Ist die Welt erlöst?

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Peter Henisch hat mit „Der Verirrte Messias“ eine Liebes- und Zweifelsgeschichte geschrieben.

In seinem neuen Roman greift Peter Henisch Themen auf, die ihn schon lange bewegen und auch in seinen bisherigen Büchern zu entdecken sind.

BOOKLET: Wie kommt man Anfang des 21. Jahrhunderts auf die Idee, einen Jesusroman zu schreiben?

Peter Henisch: Es ist ja eigentlich kein Jesusroman im schlichten und ergreifenden Sinn, sondern ein Roman über einen Mann, der sich vielleicht für den wiedergekehrten Jesus hält. Es ist ein sehr gegenwärtiges Buch, das keineswegs nur auf der Ebene von vor 2000 Jahren, sondern auch auf der Ebene von hier oder dort und jetzt spielt. Der palästinensisch-israelische Konflikt z.B. ist als Hintergrund durchaus spürbar und die alltägliche Banalität der globalisierten Welt übrigens auch, einer Welt, in der die Erlösung angeblich vor 2000 Jahren stattgefunden hat, aber es ist relativ wenig davon zu merken.

BOOKLET: Erlösung: gerade darum scheint es Ihnen ja zu gehen ...

Henisch: Das ist die zentrale Frage, die Erlösung. Wenn Jesus nicht auferweckt wurde, heißt es bei Paulus, dann können wir essen und trinken, denn morgen sind wir tot. Das ist, glaube ich, im Buch zitiert, dort fällt es Barbara ein, der Literaturkritikerin, in deren Kopf sich das alles abspielt. Im Grunde genommen erfahren wir alles, was da geschieht, sozusagen durch die Bande angespielt, durch das Bewusstsein der Literaturkritikerin Barbara. Dass sie eine Literaturkritikerin ist, kommt auch nicht von ungefähr. Die Frage der Erlösung, so radikal, die stellt man sich nicht immer, die verdrängt man im Großen und Ganzen. Das verbindet die Literatur mit der Religion, glaube ich, dass diese Fragen, die in der gegenwärtigen Gesellschaft immer stärker verdrängt werden, die man sich nicht stellen soll, da noch oder immer wieder gestellt werden.

BOOKLET: Es ist eine Provokation, wenn man als Literat die biblische Heilsgeschichte hernimmt und kontrastiert mit der Welt, wie wir sie wahrnehmen. Mit einer Provokation beginnt auch Ihr Roman: Da sitzt einer im Flugzeug und behauptet, er glaubt, der Messias zu sein.

Henisch: Das Christentum ist eine Provokation, das glaube ich durchaus. Alle Ideen, die das Christentum zur Beruhigung einsetzen, sind eigentlich häretische Ideen. Aber sicher könnte man dieses Buch von bestimmten Standpunkten aus auch als häretisches Buch missverstehen. Ich glaube nur, dass der Zweifel manchmal besser ist als der blinde und seichte Glaube. Und dieser Mischa, den Barbara kennenlernt – und diese Bekanntschaft verstört sie ja zunehmend, wie man im Verlauf der Lektüre bemerkt –, dieser Mischa hält es für möglich, der inkarnierte Jeschua zu sein, aber er zweifelt natürlich immer wieder daran und er zweifelt letzten Endes am zentralen Finale, das in den Evangelien steht. Dennoch kommt dann etwas sehr Überraschendes – es war auch für mich überraschend beim Schreiben, dass immer wieder etwas Neues kommt – was die Erwartungshaltung aus dem vorletzten Abschnitt wieder unterläuft. Ich glaube nicht, dass es ein ausrechenbares Buch ist.

BOOKLET: Sie bauen Momente ein, die für den Glauben konstitutiv sind und für die Lektüre der Bibel auch. Da kann man auch nicht sagen: Genau so ist es und nicht anders. Man ist sich – mit Barbara – nie sicher, auf welche Seite man wechseln soll. Dieses Pendel von Anziehung und Abstoßung, Nähe und Ferne, Glaube und Zweifel schlägt durchs ganze Buch.

Henisch: Ja, Sie sagen das so schön, dass ich es gar nicht anders sagen kann. Barbara ist durch die Bekanntschaft mit Mischa nachhaltig verstört, sie glaubt, ihn los zu sein, aus den Augen, aus dem Sinn, aber so läuft das eben nicht, und als sie nach Hause zurückkommt, da findet sie Briefe von ihm vor, die sie ja zuerst als spirituelle Belästigung empfindet. Aber sie findet nicht mehr in ihren Alltag zurück und merkt nach und nach, dass sie sich um diesen Menschen Sorgen macht. Er zieht sie in sein Magnetfeld hinein und sie kommt nicht mehr heraus. Sie macht sich um ihn Sorgen, sie kennt ihn zwar kaum, sie hat ja nur einige Stunden das Vergnügen gehabt im Flugzeug und bei der Zwischenlandung in Rom – und vielleicht auch ein zweifelhaftes Vergnügen – dann merkt sie aber, dass mehr in Bewegung gesetzt wurde, als sie wahrhaben will. Letzten Endes ist es auch eine seltsame Liebesgeschichte.

Das Gespräch führte Brigitte Schwens-Harrant.

Der verirrte Messias

Roman von Peter Henisch

Deuticke 2009

397 S., geb., € 25,60

ISBN 3-552-06116-9

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