Widerstand durch LITERATUR

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Zum 75. Geburtstag des Autors Peter Henisch: Ein Porträt über einen großen österreichischen Schriftsteller der Zweiten Republik.

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Zum 75. Geburtstag des Autors Peter Henisch: Ein Porträt über einen großen österreichischen Schriftsteller der Zweiten Republik.

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Denkt schneller Genossen, das Alte ist hinter Euch her", schreibt der österreichische Autor und Liedermacher Peter Henisch zu Beginn der Siebziger-Jahre, als sich die Gesellschaft wieder "in einem neuen Biedermeier" gemütlich einzurichten beginnt. Auch wenn Henisch, der damals 25 Jahre alt ist, die Ereignisse rund um das Jahr 1968 während seines Studiums zumeist nur "durchs Fenster betrachtet" hat, wie er sagt, so hat ihn die damalige Aufbruchsstimmung im Kontext der "Bewusstseinsrevolution" entscheidend inspiriert und geprägt, vor allem aber hat sie sein Interesse für Politik und soziale Verhältnisse geschärft.

In seinem neu aufgelegten Roman "Der Mai ist vorbei"(Deuticke 2018) geht Henisch aus der Retrospektive dieser Zeit der "Tendenzwende" und ihren Folgen kritisch nach: "Das konnte nicht funktionieren und trotzdem war etwas Richtiges dran. Ich mein, der Versuch, die Grenzen zu überschreiten, die uns beengen, innen und außen." Damals hat er gemeinsam mit Helmut Zenker die Zeitschrift Wespennest gegründet, ein Literaturforum "für brauchbare Texte", irgendwie auch als Rebellion gegen die damalige Avantgarde. Ja, "hochnäsig" sei diese Literatur gewesen, weil deren Vertreter unter dem Deckmantel der Sprachkritik die großen Themen und das Erzählen bewusst gemieden haben. Henisch hingegen fordert "handfeste Texte mit politischem Bewusstsein und gesellschaftlicher Relevanz". Schon damals entwickelt er eine heftige Aversion gegen jede Art von Gruppen, die sich nach einem gescheiterten WG-Experiment nur noch verstärkt. Fiktional unterfüttert spiegeln sich diese Erfahrungen in seinem lesenswerten "Mai-Roman".

Romantik als Beginn der Moderne

Fragt man nach seinen literarischen Vorbildern, so nennt er die Romantiker, etwa E.T.A. Hoffmann, aber auch Max Frisch oder Jim Morrison. Mit ihrem "gebrochenen Weltverhältnis" markiert die Romantik für ihn den eigentlichen Beginn der Moderne. Überhaupt korrespondieren viele seiner Werke immer wieder mit anderen literarischen Texten, aber auch mit seinen eigenen. Und das Autobiografische bietet ihm mit polyperspektivischen, erfrischenden Stadterkundungen bis in die tiefsten Fasern der "Peripherie" hinein samt Sensorium für die Topografie der Sprache, gepaart mit einem multikulturellen und historischen Bewusstsein und dem Interesse für unterschiedliche Milieus ein schier unerschöpfliches Stoffreservoir.

Ende August feiert Peter Henisch seinen 75. Geburtstag. Seinen gesellschaftspolitischen Anliegen ist er in seinem umfangreichen Werk über die Jahre hinweg treu geblieben, weil er Schreiben als "Zeichen gegen die Geschichtslosigkeit" begreift. Das unterstrich er erst kürzlich in einem Gespräch mit Martina Schmidt: "So gesehen ist Literatur nach wie [vor] oder jetzt erst recht Widerstand."

Die Jahre der Kindheit und Jugend in Wien fallen in die Nachkriegszeit. In seinem Ro man "Suchbild mit Katze", der auf der Shortlist des Österreichischen Buchpreises war, hat er sie erst jüngst sehr einfühlsam porträtiert. Während des Zweiten Weltkriegs verheimlicht sein Vater die jüdische Herkunft und arbeitet als Kriegsfotograf für die Nazis -stets in der Angst, entdeckt zu werden. Kurz vor dessen Tod erstellt Henisch Tonbandaufnahmen zu den Gesprächen mit seinem Vater über diese Zeit und dessen Arbeit und bezieht sie in sein Buch "Die kleine Figur meines Vaters" ein.

