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Dreizehn Momentaufnahmen aus dem Leben des Franz von Sales

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Wie kann man eine Gestalt der Geschichte dem Leser möglichst lebendig vor Augen führen? Abgesehen von den formalen Bedingungen des Umfangs und des dokumentarischen Aufwands, unter denen der Autor arbeitet, bleibt doch auch entscheidend, wieviel Imagination er einzubringen für erforderlich oder statthaft hält. Sensationsträchtige Persönlichkeiten sind zumeist in allen Spielarten vom voluminösen historischen Roman bis zur knappen Novelle, von der wissenschaftlichen Biographie bis zum Essay publizistisch präsent. Die Heiligen werden aber meist stiefmütterlich behandelt. Umso bedeutsamer Peter Ebners Arbeit über Franz von Sales.

Auch in seinen Bomanen, denen historische Personen zugrunde liegen (Ignatius von Loyola und Franz Schubert) hat der Autor nicht die ganze Lebenskadenz dargestellt, sondern Szenen oder Szenenfolgen ausgewählt, ergiebige Ballungszentren des Schicksals, welche seinem Einfühlungsvermögen entgegenkommen. In einer späteren Schaffensphase hat Ebner immer mehr die Fokussierung von Lebensläufen in Einzelszenen vervollkommnet („Ihr werdet meine Zeugen sein”, aus dem Leben heiliger Menschen, „Für Gott und die Welt”, 15 Erzählungen über hervorragende Jesuiten der letzten vier Jahrhunderte).

In seiner Sales-Biographie führt uns der Autor durch 13 Lebensstationen, historische Momentaufnahmen, Familienporträts bis zu Gruppenbildern kirchlicher und weltlicher Gemeinschaften. In solch präzisen Szenenbildern ohne jegliches schmuckhafte Beiwerk entfaltet sich ein geistiges Spannungsfeld, das heute ebenso schmerzhaft ungelöst, ebenso tragisch bedrohlich unsere Gegenwart bestimmt wie damals an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert. Aber just durch diese offensichtlich akute Krise der Menschheit tritt die überzeitliche Geistigkeit des Bischofs von Annecy, Sales, leuchtend hervor. Denn er überwindet innerlich und in seinem Handeln das, woran wir auch heute noch und oft ergebnislos laborieren. So ist er zum Beispiel den abergläubischen und von Dämonen verschreckten Bauern gegenüber der moderne rationale Aufklärer, für sich selbst aber in seiner Einsamkeit der überrationale Mystiker. In seinem öffentlichen Wirken als Priester und Bischof könnte man einen Vorgriff auf die Prinzipien der Egalite und Liberte sehen. Weil die Fraternite ja nur eine laizistische Versimpelung des christlichen Zentralbegriffs der Liebe darstellt, ist also die ganze Trias der französischen Revolution mit einem Vorsprung von

rund 200 Jahren durch den Heiligen aus- und aufgerufen. In seiner Geisteshaltung als Schriftsteller und als Partner der Menschen hat Franz von Sales jedoch die innere Noblesse der Aristokratie, welcher er entstammt, nicht nur übernommen, sondern vollendet und verklärt.

Nach den Gewaltorgien Frankreichs im 16. Jahrhundert und vor den sogenannten Glaubenskriegen im Mitteleuropa des 17. Jahrhunderts nimmt sich das Leben des Heiligen trotz aller äußeren und inneren Spannungen wie ein hoffnungsvoller Friedenstag aus, denn Franz von Sales strebt in allen Rereichen seiner Wirksamkeit danach, das Bewußtsein zu vertiefen, daß der Glaube sein Ziel und seine Vollendung nur in der Liebe, also in der Gewaltlosigkeit, nicht aber in gewaltsam erzwungenen Ordnungen erreicht. Wie sehr er von dieser Idee durchdrungen ist, beweist die

Tatsache, daß er alle über Annecy hinausführenden Aufstiegsmöglichkeiten als Versuchungen zurückgewiesen hat. Der kirchlichen Hierarchie als Erzbischof von Turin und Paris ist er ausgewichen. Sein Wunschziel, mit dem Rosenkranz und der Feder in Einsamkeit zu leben, hat sein früher Tod, Folge einer dauernden Arbeitsüberlastung im Dienst der Liebes-Idee, vereitelt. Die alles in einer dem Ernst des Themas entsprechenden, schlichten und dennoch eindringlichen Form ermittelt zu haben, ist das Verdienst dieses beherzigenswerten Buches. Verlag und Autor haben sich überdies bemüht, die 13 Lebensstationen in Ölbildern, zeitgenössischen Stichen und modernen Fotografien zu veranschaulichen.

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