Dragica Rajčić Holzner: „Ich will ihre Geschichte nicht“
In ihrem neuen Text „Glück“ lässt Dragica Rajčić Holzner eine zeitgemäße weibliche Stimme erklingen – und sogenannte Fehler werden Poesie.
In ihrem neuen Text „Glück“ lässt Dragica Rajčić Holzner eine zeitgemäße weibliche Stimme erklingen – und sogenannte Fehler werden Poesie.
„Glück“, so lautet der ebenso einfache wie verheißungsvolle Titel des Textes von Dragica Rajčić Holzner, der 2019 im Schweizer Verlag Der gesunde Menschenversand veröffentlicht wurde, und zwar in der Reihe „edition spoken script“. In ihr erscheinen Texte, die für den Vortrag entstanden sind, also etwa Sprechtexte für die Bühne, fürs Radio, mündliche Erzählungen, Lautgedichte – Texte aus der wachsenden Spoken-Word-Szene und so weiter. Texte also, die sich durch die Unmittelbarkeit in der Wirkung auszeichnen, durch Rhythmus und Musikalität.
Auch „Glück“ wurde 2018 und 2019 als Theaterstück in Basel und Zürich aufgeführt und ist äußerst rhythmisch durchkomponiert. Glück ist im Text von Rajčić Holzner allerdings kein Gemütszustand, vielmehr ist es der Name des Herkunftsdorfs von Ana Jagoda, der Ich-Erzählerin. Ein Dorf, wo „Gott der Welt Gute Nacht gesagt hat“, ein äußerster Ort in Dalmatien – wo 1959 auch die Autorin geboren wurde. Nach dem Abitur und einem Australien-Aufenthalt kam sie 1978 in die Schweiz, wo sie in diversen Jobs arbeitete, als Putzfrau, Büglerin und Heimarbeiterin. 1988 kehrte sie nach Kroatien zurück und gründete dort die Zeitung Glas Kaštela und arbeitete als Journalistin. 1991 floh sie während der Jugoslawienkriege mit ihren drei Kindern in die Schweiz, wo sie sich in der Friedensarbeit engagierte und Soziokultur studierte. Heute lebt Dragica Rajčić Holzner als freie Schriftstellerin und als Lehrbeauftragte in Zürich und Innsbruck.
Eine eigene Kunstsprache
Die Autorin begann Anfang der 1970er-Jahre mit dem Schreiben, zuerst in ihrer Muttersprache, und seit ihrem ersten Aufenthalt in der Schweiz entstanden auch Gedichte, Kurzprosa und Theaterstücke in deutscher Sprache. Rajčić Holzner pflegt dabei einen bewusst an das sogenannte „Gastarbeiterdeutsch“ angelehnten Stil, der mit Fehlern und Fehlsetzungen an der Oberfläche der Sprache arbeitet, einen Stil, den sie mittlerweile zu einer Kunstsprache elaboriert hat und der auch eine enorme gesellschaftspolitische Aussagekraft besitzt, unterstreicht die Autorin damit doch die vielschichtigen Mechanismen von Inklusion und Exklusion, die auf der sprachlichen Ebene zum Wirken kommen.
Doch als Kunstsprache kann diese ästhetische Verfahrensweise viel mehr: Bei den „muttersprachlichen“ Leserinnen und Lesern ruft sie zuerst ein Empfinden der Verfremdung des allzu Gewohnten hervor und beschert einem in einem nächsten Schritt einen sprachlich-literarischen Mehrwert und einen Erkenntnisgewinn aufgrund eben dieser meistens nur minimalen sprachlichen Verschiebungen.
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