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Chaos gesteigerter Labilität

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Vor einem Jahr hat Friederike Mayröcker ihren ersten längeren Prosatext vorgelegt, einen, wenn man so will, „Roman” aus vielen kurzen, unvermittelten Abschnitten mit dem Titel „Das Licht in der Landschaft”. Mit diesem Buch hat der Suhrkamp-Verlag nach längerem wieder ein Beispiel experimenteller Prosa in sein Programm aufgenommen, was um so mehr auffällt, als sich andere Autoren desselben Verlages, etwa Peter Handke, Paul Nizon und Gerhard Roth, in ihren jüngsten Büchern fast wie auf höheren Befehl unisono der unbefragt „realistischen” Schreibweisen der fünfziger Jahre bedienen.

Nichts von solchen Kompromissen bei Friederike Mayröcker. Anknüpfend an die innovatorischen Techniken der Avantgarde der Zwischenkriegszeit und an ihr eigenes umfangreiches lyrisches Werk hat die Autorin einen Prosastü entwickelt, der trotz seines scheinbaren Hermetismus im Leser, wenn er sich einmal von diesem Sprachsog hat fortreißen lassen, eine geschärfte Empfindlichkeit für alle Benennungen und Bedeutungsbezüge wachruft, gleichzeitig aber auch Situationsbetroffenheit und Identifikation mit den heraufbeschworenen psychischen Vorgängen und Zuständen her- , stellt

Jetzt liegt mit „Fast ein Frühling des Markus M.” der zweite Prosaband bei Suhrkamp vor. Hat Friederike Mayr ök- ker im „Licht in der Landschaft” in rhythmisch-musikalischer Ordnung einen Teppich der Erinnerung geknüpft mit vielen wiederkehrenden Mustern, Leitmotiven und ostinatem Sprachmaterial, so entwirft sie in ihrem neuen Buch ein Flimmernetz zwischenmenschlicher Beziehungen, ein Doppel von Kommunikationsexzessen und Kommunikationsverlust. Als simulierte Situation dient eine Gruppe von Leuten in einer Wohngemeinschaft wobei die Männer übrigens merkwürdigunterrepräsentiertsind,als vorgestellter Ort dienen eine große Berliner Wohnung und deren nächste Umgebung, aber auch einige für die innere Topographie der Figuren bedeutsame Punkte der Stadt Berlin. Die Autorin hat sich 1973 als Gast des Berliner Künstlerprogramms längere Zeit in Berlin aufgehalten. Wer aber auf Grund dieser Tatsache einen Schlüsselroman über Friederike Mayröcker, Ernst Jandl und die 1973 in der Berliner Wohnung von Max Frisch anwesenden Personen erwartet, geht fehl. Die klingenden Namen der erwähnten oder zu Wort kommenden Figuren hängen an Kunstgestalten, für die die Autorin aus den disparatesten Teilen ein fiktives Umfeld zusammengesetzt hat.

Das Geschehen wird in alternierenden Kapiteln jeweils aus dem Blickpunkt einer der beiden Hauptpersonen aufgefädelt, einerseits der Markus des Titels, anderseits Hilda, die erste in der Reihe von Markus’ Geliebten. Die Zweiteüung in die Perspektive Mann-Frau zieht allerdings keine geschlechtsspezifische Darstellungsweise nach sich, hier wird nicht, wie man es nach dem gegenwärtigen Stand der Diskussion erwarten könnte, die Gebrochenheit der Beziehungen zwischen den Geschlechtern thematisiert, etwa im Sinne einer Emanzipation der weiblichen Rolle, sondern die Möglichkeit der Darstellung von Beziehungen überhaupt, und zwar Beziehungen zwischen isolierten Einzelpersonen als Trägem einer ständig tätigen Vorstellungs- und Äußerungsmaschinerie. Deshalb liest sich das Buch trotz der Kapitelüberschriften (einerseits Markus, anderseits Hilda) auch wie ein fortlaufender Text.

Während gruppendynamische Praktiken und partnerbezogene Therapiekurse vorgegebene Sprachmu- ster als Ausweg anbieten, sozusagen einen Kult der Kommunikation im Ver- trauen auf eine heüe Theorie, öffnet Friederike Mayröcker das Chaos der Äußerungsformen, Bedeutungen und Mitbedeutungen. „Bildunterschriften zu einem verwirrten Seelengemälde”, wie es im Text heißt. Die Autorin gibt nicht vor, zu wissen, was getan werden muß, sondern sie stellt etwas von dem dar, was gesagt werden kann, eine sanfte Attacke gegen jene Art von Realität, wie sie das funktionale Alltagsbewußtsein unbefragt herstellt und akzeptiert. Der Leser sieht den intensiven Beziehungen, dargestellt im Bewußtseinsstrom der beiden Protagonisten, durch den Filter einer zugleich gebändigten und selbsttätigen Sprache von außen zu, er bleibt während der Lektüre in einem aufmerksamen Schwebezustand bei der Sache und bei der Sprache, er entziffert das Dokument einer gesteigerten Verletzlichkeit.

Wie ist nun dieses Chaos gesteigerter Labilität strukturiert? Eine Chronologie der Ereignisse laß sich kaum erkennen, sie stellt sich auch trotz der datierten Briefentwürfe im Anhang nicht her, ja die Datierung ironisiert sogar den Anspruch einer solchen Vorgangsweise. Der Text oszilliert zwischen den beiden Polen: konventioneller Erzählzusammenharig, wenn auch oft abrupt gerafft, und: Selbsttätigkeit der Sprache. Kaum ist eine intakte Passage zu lang ausgeführt, zer- bröselt sie sozusagen in erratisches Material; oder einzelne Wendungen verselbständigen sich und verlangen, daß man sie auch wörtlich nimmt, wodurch sich sogleich eine andere semantische Ebene erschließt, so etwa die herausstechenden Kursivausdrücke: „im stehen Gelassenheit, grau wacken Zone, das Zahnen der Zeit, verbohren wie verlieben”. Friederike Mayröcker verfügt über ein Repertoire von Abschweifungs-, Ausweich-, Stülsteh- und Verdichtungseffekten, die den Text extrem durchlässig machen und nur im übergreifenden lyrischen Gesamtrhythmus zusammengehalten werden. Dieser Rhythmus trägt den Leser wie in dem unendlichen Strom eines Musikstücks fort. Wenn er sich forttragen läßt. Oder wie es im Text heißt: „wir wünschen es ja immer sage ich, und welche Befriedigung, welche Genugtuung wenn wir es erfahren; dem ein verständigen, dem für unser Werk empfindlich gewordenen Leser begegnet zu sein. Ein weher Kommunikationseifer hält uns ja in grausamer Abhängigkeit von einer Leserschaft deren Angesicht wir nie kennen können.”

Mit ihren letzten beiden Büchern „Das Licht in der Landschaft” und „Fast ein Frühling des Markus M.” schließt Friederike Mayröcker an eine im deutschen Sprachraum vernachlässigte Tradition avantgardistischer Prosa an, wie sie uns in der europäischen Literatur etwa in den großen Romanen von Virginia Woolf und Claude Simon entgegentritt.

FAST EIN FRÜHLING DES MAR- KUS M. von Friederike Mayröcker. Suhrkamp-Verlag, FrankfurtlM., 120 Seiten, S 129.40.

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