Hinsichtlich der Aufarbeitung der Kriegsvergangenheit der Väter, die bald vehement von der nachfolgenden Generation eingefordert wird, nimmt dieses Werk eine Vorreiterrolle ein, weil es quasi den Beginn der sogenannten "Väterliteratur" markiert. "Doch Besserwisserei habe ich bei aller Kritik an der Karriere meines Vaters in der Nazi-Zeit zu vermeiden versucht." Dass manche Stoffe wie beispielsweise dieser zu Lebensthemen werden, zeigen die Neubearbeitungen seiner Werke, mit denen immer auch Neupositionierungen einhergehen. "Mit meinen Büchern bin ich nie fertig", schreibt Henisch im Vorwort zur überarbeiteten Neuauflage seines Vaterbuches (2002/03) und erst kürzlich bemerkt er wieder, dass er noch keines seiner "Bücher ad acta gelegt" habe. "Stoffe bleiben" für ihn "lebendig".

So ist auch Max Stein eines Tages plötzlich wieder da. Ungebeten und unerwartet. Er setzt sich zum Schriftsteller, der hier an seiner Autobiografie schreibt, auf eine Bank im Türkenschanzpark und spricht ihn an. Ungewöhnlich daran ist, dass Stein behauptet, eine Figur aus dem Roman "Steins Paranoia" zu sein, der 1988, im Jahr der "Waldheim-Affäre", erschienen ist.

In seiner neuen Prosa "Siebeneinhalb Leben" fungiert der einstige Protagonist nun als "politisches Gewissen des Autors". Der unwidersprochen gebliebene Satz in einer Trafik, der nie zitiert wird, "metastasiert", ja führt zum persönlichen Fiasko des Protagonisten.

Nun verlangt Stein vom Autor eine Korrektur, eine Fortsetzung mit Aktualitätsbezug: "Was damals kurz an die Oberfläche gekommen ist, und was jetzt erst recht heraufsprudelt. Dazwischen war eine Latenzzeit, aber nun wird es manifest", im Internet und sogar öffentlich. Aus dem "Hirngespinst eines paranoiden Menschen" ist angesichts eines "bösen Zeitgeists" sukzessive "Normalität geworden". Stein geht es um die besorgniserregende politische Situation in Österreich samt Rechtsruck und menschenverachtender Polemik. Um seine Forderung durchzusetzen, ist ihm jedes Mittel recht. In "Siebeneinhalb Leben" schreibt Henisch als aufmerksamer und hellhöriger Chronist seiner Zeit erneut gegen das Vergessen an und fordert beharrlich zum Widerspruch auf.

Als besonders gelungener Kunstgriff ist sein Spiel mit der Fiktion zu sehen, indem er wie in den meisten seiner Werke autobiografisches Material einarbeitet und zugleich wieder fiktional bricht. Paul Spielmann, das Alter Ego des Autors, fungiert quasi als "literarischer Stuntman", wie er bemerkt, mit dem er Möglichkeiten erprobt und zugleich aus der Distanz betrachten kann. Auch im zweiten neu aufgelegten Roman "Pepi Prohaska Prophet" wird man mit einer subtil angelegten "Aufspaltung des Protagonisten" konfrontiert, die -so Henisch -mit den Mitteln der Ironie neue "Möglichkeiten der Selbstreflexion" eröffnet.

Gedichte und Songs in einem Band

Anlässlich seines 75. Geburtstages erscheinen erstmals auch "fast alle Gedichte und Songs" in einem Band versammelt unter dem Titel "Das ist mein Fenster". Hier finden sich etwa die Hiob-Zyklen, Lyrik in verschiedenen Fassungen, Begleitgedichte, die schon in seine Prosa integriert worden sind, und seine Songs/Blues mit einem kenntnisreichen Nachwort von Kurt Neumann. Neben einem sozialkritischen Zugang zur Welt wie in "Coole Zeiten" ("Nächstenliebe? - Des rechnet si net /Solidarität? - Is obsolet /mir san mir und mir san net bled / Mir san die, denen nix mehr /unter die Haut geht") zeigt sich etwa in seinen "Toskanischen Gedichten" oder in den "Terrassentexten" auch eine Hinwendung zum Detail, zur stillen Schau der Dinge: "Über den rot geziegelten Dächern /pfeifen die Amseln /ein uraltes Thema /mit Variationen / immer aufs Neue // Wie ich mich freue / ganz einfach da zu sein."

Peter Henisch hat in der österreichischen Literatur als tiefgründiger und kluger Beobachter seiner Zeit mit Kreativität, einer großen Sensibilität für die Sprache und einem Sinn fürs Menschliche bereits markante Spuren hinterlassen. In seinen Texten knistert und knackt es, weil sie anregend, kritisch und immer wieder widerständig sind. "Wir schreiben", heißt es in einem Gedicht, "da kann es schon vorkommen /dass sich auch unsere /eigenen Flügel /entfalten".

O-Töne Festival: Peter Henisch liest 30. August 2018,20:30 Uhr, MuseumsQuartier Haupthof. o-toene.at

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