"Die Welt ist 1 Kusz"

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Mit "fleurs" legte Friederike Mayröcker den dritten Band ihrer Trilogie vor: ein poetischer "Höhenrausch", ein "Feuerwerk der Sprache".

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Mit "fleurs" legte Friederike Mayröcker den dritten Band ihrer Trilogie vor: ein poetischer "Höhenrausch", ein "Feuerwerk der Sprache".

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"dieses Ästchen nämlich des Frühlings, biszchen Tau an den Tannen, Forst'ens Flüstern, ... Hauch des Morgens, indes, Ästchen am Firmament kratzend Veilchen Erinnerung ... ach Transparenz deiner Poren aber mit Händen voller Blumen" - ein poetischer Rausch mit wogender Metaphorik, um ihm gleich wieder den Boden zu entziehen. Friederike Mayröcker hält nichts von Konvention, ja reißt Bildern plötzlich wieder das Unterfutter weg: "Nämlich die exzerpierten Absätze um 1 weniges ändern dasz man ihre Abkunft = ihr Original nicht mehr erkennen kann und Jean sagte, ich hatte den Drang abzumähen, die Sträusze der Wiese, oder mich selbst zu verschlingen ... in einer Ahnung von Zärtlichkeit."

Nach "études" und "cahier" bildet "fleurs" den Abschluss einer Trilogie, deren Bände alle französische Titel tragen, wie überhaupt das Französische in Mayröckers Alterswerk eine größere Rolle spielt. An einer Stelle heißt es dazu in "fleurs":"die Liebe zur französischen Literatur, zur französischen Sprache (welche ich leider nicht beherrschte) nahm immer gröszere Dimensionen an, mir träumte, wie früher in meinen Jugendjahren das Englische, nun das Französische -also ich hatte mich in die französische Sprache verliebt."

Kühne sprachliche Innovation

Friederike Mayröcker ist sich über die Jahre hinweg treu geblieben. Schon immer orientiert sich ihr Schreiben am Experiment und an kühner sprachlicher Innovation, nie jedoch hat sie sich einer Gruppierung wie beispielsweise der Wiener Gruppe angeschlossen. Auch heute noch bringt die 91-jährige Wiener Dichterin ihre schier unerschöpfliche "Füllhorn-Sprache" zum Fließen. Dabei verbindet sie Bruchstücke aus Traumwelten mit Exzerptfundstücken und Alltäglichem zu einem schimmernden Textgewebe. Datiert ist ihre jüngste Prosa von der zweiten Märzhälfte 2014 bis Mitte Mai 2015.

Schon in ihren Anfangsjahren hat sich Mayröcker von herkömmlichen Mustern und Traditionen verabschiedet und sukzessive im Laufe ihres Schreibens ihre eigenen Textstrukturen samt individueller Interpunktionssystematik entwickelt. Es ist bekannt, dass Mayröckers Leben mit ihrem Schreiben innig verschmolzen ist. Arbeit, Alltag, Leben und Traum sind so untrennbar miteinander verflochten, dass alles zum Schreibstoff werden kann. An einer Stelle heißt es hier sogar: "Juliana Kaminskaja kam auf mich zu und sagte, Sie sehen aus wie Ihre Gedichte". Das manische Schreiben ("so immerfort schreiben") spiegelt sich in ihrer Arbeitsweise wider. Der Fußboden mutiert zum Büro, beim Erwachen hochgeschwemmte Traumreste ("manchmal schreibe ich von meinen Träumen ab ... ich empfange Verbalträume") fungieren als Matrix für neue Texte, Musik, Exzerpiertes, Zettel, Bilder, Erinnerungen an Deinzendorf, an die Eltern oder an ihren Gefährten Ernst Jandl stoßen "halluzinatorische Stücke von Poesie" an.

