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„Am Ende nicht zu beirren“

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Mit zwei Bänden meldet sich Heinz Piontek, ein Dichter, den man in der Gegenwartsliteratur nicht mehr missen möchte, zu Wort: Lyrik und Prosa. Ein neuer Gedichtband, der sich auch noch ausdrücklich als solcher bezeichnet — eine Zumutung! Heute eine fast größere als zur Zeit Benns, der so gerufen hatte. Piontek weiß um diese Zumutung. Schon Lyrik überhaupt ist eine Zumutung, dazu diese Lyrik, welche wie Pion-teks Gedichte so gar nicht das typisch Lyrische, wie man es sich eben vorstellt, pflegt. In einer Zeit technischen Nutzendenkens riecht Pionteks „Das Bild ist widerstandsfähiger als das Argument“ nach Hinterwelt, in einer Zeit demokratisierender Nivellierung klingt seine Forderung nach elitärer Qualität aufreizend. Selbst dort, wo die Zeit an der Dichtung nicht vorbeigegangen ist, wo die Dichtung funktionali-sieren, experimentieren, Texte schreiben, Computerspiele formali-sieren, wo sie sich über alles ausbreiten und die Gattungen vermischen will, wirkt Piontek provokant: er schreibt Gedichte, die er auch als solche bezeichnet. Von sich aus will er allerdings gar nicht provozieren, solche Aktionen sind ihm fremd. Er will auch nicht an der Zeit und ihrer Geschichte vorbeigehen. Er hat den schönen Schein beiseite gelassen, ernüchtert und sachlich betreibt er „Grundlagenforschung“, mit Skepsis und Melancholie, mit „hellen, aber gezeichneten Augen“, sowohl für das, was Dichten, wie für das, was Leben heißt. Abhold gefälligen Reimen und Klängen, baut er von der Genauigkeit der Erfahrung, der Beobachtung, der Intensität des Wortes her seine Strophen und Zeilen. „Wer das lyrisch auszudrücken hat, wird es nicht beschreiben, sondern so formulieren, daß es durch sich selbst da ist und man es sich nicht erst zu imaginieren braucht. Höchstens drei

Höchstens drei Worte. Der Band ist schmal, die Gedichte lieben kurze Zeilen und Strophen, legen auf Treffsicherheit Wert und nicht auf schöne Beschreibung. Auch der Titel ist provokant, nicht so wie ein Spruch auf vorangetragenem Transparent (der nur in hohlen Köpfen ein Echo hervorruft), sondern wie sein Begriff von Schönheit: „ein zwischen Lebenden und Toten gespanntes Satzgefüge.“ So lauten auch die Gedichtzyklen: „Sich vergewissern“, im Sinn der vorhin genannten Grundlagenforschung, wie ist es möglich, dichtend „tot oder lebendig“ zu bestehen; „Durchblicken lassen, das heißt Zeit und Menschen durchschauen, so wie er im Gedicht „Wettlauf“ am alten Gleichnis von Hase und Igel die Problematik heutigen Dichtens sondiert oder im Gedicht vom 21. August 1968 das Zeitgeschehen „glühend durchstößt“; oder im Zyklus „Neue Parolen“ die Zeitgeschichte zu bewältigen versucht. Zwischen diesen Zyklen stehen zwei Gedichtkreise: „Wieder holen“ und „Zu erzählen versuchen“, in denen er klassische Formen in die Gegenwart zurückholt, ohne histo-ristisch wiederzukäuen, ohne sein genaues Wissen dozierend auszubreiten.

Dieses Dichten geschieht nicht im Krampf eines ideologieverdächtigen Engagements, sondern mit einer Leichtigkeit, die Piontek als Eisblume, Vogelflug, Rauchfahne, Luft charakterisiert. Daher auch die Folge: weder links noch rechts, weder Tendenz noch Sarkasmus, weder Optimismus noch Pessimismus, „die Unerbittlichkeit gibt es nicht“. Wenn er für diese Gedichte bereits den Eichendorff-Preis erhielt, zeigt das, daß man die Bedeutung solcher Lyrik auch heute zu schätzen weiß.

Den Abschluß bildet das große, in zwölf Abschnitte gegliederte und nahezu 20 Seiten umfassende „Riederauer Gedicht“, das mit seiner Gedankenlyrik an Rilkes „Duineser Elegien“ heranreicht. In ihm legt er die Karten offen auf den Tisch, worum ist es ihm beim Spiel mit den Worten und Satzgefügen geht. Gegen Vergeblichkeit, Leid und Tod, gegen Sprachzerfall und -Zertrümmerung hält er — „am Ende nicht zu beirren“ — am Logos der Sprache fest, den urmenschlichen Auftrag, Natur und Leben im Wort zu humanisieren, auf Leben und Tod zu prüfen: „mit euch den Ruf formen nach der versprochenen Erde“.

