Manische Hinwendung zur Literatur

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am 20. Dezember feiert Friederike mayröcker ihren 90. Geburtstag. Ein Porträt einer der ganz großen deutschsprachigen autorinnen unserer Zeit.

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am 20. Dezember feiert Friederike mayröcker ihren 90. Geburtstag. Ein Porträt einer der ganz großen deutschsprachigen autorinnen unserer Zeit.

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Es ist unbestritten, dass die österreichische Dichterin Friederike Mayröcker zu den ganz großen deutschsprachigen Schriftstellerinnen unserer Zeit gehört. Am 20. Dezember feiert sie ihren 90. Geburtstag. Unglaublich ist, mit welcher Agilität sie immer noch mit der Sprache jongliert, ihr kühnste und neue Facetten entlockt, ja überhaupt mitten im Lesen und unermüdlichen Schreiben steckt: "Habe fast keine Zeit für die gewöhnlichen Dinge weil ich schreiben musz immerfort ... diese Schreibleidenschaft", heißt es in ihrem neuen Prosaband "Cahier", der im Herbst im Suhrkamp- Verlag erschienen ist. In den letzten Jahren hat sie nicht nur konsequent ihren Stil weiterentwickelt, sondern ihn mit jedem Buch sogar noch hemmungslos radikalisiert. Man zollt Friederike Mayröcker Respekt und Anerkennung, die Preise häufen sich. Ihren Geburtstag würdigt man zurecht mit zahlreichen Veranstaltungen und Lesungen im In-und Ausland. Der Wiener Mandelbaum-Verlag hat jetzt sogar zwei Bände herausgebracht, die zugleich auch ihre Öffnung für andere Künste dokumentieren. Für Bodo Hells Hörstück liefert sie die Textspur "Landschaft mit Verstoßung". Entstanden ist ein "Klangbuch" mit Mayröckers "Ur-" und Hells "Parallelschrift". Zu Tageszeichnungen Linde Wabers hat man passende Texte aus dem schier überbordenden Fundus der Dichterin ausgewählt. Das Cover - eine Hommage an ihre Künstlerfreundin - stammt von Mayröcker selbst, die in den letzten Jahren immer häufiger auch kleine Strichzeichnungen in ihre Texte integriert.

Schreiben als tägliches Ritual

Mayröcker hat sich mit der Zeit einen ganz eigenen Nimbus erworben. Wo auch immer die schwarz gekleidete Künstlerin mit der charakteristischen Erscheinung und ihrem wachen Blick auftaucht, wird ihr Charisma spürbar, ihr völliges Aufgehen in den Texten, ihre nahezu manische Hinwendung zur Literatur. Ihr undurchdringliches, unüberschaubares, ja geradezu legendär gewordenes Zetteluniversum in ihrer Wohnung in der Wiener Zentagasse, das Leben in einem Textund Bücherkosmos - all das ist bereits hinlänglich bekannt. In "Cahier" notiert sie dazu: "mein Zimmer-Chaos spiegelt vielleicht das Chaos meines langen Lebens wider : es hat darin nie ORDNUNG gegeben, nur Wahnwitz Angstzustände Intuition ..." Das Schreiben zwischen Traum und Wachzustand gehört zu ihrem poetischen Konzept: "die Träume stiften die Poesie", auch wenn "das Betttuch ganz zerkratzt" ist, denn "in allen Farben/mit Filzstift sogar male ich".

Schreiben ist als tägliches Ritual untrennbar mit ihrem Leben verknotet. Partikel sind es, die sie aus der Traumwelt in die Realität rettet, die sie fortspinnt, anreichert, poetisiert zu einer assoziativ inspirierten literarischen Patchworktextur, gespeist aus Gelesenem, Erinnerungen, ja metaphorisch Wahrgenommenem. Nicht umsonst steht auf der Einladung zur jüngsten Buchpräsentation im Leopold-Museum ganz programmatisch: "Ich lebe in Bildern ... Ich sehe alles in Bildern, meine ganze Vergangenheit, Erinnerungen sind Bilder. Ich mache die Bilder zu Sprache, indem ich ganz hineinsteige in das Bild. Ich steige solange hinein, bis es Sprache wird." Ihr Schreiben bezieht Impulse aus der surrealistischen écriture automatique, aber auch aus der Musik. In einem Interview mit der Welt erklärt Mayröcker, dass sie das laute Hören von Musik in einen Rauschzustand versetze, er befördere sozusagen ihr Schreiben. Musik von Bach, John Dowland oder anderen. Zu arbeiten beginne sie sehr früh, "um fünf, halb sechs im Bett": "Ich habe große Zeichenhefte, in denen ich richtig herumschmieren kann. Erst später mache ich dann die Reinschrift ... Wenn es einmal elf ist, dann kommt er nimmer, der Heilige Geist des Schreibens."

