Stimmen finden und verlieren

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Semier Insayif wurde 1965 in Wien geboren. Seit 1993 veröffentlicht er Lyrik. Im Haymon-Verlag erschien nun sein erster Roman: "Faruq". Darin setzt er sich, ausgehend von eigenen Erfahrungen, literarisch mit den Möglichkeiten auseinander, sich der fremden und vertrauten Sprache und Kultur zu nähern. Der Vater des Autors kam - wie der Vater des Protagonisten in Insayifs Roman - 1954 aus Bagdad nach Wien und studierte Medizin, die Mutter wurde 1940 in Stuttgart geboren.

BOOKLET: Sie haben bisher ausschließlich Lyrik veröffentlicht. War es eine besondere Herausforderung, nun Prosa zu schreiben?

Semier Insayif: Dass es mich überhaupt hingeführt hat zur Prosa, lag am Stoff. Für mich war klar, er braucht ein anderes Feld als die Poesie, als die Gedichte. Die Erfahrung, Prosa zu schreiben, war sehr spannend. Man muss einen großen Bogen spannen - wobei ja auch hinter meinen beiden Gedichtbänden "libellen tänze" und "über gänge verkörpert" jeweils eine Werkidee steht. Das stellt vielleicht auch die Verbindung her zwischen der Prosa und meinen Gedichtbänden, aber der Bogen ist ein anderer und ich schreibe zum ersten Mal narrativ. Ich habe bei diesem Buch das Ausloten zwischen total Fiktionalem und biografischen Spuren versucht, was mich beim Schreiben sehr beschäftigt hat: Wie kann ich Fiktionales und biografisch so Nahes in Spuren so legen, dass es zu einem Geflecht wird, das Literatur wird? Und der Unterschied zwischen Erfundenem und Erinnertem, also der Erinnerung als Erfindung und umgekehrt, dieser fließende Übergang: Auch was biografisch nahe ist, ist eine Geschichte, die erzählt wird, wird ein Stück Erfindung. Das hat mich sehr fasziniert beim Arbeiten.

BOOKLET: Sie erzählen mehrere Geschichten, in verschiedenen Stimmen - manche nahe am Lyrischen. Sie sagten, der Stoff verlangt die Form. Wie haben die verschiedenen Erzählstimmen ihre Form gefunden?

INSAYIF: Ich habe da zunächst eine Figur, einen Protagonisten, der möglicherweise seine Stimme verloren hat. Der im Unterwegssein eine innere Stimme hat, und es ist nicht klar, ob die nach außen dringt oder nicht. Dieses Verlieren und Gewinnen von Stimmen zieht sich durchs ganze Buch. Es gibt zwei wesentliche Ereignisse, die damit zusammenhängen, dass sein Erinnerungsvermögen große Lücken hat. Es sind aus meiner Sicht die lyrischeren Stellen, wo man merkt, dass das Setzen seiner Schritte und seiner Spuren, die er in die Landschaft setzt, Sprache wird. Dieses in der Natur seine Spuren Hinterlassen und dieses Finden eines Gehrhythmus ist eigentlich seine Geborgenheit. Das ist eine Stimme, die ständig mit dabei ist, die aber ausschließlich über das Verhalten des Gehens passiert. Diese Geborgenheit gibt erst die Möglichkeit, Erinnerung zu finden. Dieser Protagonistentext ist die Gegenwart, eine wesentliche Stimme, etwas sehr Körperliches.

BOOKLET: Es ist ein eigenartiger Stil ...

INSAYIF: Ich habe diese Texte probiert: wo führt das stilistisch hin. Dieser Protagonistentext hat manchmal sehr kurze Sätze, staccatomäßig, auch Einwortsätze ...

BOOKLET: Wie die Punkte in den Streeruwitz-Texten ...

INSAYIF: ... da habe ich gar nicht daran gedacht, das war mir nicht im Kopf ... Der Stil hat mit dem Gehen zu tun, manchmal ist es länger, manchmal stolpert er, dann wird es kürzer, hektischer ...

BOOKLET: Dann weben sich arabische Worte in den Text ein ...

INSAYIF: Das ist ein roter Faden, der es dem Protagonisten ermöglicht, Erinnerungen wieder hervorzuholen. Er erinnert sich entlang einer Sprache, die aus ihm heraus wieder auftaucht: die arabische Sprache führt zu Erinnerungen an eine andere Kultur, die mit seinem Vater zu tun hat. Und da gibt es Erinnerungen, die möglicherweise eigene Erinnerungen des Protagonisten sind, die er selbst erlebt hat, auch mit dem Vater oder in dieser Kultur. Und es gibt Erzählungen des Vaters als Erinnerungen, was ja noch einmal einen Unterschied macht im Bezug auf Nähe oder Distanz von Geschichten. Dieses Erinnern entwickelt sich im Buch langsam und bekommt eine Beschleunigung gegen Ende hin. Das ist ein anderer Text. Da ist auch die Syntax anders. Die ist am erzählerischsten im klassischen Sinn.