Neben seiner Lyrik hat Piontek auch immer wieder Prosa geschrieben. Außer dem bisher einzigen Roman „Die mittleren Jahre“ vor allem Erzählungen, Essays und Hörspiele. In der Sonderreihe „Bibliothek der Erfolgreichen“ des Langen-Müller-Verlages legt Piontek die in seinen Augen gelungensten Erzählungen vor, gesammelt aus verschiedenen Einzelbänden (Vor Augen, Windrichtungen, Kastanien aus dem Feuer, Außenaufnahmen, Liebeserklärungen in Prosa). Die Erzählungen haben Grunderfahrungen unserer Zeitgeschichte zum Thema: Kriegs- und Nachkriegsschicksale, Flucht und Wiederaufbau, verdichtet zu exemplarischen Erfahrungen der conditio humana: Liebe, Enttäuschung, Verzweiflung, Erfolg und Mißerfolg, Schäbigkeit und Charakterstärke, schließlich der Tod; Erfahrungen, oft ganz banaler Alltäglichkeit, die zu Sinnfiguren des Zeitlichen und menschlicher Selbstverge-wisserung gestaltet werden. Ein sicheres Sprachgefühl aus der heutigen und für die heutige Zeit, in charakteristischen Wortgefügen, in Prägnanz und Nüchternheit, doch ebenso sicher im poetischen Ausdrucksvermögen, zeichnet sie aus. Vergleicht man den vorliegenden Text einzelner Erzählungen mit dem früheren Text der gleichen Erzählung, merkt man das ununterbrochene Feilen am Ausdruck. Schwermut und Skepsis, Verlangen nach Genauigkeit und Wahrheitswillen haben ihn vorsichtiger und verantwortungsbewußter gemacht. So wurde der Schlußsatz: „Leb wohl, sagte sie und gab ihm die Hand“, vielsagender abgeändert zu: „Leb wohl, wollte sie sagen, aber sie gab ihm nur die* Hand.“ Oder noch deutlicher: „Jäh setzte der Schall aus, lidschlaglang — eine Spanne, die genügte, um einen fremden Tod zu erfahren und des eigenen Todes gewiß zu werden“, wurde eindringlicher: „Plötzlich setzte der Schall aus, nur einen Atemzug lang — und in dieser Spanne Zeit wurde ihm klar, daß ihn der Tod zu Fall bringen würde auf die gleiche unabänderliche Weise.“ Gerade der letzte Vergleich zeigt, daß der Titel des Gedichtbandes „Tot oder lebendig“ absolut kein bloß effektvoller Einfall ist. Man kann diese Prosa nicht einfach ästhetisch genießen, man kommt von ihr nicht los, man wird in sie hineingezogen, in eine „Grundlagenforschung“, die nur in dichterischer Form geleistet werden kann. Sie bietet dann auch keine Antworten oder Rezepte, für weltanschauliche oder ästhetische Probleme, in ihr schafft sich eine aus der Tiefe der Einfühlung, aus der Kraft läuternder Besinnung gewonnene Einsicht befreienden Ausdruck im Wort. Was von manchen Kritikern als Pathos oder Überheblichkeit verstanden wird, ist nichts als zu sich selbst gesprochene, ohne Prätention gemeinte Selbstvergewisserung, um nicht In Skepsis zu ertrinken: „Streukalk wartet auf mich... vorher eine Mauer für Hunde und Kugeln.“ „Mit letzter Kraft forme ich Worte.“

So wird, um mit Piontek zu sprechen, auch in die dunkelste Geschichte ein Licht gebracht, durch das Wort, durch die Sprache. Wenn Sprache das leistet, wie es die einsamen Reflexionen des „Winterlamento“ im Angesicht eines zum Tod Verurteilten von ihr erwarten, sind wir „am Ende nicht zu beirren“ und können, wie Piontek im „Riederauer Gedicht“, auf sie setzen: „Hier wollen wir stehen und warten, vereinzelt, unerkannt, und versuchen, so lange noch Worte auszutauschen, bis eines jeden Namen gefallen ist.“

TOT ODER LEBENDIG. Gedichte von Heinz Piontek. Hoffmann & Campe, Hamburg 1971. 95 Seiten.

DIE ERZÄHLUNGEN. Von Heinz Piontek. Sonderreihe „Die Bibliothek der Erfolgreichen“. Langen-Müller, München 1971. 374 Seiten. DM 19.80.

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