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Literarische Heimatsuche

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Heimat - eine Idylle? Die Schriftstellerinnen sind dieser Illusion in den letzten zwanzig Jahren ganz kräftig zu Leibe gerückt.

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Heimat - eine Idylle? Die Schriftstellerinnen sind dieser Illusion in den letzten zwanzig Jahren ganz kräftig zu Leibe gerückt.

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Da sind noch die volkstümlichen Lieder und die Hymnen, die den Zauber der Flüsse, Felder, Bäume, Feisund Eisregionen, die Rechtschaffenheit und den Fleiß seiner Bürger mit Ergriffenheit preisen. Währenddessen zeichnen sich die Zerstörung natürlich gewachsener Lebensräume und der touristische Ausverkauf von Wäldern, Bergen und Seen ab.

Heimat - eine Idylle? Zwischen Heimatvorstellung und Heimatwirklichkeit klaffen Widersprüche. Peter Turrini zeigt sie in schonungsloser Offenheit in der „Alpensaga” auf und begründet seine kritische Position in seinem Vorwort:

„In der Schule wurde mir Heimat als Heimatkunde vermittelt, das Dorf als ein Ort der Harmonie, in dem Probleme nur durch Auftauchen eines schlechten Charakters, den die Gemeinschaft loswerden mußte, entstanden. Heimat ist, so schilderte es der Volksschullehrer,derOrt des Brauchtums, der Gebete, der Bewahrung. Der Bauer war der Herr der Scholle, das Unrecht etwas, was Gott bestraft. Diese vermittelte Vorstellung von Heimat, die so schützend und beruhigend war, wurde mir entzogen durch das, was ich sah und erlebte. Bauern schlugen ihre Frauen und Kinder, unser Nachbar erschoß sich mit einem Schlachtschußapparat. Kleinbauern gingen zugrunde und in die nahegelegene Stadt arbeiten. Dieser Widerspruch zwischen Heimatvorstellung und Heimatwirklichkeit, oder besser gesagt, meine Unfähigkeit, ihn zu verstehen und zu deuten, machten mich heimatlos.”

Neben der Abrechnung im Zorn, wie wir sie bei Peter Turrini, Josef Winkler oder Thomas Bernhard kennengelernt haben, in der zumeist Herkunftsgeschichte der Hauptfigur und Topographie des Heimatortes und der Identitätsfindungsprozeß zugleich als Sprachfindungsprozeß einen kleinen literarischen Kosmos bilden, gibt es doch auch das Sich-Lustigmachen, die bewußte Anti-Idyllisierung durch Verfremdung, Witz, Satire, Ironie.

Der gebürtige Kärntner Gert Friedrich Jonke drückt sein Befremden über alle klischeehaften Gestaltungsversuche von dörflichem Leben in seinem „Geometrischen Heimatroman” dadurch aus, daß er mit Elementen aus der experimentellen Literatur eine Parodie auf ein Modelldorf verfaßt. Durch den Einsatz des Stilmittels der Verfremdung macht Jonke deutlich, wie kurios eigentlich die Wirklichkeit ist und wie wichtig es ist, mit der Distanz eines speziellen Schreibverfahrens die Unnahbarkeit verlogener Zustände aufzuzeigen. Vielleicht braucht der Autor diese Art des Schreibens auch, um selbst Abstand zu gewinnen von einer heilen Welt, die sich als nicht real erwies.

Erst Befremdete wie Turrini, schmerzhaft Entwurzelte wie Rose Ausländer, Heimatvertriebene wie Fulvio Tomizza, nicht aber Nesthok-ker oder selbstgenügsam unbewegliche Einheimische können das beschreiben, was Heimat bedeutet.

