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Tradition

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Aus dem Lateinischen trahere ist die Tradition und viel später der traditionslose Traktor hervorge-gangen. Leider haftet der Tradition oft das Mißverständnis an, Ge-schichtlichkeit sei etwas, daß sich sofort in nichts auflöste, würde man sich den Energieaufwand'des Erin-nerns ersparen. Das ist purer Unsinn. Wir tragen die Kiementradition der Fische in unseren eustachi-schen Röhren, ob wir das wissen oder nicht. Und genauso ist es in der Geschichte einer Kultur und deren geographischen Räumen.

Für einen Gelehrten wie Robert Mühlher gehört solche unablässige Bewußtseinserweiterung zur tägli-chen Atemübung seines Geistes. Nur so ist es möglich, einige Jahr-hunderte der Geistesentwicklung von Schlesien über Böhmen und Wien bis Rom nicht nur verständ-lich, sondern so fühlbar zu machen, wie dies in dem Buch über Joseph von Eichendorff gelungen ist. Denn es bedarf eines differenzierten Sensoriums, um alle Zonen von Eichendorffs Wesen, den musischen Menschen, den Ironiker und Hu-moristen, den politisch Denkenden und den mystisch Empfindenden gleichermaßen aus dem For-schungsmaterial zu verlebendigen.

So drängen sich denn auf jeder Seite des Buches Analogien auf. Und manchmal scheint uns, wir selber seien nur lebendige Allegorien, also Symbole für etwas, das mächtiger im Sein wurzelnd alle Epochen und deren Wechsel baumartig überdauert.

LEBENDIGE ALLEGORIEN. Studien zu Ei-chendorffs Leben und Werk. Von Robert Mühlher. Jan Thorbecke Verlag, Sigmaringen 1990. 245 Seiten, öS 280,80.

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