stellt sich Hartl als die Zärtlichkeit des Harten heraus. Weshalb er es auch ablehnt, die Posaunen des jüngsten Literaturgerichts zu blasen und als Platzanweiser die zitternden und zagenden Autoren zur rechten und zur linken Hand Apolls zu vergattern. Wer seit sechs Jahrzehnten die ohne jegliche Geburtenkontrolle unaufhaltsam anschwellende Explosion von Geisteskindern erlebt, der neigt zu einem gewissen Literaturpazifismus, um die erbarmungslosen Existenzkämpfe solcher Geisteskinder in den öffentlichen Kindereigärten ein wenig einzudämmen.

Ein „Lesecharakter"

Denn jeder Text, sei er nun musterhaft oder ein Muster ohne Wert, kann dazu verhelfen, daß man sich zum Menschenkenner ausbildet, ohne sich einem verwirrenden Trubel ausliefern zu müssen. Dazu kann jede Art von Literatur, einen analytisch genügend scharfsichtigen Leser vorausgesetzt, einen wichtigen Beitrag leisten. Nicht nur im - derzeit stark umweltver- schmutzenden Sturm der Welt, wie Goethe will, sondern auch unter der nervenschonenden Leselampe - wie Edwin Hartl vorschlägt, bildet sich ein Charakter.

Freilich - auch ein Edwin Hartl kommt um unauflösbare Widersprüche nicht herum. Deshalb überläßt er zuweilen der Sprache das Wort. Er schaut nicht wie Luther den Leuten aufs Maul, sondern den Worten in ihre Silben, in ihre geheimhaltenden Beziehungen hinein, wobei sich die Hintergründe unserer Wirklichkeitsvorstellungen auftun. Jeder Gedanke hat - zugegeben oder nicht - seine Hintergedanken.

In einem Jahrhundert, wo das Moderne zum Megaliten, zum archaisch Monströsen und massig Demagogischen ausartet, setzt der Aufstand des Einzelmenschen völlig andere Maßstäbe. In aller Welt gibt es hiefür Beispiele. Im Wiener Literaturbereich hat Edwin Hartl diesen Aufstand des Einzelnen zu seiner Liebhaberei gemacht. Er ist zu dessen Berufsamateur geworden, hat also das Kunststück zuwege gebracht, das routinierte Können des Berufs und den Amateur, aus dem ja noch immer etymologisch verstohlen die Liebe zum anderen herausguckt, mit der Selbstbewahrung des Einzelnen zu verbinden.

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