Vielen aber ist es nicht möglich, sich zwischen Gehen und Bleiben zu entscheiden, sie haben keine Wahl, sie müssen einen Kompromiß eingehen und sich für zwei Orte entscheiden: für einen, den sie als den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen zum Wohnort und einen anderen, den sie zum Berufsort erwählen. Der Schwund an Beheimatung, der aus dem Pendlerschicksal erwachsen kann, wie Rudolf Weiß in seinem Gedicht „Pendler” aufzeigt, stimmt nachdenklich:

, jeden morgen / kommen sie zum zug / weil sie sonst nicht / zum zug kämen/ jeden abend liegen sie/in den letzten zügen /während andere/in vollen zügen genießen jeden tag / verrollt sich unmerklich / ein Stückchen heimat”

Zurzeit werden wir allesamt Zeugen eines Heimatverlustes, der brutal und radikal über Menschen hereinbricht: durch Krieg, politische Machenschaften, durch Naturkatastrophen. Jean Amery faßte dieses Lebensgefühl als ein vom Nationalsozialismus gehetzter Jude in seinem Band „Wieviel Heimat braucht der Mensch?” in einem einzigen Satz zusammen: „Die Vergangenheit war urplötzlich verschüttet, man wußte nicht mehr, werman war.” Und er beschreibt auch die immerwährende Sehnsucht nach dem Verlorenen auf eindringliche Art und Weise.

Peter Härtung nimmt sich aus eigener Betroffenheit der unfreiwillig Wandernden in seinem Buch „Der Wanderer” an. Er selbst hat als Kind und als Jugendlicher in Olmütz, in Zwettl, in Brünn das Los eines Flüchtlings erfahren. Und so verwebt er seine persönliche Lebensgeschichte mit Franz Schuberts Kunstfigur des Wanderers, verknüpft sie mit dem Schicksal von Emigranten, Verfolgten und macht so bewußt, daß diese Art des Unterwegsseins nicht mit Reiselust, sondern mit Ver-lust und Aus-gestoßen-Sein zu tun hat.

Manchmal nähert sich ein Autor oder eine literarische Figur wieder denOrtender Vergangenheit an. Über Jahre und durch einige umfangreiche erzählerische Arbeiten hindurch erstreckte sich die „Langsame Heimkehr” von Peter Handke von Übersee nach Österreich, seine literarischen Figuren bezeugen seine persönliche Geschichte und widersprechen dieser immer wieder auch. Schließlich langt der „Wanderer ohne Schatten - Nord-südostwestherr” - wieder in seinem Dorf an. Alles hat sich verändert: die alten Mühlen sind verfallen, die verstreuten Äcker wurden zu riesigen Feldern zusammengelegt, das Wort „Mais” wurde durch „Silofutter oder Silage” ersetzt, wo früher Milchflek-ken auf der Straße gerannen, schillert Öl im Teer, „wo die Mitte war, ist jetzt ein Schild aufgestellt”: Dorfmitte. „Auch die ehemaligen Feldwege sind inzwischen alle beschildert und heißen nach den reichen Zugezogenen, die dort ihre Landhäuser haben und die großen Steuern bezahlen.” (Über die Dörfer)

Die Topographie des Ausseerlan-des hat Barbara Frischmuth nie ganz losgelassen. Altaussee ist für sie nicht gerade der Ort der Heimkehr oder der nostalgischen Erinnerung, aber doch der Ort der sich immer wiederholenden Einkehr.

Das Wechselspiel von Nähe und Distanz, von Vertrautheit und Fremdheit, wie es Barbara Frischmuth darstellt, erinnert uns an den engen Zusammenhang von wohnen, in Frieden sein und frei sein.

Der Autorin ermöglicht dieser heimatliche Schreibort offensichtlich auch Dimensionen ihres kreativen Spiels mit Figuren und Orten in ihren Erzählungen und Romanen.

Die Autorin, Germanistin und Leiterin des Literarischen Forums der Katholischen Aktion, hat soeben im Verlag Niederösterreichisches Pressehaus, St. Pölten, den Band „Ich wollt', daß ich daheime war'” veröffentlicht. Ihm ist der Beitrag - leicht gekürzt - entnommen.

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