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Zwischen Tag und Nacht

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„Ein Stützpunkt sein zwischen Sonne und Mond für ein kleines Zentrum sterblicher Gedanken.“ Dieser Stützpunkt, er heißt Heinz Piontek, wird am 15. November 60 Jahre alt und zählt zu den Dichtern und Denkern, deren Sendung es ist, zu einer auf alles gefaßten Weltoffenheit zu ermutigen und daran zu erinnern, daß das Danken und Loben, wenn auch in lakonischer Prägnanz und ohne Rhetorik, eine Aufgabe ist, die “ Dichtung und Leben gemeinsam haben.

In den soeben zitierten Gedichtzeilen aus dem Jahre 1971 finden wir Gründe für das, was uns Heinz Piontek so teuer macht: den Hinweis auf die Sterblichkeit unserer Gedanken, die sich nicht anmaßen sollten, die Welträtsel ein für allemal gelöst zu haben; und dann den Hinweis auf unsere Zwischenlage zwischen Sonne und Mond, zwischen Tag und Nacht, Wissen und Geheimnis, eine Zweiheit, die nicht mit einem Abstraktum zu erledigen und unter einen Hut zu bringen ist. Und zuletzt das Diminutiv unserer Existenz, das kleine Zentrum, das sich so gern, aber irrtümlich, zum Maß der Welt aufbläht. Seine Sendeprogramm-philosophie faßt der Dichter folgendermaßen zusammen:

„Was ich von mir verlange, ist die stabile und unmittelbare Verlautbarung, die gelegentlich selbst vor der Wiederholung alter, verbreiteter Einsichten nicht zurückschreckt. Das Bewußtsein des Menschen drängt ja nicht bloß auf Erweiterung und Bereicherung, es verlangt auch nach Bewahrung, worunter ich ein unablässiges Aneignen, Wiedererwerben und Verteidigen vorhandener Erkenntnisse verstehe: eine streitbare, gegen das Vergessen gerichtete Aktion.“

Versteht sich also, daß dieser Dichter den Wettlauf zum literarischen Patentamt ablehnt. Mögen andere ihre neuesten Gedichttypen anmelden und sich patentieren lassen, er bleibt bei seinen

Naturgedichten, die ihm frühen Ruhm eingebracht haben. Doch erweist sich diese „Bleibe“ als sehr dynamisch und literarisch progressiv, indem sie zu immer einprägsameren Verknappungen drängt. Denn Heinz Piontek hat sich zum Ziel gesetzt, sich aus dem endlosen Strömen der Wörter herauszuheben. Die „langohrigen Gedichte“ — wie sie Piontek nennt — steigern das Tempo in der entgegengesetzten Richtung: sie arbeiten sich immer tiefer in die Worttiraden und Sprechblasen hinein, bis diese platzen. Ironisch betrachtet dann Piontek mit seinem „ihm angetrauten Igel den Flurschaden“, den er auf dem Felde der Phrasen — im Namen der Wahrhaftigkeit - angerichtet hat.

Das individuelle Gewissen aber ist es, das die Richtung und den Lebensweg des Dichters Heinz Piontek bestimmt. Und dies ist auch für einen freien Schriftsteller -als der Piontek seit seinem 23. Lebensjahr arbeitet — weder selbstverständlich noch leicht. Es erfordert schon einiges an Charakterstärke und Uberzeugungsmut, soll man nicht das Opfer von Zeitströmungen und Markttrends der papierverwertenden Industrie werden.

Das Werk Pionteks beweist, „daß er sich selber folgt“. So leben auch in seinen Romanen Augenblick und Dauer, fließende Gegenwart und gesetzhafte Unver-änderlichkeit, Erfahrung und Phantasie in charaktervoller Gemeinsamkeit zusammen. Von solcher synthetischer Kralt geht alle heilsame Wirkung der Poesie aus. Aber auch die Essayistik kann ihrer nicht entraten, wenn sie wie bei Piontek die großen Konstanten in der Literaturgeschichte herausarbeiten will. Bezeichnend für Piontek ist, daß er in einem solchen Essay (und Rollengedicht) „Ich-Anton Pawlowitsch“ seine eigene Person mit der Leitgestalt seines Lebens, nämlich Tschechow, sein Gefühl des Selbstwerts mit der Verehrung für die Größe harmonisch zu verbinden vermag.

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