Eine literarische Figur entwickelt Eigenleben

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Peter Henisch erhebt Zufälligkeiten und Unlogik in den Rang einer überzeugenden Methode.

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Peter Henisch erhebt Zufälligkeiten und Unlogik in den Rang einer überzeugenden Methode.

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Romanfiguren entspringen zwar dem Gehirn eines Autors, sie wurden dort als Idee geboren, aber manche entwickeln Eigenleben. Sie machen sich irgendwann selbständig, so dass der schreibende Dichter, halb zog er sie, halb sank er hin, nur noch staunend verfolgen kann, wohin der Hase, beziehungsweise das Leben der Gestalten, die er erfunden und in der Hand zu haben glaubt und die ihm nun immer öfter eine Nase drehen, läuft.

Der Roman "Schwarzer Peter" von Peter Henisch dürfte ein Werk dieser Sorte sein. Scheint es zu sein. Ein solches Leben, dachte ich beim Lesen immer öfter, denkt man sich nicht ohne weiteres aus. Da hat eine erdichtete Figur Gewalt über ihren Erdichter gewonnen. Zu bocksprunghaft muten die Geschicke dieses Peter Jarosch an, zu irrational die eigenen Antriebe, aber auch die von außen hereinwirkenden Zufälle. Diese mutmaßliche oder jedenfalls zumindest mögliche Seite seiner Entstehungsgeschichte würde jedenfalls erklären, daß Henischs "Schwarzer Peter", auch wenn man ob der Rösselsprünge dieses Lebens des öfteren verwundert innehält, von Kapitel zu Kapitel interessanter wird, dass dieses Buch bei aller Unlogik überhaupt nicht konstruiert, sondern zwingend wirkt und den Leser immer mehr in sich hineinzieht, in seinen Bann schlägt, immer neugieriger macht.

Man muß als Kritiker schon gezwungen sein, in kurzer Folge unter Stress sehr viele Bücher zu lesen, um diesen Roman so restlos auf die "politische Korrektheit" seiner Handlung zu reduzieren, wie es der Rezensent eines Wiener Wochenmagazins tat. Was immer er damit auch meinen mag. Der Vorwurf trifft so oder so jedenfalls nur bis zu einem gewissen Grad. Der Ich-Erzähler, ein Wiener Besatzungskind mit österreichischer Mutter und auf Nimmerwiedersehen entschwundenem schwarzem Vater, ist vielschichtig, eine facettenreiche Persönlichkeit und alles andere als ein Opfer des österreichischen Rassismus, auch wenn er, wie könnte es anders sein, ständig mit der gespaltenen Haltung "der" Österreicher (oder jedenfalls sehr vieler) gegenüber Schwarzen in Berührung kommt. Sein Identitätsproblem wirkt nicht auf irgendeine Aussage hingetrimmt, sondern ziemlich selbstverständlich. Einen großen Teil seiner Probleme hat er sich auch selbst zugezogen. In der Geschichte seiner schiefgegangenen Ehe spielen all die Dinge, die immer und überall Ehen auseinandergehen lassen, eine größere Rolle als die Tatsache, daß er ziemlich dunkel und sie die Tochter eines kommunistischen Zahnarztes ist, der alle Schwarzen umarmen möchte, bloß nicht den, der mit seiner Tochter schläft. Später geht er mit wehenden Fahnen von den Kommunisten zu Kreisky über.

Henisch gelang viel mehr als ein brav ausgedachter Roman über einen schwarzen Wiener. Es gelang ihm ein 542 Seiten dickes Buch, das von Anfang bis Ende nicht langweilig wird. Ein großer Teil der suggestiven Wirkung ist der Sprache des Ich-Erzählers zu verdanken. Flüssig, nie hochgestochen, nie mühsam, drängt sie ihre literarische Qualität dem Leser nicht auf, sondern bereitet ihm, indem sie auch sein Sprachgefühl zufriedenstellt, doppeltes Vergnügen. Eine engagierte Haltung nimmt Henisch übrigens nicht nur gegenüber dem latenten Rassismus, sondern auch zur österreichischen Zeitgeschichte ein. Da kommt schon einiges Lehrhafte vor, aber so diskret und geschickt verpackt, daß man auch diese Stellen mit Interesse liest. Wer dabei nichts Neues erfährt, kann die intelligente Machart goutieren.

Enttäuschung bereitet das Buch vorübergehend erst gegen Ende. Da zwingt der Autor seine Figur, die so lange einer überzeugenden Eigengesetzlichkeit folgte oder Henisch einfach auf den Flügeln seiner eigenen Phantasie davonflog, wieder unter seinen konzeptiven Willen. Viel Wasser ist den von ihm so geliebten Donaukanal hinuntergeflossen, seit Peter Jarosch seine Ehe in einem Anfall von idiotischer Schwatzhaftigkeit endgültig in die Luft gesprengt hat. Er lebt seit langem in New Orleans mit der Schwarzen Jenny zusammen, nun will er seine Kinder und die Heimat wiedersehen. Doch der arme schwarze Pechvogel verliert sein Geld und seine Papiere, setzt sich musizierend auf die Kärntner Straße, wird von der Polizei aufgegriffen - soweit alles logisch. Auch die Behandlung der einsitzenden Ausländer wird völlig glaubwürdig geschildert.

Doch daß ein in Wien aufgegriffener Schwarzer, der ausgezeichnet Deutsch spricht und behauptet, hier geboren zu sein und Peter Jarosch zu heißen, tagelang festgehalten wird, ohne dass die Fremdenpolizei einen schnellen Blick in die Melderegister wirft, wo er sofort aufschiene, so dass alle Missverständnisse aufgeklärt wären, das glaube ich einfach nicht, lieber Peter Henisch. Nicht, weil ich Wiens Fremdenpolizei für so besonders lieb und human, sondern weil ich sie nicht für völlig verblödet halte. Wo die Herren doch sonst sogar ganz nett zu Peter Jarosch sind. Das ist ein Fehler auf der realistischen Ebene, und auf der realistischen Ebene, notabene der politischen, muß ein Roman stimmen.

Am Ende sitzt der längst ergraute schwarze Peter wieder am Mississippi in New Orleans (Orleans ist, wie wir erfahren, stets auf der ersten Silbe zu betonen) auf der Straße und musiziert. Nun stimmt alles wieder. Ob er zu seiner Jenny zurückfindet, erfahren wir nicht so genau. Wer dieses Buch mit der notwendigen Ruhe gelesen hat, kommt nicht sofort wieder davon los. Wir sind tief in die Beschreibung eines Lebens eingetaucht, die, ein Stück ebenso erfreulicher wie sprachlich untadeliger und auch durchaus unterhaltender Literatur, auf seltsame Weise "unliterarisch" wirkt, nämlich nicht wie die Erzählung eines erfundenen, sondern eines gelebten Lebens. Wir haben sympathische, weniger sympathische und auch ein paar skurrile Gestalten kennengelernt, turbulente Liebesgeschichten miterlebt, auch sehr viel Hin und Her war in diesem Leben, aber eine Lehre läßt sich daraus nicht ziehen. Ein politisch korrektes Buch? Ja, ein bißchen auch. Vor allem aber ein sympathischer und unbedingt lesenswerter, gut erzählter Roman, der viele Denkanstöße über die heutige österreichische Gegenwart liefert.

Schwarzer Peter. Roman von Peter Henisch. Residenz Verlag, Salzburg 2000. 544 Seiten, geb., öS 348,-/e 25,29

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