BOOKLET: Sie meinen damit auch die Erinnerung an die Reise des Protagonisten als Kind in den Irak, ins Herkunftsland seines Vaters. Da kommt es zwar zu konkreten körperlichen Annäherungen, etwa durch die Umarmungen durch die Verwandten, aber es bleibt doch ein Touristenbesuch. Das kann man auch sprachlich festmachen. Wenn es etwa über den Sultan Saladin heißt, "man berichtete begeistert von seiner Rechtschaffenheit und seinem Heldentum", dann klingt das nach Reiseführer. Und so finden sich einige Formulierungen, die zeigen, dass da im Grunde keine Annäherung geschieht.

INSAYIF: Das finde ich spannend, dass Sie das sagen. Wenn man Dokumentationen sieht, wird so getan, als wäre man dem Land, das man sieht, sehr nahe. Das ist natürlich Humbug. Man bekommt Information, aber nah ist man überhaupt nicht. Aus meiner Sicht gibt es im Buch eine Vermischung. Es gibt Reisen in die Nähe, wenn er etwa auf das Minarett steigt und der Vater erzürnt ist, weil dem kleinen Jungen etwas passieren kann. Das ist etwas sehr Intimes. Es gibt aber auch die Eltern als Reiseführer. Der Vater erzählt über die Kultur oder die Mutter liest aus einem Buch vor. Der Protagonist hat einen Vater, der aus dieser Kultur ist, der aber selbst nicht in dieser Kultur aufgewachsen ist, und eine Mutter aus einer anderen Kultur. Er ist gleichzeitig fremd und nah. Dieser Protagonist kommt manchmal in die Nähe, aber im Grunde bleibt er Besucher.

BOOKLET: Der Protagonist hätte - da spielen Ihre eigenen Erfahrungen mit hinein - über den Vater die biografische Verwurzelung in dieser Kultur. Er kann sich Sprache zwar aneignen, aber sie kann ihm nicht die Kultur des Vaters hervorrufen. Das ist so ein Grundschmerz in diesem Buch ...

INSAYIF: Ja, das denke ich auch. An der Sprache zeigt sich beides, einerseits die Nähe, die mit frühen Erfahrungen zu tun hat. Es gibt eine Sprachmelodie, einen Rhythmus, den er plötzlich wiedererkennt als große Wärme. Gleichzeitig versteht er vieles nicht, bleibt oft mehr in der Melodie und der Rhythmik der Sprache. Das Verständnis, was ein Wort bedeutet, muss er sich erarbeiten. An Sprache ist beides spürbar: die Nähe zu einer Kultur oder auch zu einer anderen Figur, aber gleichzeitig auch die Distanz.

BOOKLET: Auf die Frage "Ist Sprache eine Brücke oder eine Barriere?" müsste man antworten: beides.

INSAYIF: Ja, beides. Auch wenn man sich eine Sprache aneignen muss, die man irgendwo innen spürbar, aber trotzdem nicht zur Verfügung hat. Es ist wie ein Schlaflied, das man immer gehört hat, man weiß aber nicht, was gesungen wurde. Aber man hat die Stimme, die Melodie, den Rhythmus. Aber das Verständnis für die Worte bleibt verborgen, dem muss man kognitiv nachgehen, aber das funktioniert so nicht. Da gibt's auch Verbindungen zu eigenen Spuren in meinem Leben, das ist eine interessante Situation, die wird zu schnell übersprungen. Oft ist die Sprache entweder die große Brücke oder die nicht gesetzte Brücke - und das bleibt sehr plakativ.

BOOKLET: Da gibt es ja auch noch diese Frau, die in ihrer eigenen Kultur fremd bleibt.

INSAYIF: Diese Frau bleibt in ihrer eigenen Kultur, ist aber bis zum Schluss völlig fremd, kann in ihrer Kultur nicht Fuß fassen. Jedes Individuum ist eine Gesellschaft, könnte man sagen, und es ist keinem Individuum von vornherein geschenkt, heimisch werden zu können. Jedes Individuum spricht eine eigene Sprache. Der Versuch etwas zu verstehen ist ein wesentliches Thema der Rede, die hier stattfindet, der Stimmen.

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