Vor ein paar Jahren hat sie in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung bekannt, dass sie sich überhaupt nur am Leben fühle, wenn sie schreibe: "Seit ich 15 bin, explodiert es jeden Tag in mir. Mein Kopf ist so voll, und alles muss raus, ich kann nicht anders." Dabei hat Mayröcker wie Ernst Jandl, ihr Lebensgefährte, lange Zeit unterrichtet. Über zwei Jahrzehnte war sie Englischlehrerin, hat aber nie rechte Freude daran gehabt, vor allem weil dieser Beruf ihre Schreibenergien gebunden hat. Irgendwann ist es ihr möglich geworden, von den Preisgeldern zu leben. Den Schritt in die berufliche Selbständigkeit hat sie nie bereut. Auch nicht, dass sie sich ihr ganzes Leben auf die Literatur konzentriert hat, denn "Schreiben" bedeutet für sie "reflektiertes Leben".

Geliebte Natur und Erinnerungen

Die Integration der Außenwelt abseits der Natur und allgemeiner Lebensthemen hat Mayröcker nie interessiert. Politische Bezugnahmen oder eine Auseinandersetzung mit dem Weltgeschehen wird man daher in ihrem Werk vergeblich suchen, genauso wenig wie die Narration. Ihren thematischen Fokus legt sie vielmehr auf die von ihr geliebte Natur, auf Fragmente aus ihrem persönlichen Leben, auf Erinnerungen, ja und vor allem auch auf die Reflexion ihrer Lektüre, die sie als intertextuelle Versatzstücke in ihr Werk webt. Gemeinsam mit ihrem Weggefährten Ernst Jandl hat sie der österreichischen Gegenwartsliteratur enorme sprachkritische Impulse verschafft. Jandl und Mayröcker haben die experimentelle Literatur des Dadaismus und Surrealismus aufgegriffen und in den 50er-Jahren an die "Wiener Gruppe" angedockt, ohne je dazuzugehören. Beide sind einen völlig eigenständigen Weg gegangen. Der Tod Ernst Jandls war wohl einer der markantesten und schmerzlichsten Schnitte, die ihr das Leben zugefügt hat. Auch heute noch zieht die Erinnerung an ihn berührende Spuren durch ihre Texte.

Ihr neues Buch verstärkt und verdichtet die Arbeitsweise Mayröckers, die sich durch das Gesamtwerk der Dichterin zieht. Da gibt es nur mehr punktuelle Wirklichkeitsfragmente, die schnell wieder aufgelöst werden. Textstrukturell wird ihr Schreiben in ihrem Alterswerk immer radikaler. Die Interpunktion fehlt häufig, es gibt markante Bruchstellen, weil Wörter abgerissen werden, Unterstreichungen, eine schwebende Syntax, kleine Zeichnungen, hart verfugte Lektüresplitter - "Ellipsen meiner Sprache", schreibt Mayröcker treffend. "Bin DURCH-GEKNALLT" - fast kokett montiert sie diese Worte als sanftes Leitmotiv in diesen Band.

Anschreiben gegen den Tod

Dominant ist bei Mayröcker auf jeden Fall die Naturmetaphorik und damit verbunden das Ausloten semantischer Schwingungen, was für ihr gesamtes Werk gilt. Sie versteht es wie kaum eine andere Dichterin, ungewöhnliche, wunderbare Bilder zu erzeugen und zu verknüpfen, Bilder, die sich durch besondere Zusammenfügungen von Naturstimmungen und anderen Realitätsfragmenten ergeben: "exquisite Bildsprache ... Licht-Messen einer Landschaft in meine fotografischen Träume von Landschaft vergnüglicher Wirbel = Wind eines Birnbaums welchen 1 Vögelchen zierte kopierter Waldsaum ... silberner Faltenwurf eines Himmels, Echo eines immerzu Geländes ...". Und man weiß: "Der Welt liebevoll zu begegnen", wird ihr dabei zum Credo.

Schlussendlich ist da neben der Wahrnehmung des "donnernden" Alters auch noch - ähnlich wie bei Elias Canetti - das selbstbewusste Anschreiben gegen den Tod. Der Welt gegenüber bezeichnet sie den Tod einmal als "Tyrannen"."Weil man doch nicht wegwill, man muss aber, weil er es will. Man hat noch nicht alles gemacht, was man noch machen will. Und ich will ja noch so viel. Ich kann mir nicht vorstellen, vor dem Tod irgendwann zu sagen: Jetzt ist es aber genug mit dem Schreiben." Diese unbändige, starke Sehnsucht nach dem Leben, das durchaus auch ein "kontemplatives" sein soll -"ohne Aufregungen keine Veränderungen" -, das der "welkenden Zeit" gegenübersteht, der Zeit, "die uns verglüht" ("Cahier"), sei ihr noch lange geschenkt.

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