Mayröckers Texte sind thematisch in der unmittelbaren Welt der Dichterin verankert. Sie verzichtet zwar -schon immer -auf Narration, dennoch blitzen in ihren Werken immer wieder Bruchstücke von Alltagsbewegungen oder Wahrnehmungen auf, Fetzchen aus der Realität, die sich mit der Schreibwelt nahtlos verbinden. Der Blick auf das Kalenderblatt aus dem Jahr 2000, dem Jahr, in dem Ernst Jandl gestorben ist, lässt die Erinnerung an den "fluoreszierenden April mit Oleanderblüten und Mohn, Zwillingskirschen wie Notenköpfen" wach werden. An anderer Stelle schreibt sie über Einsamkeit und Anrufe zu unpassender Zeit: "Sitze oft tagelang und keiner ruft an : heute jedoch :hocke an der Maschine :ruft mich die ganze Welt". Das Alter macht ihr zu schaffen, manchmal verlässt sie tagelang ihre Wohnung nicht, Erinnerungen an die Jugend flammen beim Blick in den Spiegel auf, die Sorge, nicht mehr genug Zeit zu haben: "1 Basis-Schmerz", Trauer und Tränen ("weh mir die Todesnähe") und dann wieder ein lapidarer Satz: "mit 90 als Frau, ist man altbacken." Sogar der manchmal mühsame Prozess des Schreibens wird zum Thema, das stundenlange und tagelange Brüten über einem Satz, das als dürftiges Konzentrat im Café Jelinek in das Schreiben eines einzigen Satzes mündet.

Die exzessive Floralmetaphorik ("es fliederte") stellt den Frühling in den Mittelpunkt: "so exaltiert dieser Frühling das Abendland ... schwanen-tüchtig o du mein Osterlamm. Goethes's Brosamen, blühender Kirschenzweig". Mayröcker reichert ihre schwebende Syntax mit semantischen Brüchen, Unterstreichungen, Einschüben, ganz kleinen Zeichnungen oder Abkürzungen an. Satzfragmente kehren leitmotivartig wieder. Immer liegt der Fokus ganz auf der Sprache: "Es tollt der Text." Kreative Wortverbindungen und Assoziationsketten verwebt sie mit verfremdeten Zitatteppichen. Neben Textspuren etwa von Hölderlin, Derrida, Genet, Lavant, Hofmannsthal, Jean Paul oder Mandelstam stoßen Bilder, zum Beispiel die Grafiken von Andreas Grunert - polyphone Wortkaskaden an, während daneben das Hören von Musik den Tag strukturiert.

Äußere und innere Welt

Mayröckers Schreiben gleicht einem poetischen "Höhenrausch". Hier saust und braust es, Wörter wirbeln durcheinander und fügen sich zusammen gleich einem "Feuerwerk der Sprache", weil sie Wortwelten ausreizt und im Ozean der Sprache wildert: "gebirgige Seele am Morgen". Zwischen Tränen, Blütenmeeren, Drangsalen und Glorie wird man Zeuge/in dessen, wie diese "lodernde Poesie" entsteht: "die äuszere Welt musz innere Welt werden =das Empfundene. / Die innere Welt musz wieder äuszere Welt werden =das Gedicht." Es ist dieser genaue Blick auf die Dinge, der eine intensive Auseinandersetzung mit einzelnen Dimensionen des Lebens evoziert, weil das Kleine für das Große steht. "Eine sterbende Anemonenblüte läszt sich an ihrem Stiel in die Tiefe sinken =Stilleben Tod."

Ob aus der Trilogie noch eine Tetralogie wird, bleibt offen. Titelüberlegungen gibt es bereits. Noch keine Spur von Müdigkeit, im Gegenteil: "ich will nicht ich kann nicht Ab-/schied nehmen von mir". Die Lust am Schreiben offenbart sich als funkelndes Bekenntnis zum Leben, das ihre Prosa so positiv durchwirkt: "Die Welt ist 1 Kusz."

Lesung

Friederike Mayröcker liest im Rahmen des O-Töne-Literaturfests aus "fleurs": 11. August 2016,20.00 Uhr, Museumsquartier Wien. Infos: o-toene.at

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