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Schwarze Woche für die Literatur

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Die erste Aprilwoche dieses Jahres hat die europäische Literatur ärmer gemacht: Am 3. April starb der englische Erfolgsautor Graham Greene, einen Tag später der bedeutende Schweizer Schriftsteller Max Frisch und der österreichische Literat Ernst Schönwiese.

In manchem erinnerte der am 2. Oktober 1904 in Berkhamsted geborene Greene an Ernest Hemingway. Auch er kam als Redakteur der „Times" vom Journalismus und hat diese Ausbildung in reißerischen Romanen gekonnt genützt. Auch er war Abenteurer, lebensgierig und rastlos. Beiden genügten keine „Second-hand-Informationen", sie wollten alles selbst erleben und erleiden; und beide waren politisch engagierte Autoren. Greenes Vitalität rekrutierte sich auch aus einem echten Glauben. Obwohl 1926 vom anglikanischen zum katholischen Glauben konvertiert, blieb er zeitlebens kritischer, und gerade deshalb engagierter Katholik, der wohl dem biblischen Grundsatz, „der Geist macht lebendig, nicht der Buchstabe", folgte. Weltbekannt wurde Greene mit seinem 1940 geschriebenen Roman „Die Macht und die Herrlichkeit". Erste Erfolge hatten er aber schon mit seinen in den dreißiger Jahren entstandenen Romanen „Orient-Expreß" und „Ein Sohn Englands". Dem österreichischen Publikum unvergeßlich machte er sich mit dem

Roman „Der dritte Mann", der von Carol Reed genial verfilmt wurde. Es folgten „Der stille Amerikaner", „Unser Mann in Havanna", „Die Stunde der Komödianten", der von Hilde Spiel übersetzt worden war, und viele andere. Von seinen etwa 30 Romanen sind die ersten vier im Herbst vorigen Jahres in einer neuen Übersetzung im Zsolnay Verlag als Beginn einer Neu-Edition erschienen.

Etwas hatte Greene auch mit Max Frisch gemeinsam: Beide waren immer wieder im Gespräch für den Literatur-Nobelpreis - erhalten haben sie ihn nicht. Der am 15. Mai 1911 in Zürich geborene Frisch war gemeinsam mit dem zehn Jahre jüngeren und Ende 1990 verstorbenen Friedrich Dürrenmatt der prominenteste Autor der Schweiz. Als Sohn eines Architekten gründete auch er 1944 ein Architekturbüro. Zu schreiben hatte er schon viel früher begonnen. Der Durchbruch gelang ihm allerdings erst Mitte der fünfziger Jahre mit den Romanen „Stiller" (1954) und „Homo faber" (1957). 1958wurdeseinStück „Herr Biedermann und die Brandstifter" uraufgeführt, das seinen Ruhm als Dramatiker begründete. Mit „Andorra", das er 1961 nach mehrmaliger Umarbeitung herausbrachte, hatte er sich endgültig in die Literaturgeschichte eingeschrieben. In diesem Stück ist ein zentrales Thema seiner Dichtung, nämlich das

des Outsiders in einer in Ressentiments erstarrten Gesellschaft, paradigmatisch formuliert. Bezug zu Österreich hatte Frisch über eine gescheiterte Beziehung zu Ingeborg Bachmann, über die er sich stets sehr verhalten äußerte. Weitere wichtige Werke sind „Mein Name sei Gantenbein" (1964), „Montauk" (1975) und „Der Mensch erscheint im Holozän" (1978). Im Jahr 1981 war im Wiener Akademietheater eine bemerkenswerte Inszenierung seines Stückes „Triptychon" zu sehen. Bis zuletzt blieb Frisch ein streitbarer Autor, der an den USA ebenso Kritik übte wie an der Schweiz und seiner Armee: „Schweiz als Heimat?" (FURCHE 33/1990). Mit Max Frisch hat ein nicht nur für sein Heimatland Unbequemer die Weltbühne verlassen.

Noch vor wenigen Wochen hat Ernst Schönwiese eine Vortragsreise in die USA absolviert und dabei die Genugtuung erfahren, daß nicht nur sein dichterisches Lebenswerk, sondern alle Bereiche seiner vielgefächerten Kreativität lebhafte Anteilnahme und Interesse gefunden haben; so auch seine Leistung als Leiter der Hauptabteilung für kulturelles Wort im ORF, wo er viel dazu beigetragen hat -vor allem durch seine subtile Bearbeitungen Franz Werfeis und Hermann Brochs -, daß die Zeit von

1950-1980 als die klassische Epoche des Hörspiels anerkannt ist. Auf dieser letzten Tournee suchte man auch deshalb die Begegnung mit Ernst Schönwiese, weil er bereits in den dreißiger Jahren, entgegen dem damals herrschenden Zeitgeist, in Musil und Broch die künftigen „ Fixsterne" der österreichischen Literatur des 20. Jahrhunderts erkannt hat und als Deuter und Anreger ihnen zur Seite gestanden ist.

Auch als Präsident des P.E.N.-Clubs und der Internationalen Mu-sil-Gesellschaft vermochte sich Schönwiese - und dies ist einer der außergewöhnlichen Züge seines Charakters - immer die Freiheit f ür ein meditatives Leben zu bewahren, diesen Quellbereich seiner Dichtung. Deren Ziel ist es, das wahre Selbst des Menschen von den Betörungen des Ego zu befreien. Das Mittel zu diesem Ziel ist eine Kunst, welche Ökonomie mit Schönheit, äußerste Knappheit mit seelischem Reichtum zu vereinbaren vermag. Auch darin tut sich Schönwieses Charakter kund, daß er diese für das heutige Österreich zweifellos einmalige Leistung in den Zusammenhang der europäischen Geistesbruderschaft stellte, indem er als Übersetzer ähnliche Tendenzen in der Dichtung des Nobelpreisträgers Juan Ramön Jim£nez und bei D. H. Lawrence der Öffentlichkeit nahezubringen versuchte.

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