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Kastanien aus dem Feuer

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NEUE DEUTSCHE ERZÄHLGEDICHTE. Gesammelt von Heinz Piontek. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart, 1964. 352 Selten. S 146.50.

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NEUE DEUTSCHE ERZÄHLGEDICHTE. Gesammelt von Heinz Piontek. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart, 1964. 352 Selten. S 146.50.

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Piontek holt hier wieder — um mit dem Titel seines wunderbaren Buches „Kastanien aus dem Feuer“ zu sprechen — eine Kastanie aus dem Feuer: das deutsche Erzählgedicht der Gegenwart. Zwar steht heute, wie immer betont wird, das unverbindliche, aussagefeindliche ästhetische Gebilde hoch im Kurs, doch höher steht immer noch der Mensch; so werden „für den Menschen und seine Sache leidenschaftlich partemehmende Gedichte geschrieben“. Allerdings ergab sich das nur nebenbei, in erster Linie wollte der Autor, wie es in seiner Einleitung heißt, den literarischen Totenschein, den man der Ballade ausgestellt hat, als Irrtum nachweisen. „Der Niedergang der Balladendichtung um die Jahrhundertwende betraf nur bestünmte zu Tod strapazierte Sujets und Techniken.“

Nach einer kurz skizzierten Geschichte der Ballade weist Piontek auf den problematisch gewordenen Begriff der Ballade hin und entschließt sich für den Ausdruck Erzählgedicht und analysiert, sehr präzis und einleuchtend, seine Grundelemente. Und wir finden dann Namen wie Gottfried Benn oder Paul Celan in der Sammlung. Die Kunst als Leben erweist sich eben stärker als alle Theorie, sosehr ihr Wissen auch Macht verleihen mag. Kunst ist auch nicht so laut wie dasPosaunen ihrer Kritiker, die so gern bestimmen möchten, was Kunst zu sein hat, und doch verändert sie entscheidender, wie Benn einmal sagt, das Leben, und unblutiger, wie Piontek hinzufügt. Um diese Einsicht wird die Anthologie jeden bedächtigen Leser bereichern. Was hier zusammengetragen wurde, legt wohl Zeugnis ab von der Gattung des heutigen Erzählgedichtes mit seinen alten, der Ballade entstammenden, und seine neuen, der modernen Epik entsprechenden Elementen, kann also literarwissensdiaftlich verwertet werden, doch das menschliche Zeugnis, wenn es auch nur „nebenbei“ intendiert wurde, verfehlt nicht seinen Eindruck und wird manchen Skeptiker, von der einen wie von der anderen Seite, hoffentlich auch manchen allzu selbstsicheren Kritiker, wirksam und nachhaltig beeinflussen. Was uns Piontek bisher geschenkt hat, erwies sich immer von besonderer Qualität, die sich zwar nicht so aufdringlich anbiedert, dafür um so solider ist. Wenn er hier auch nicht seine eigenen Worte vernehmen läßt, außer in der

Einleitung und in einigen Gedichten, so doch seinen Geist (der sich zum Beispiel schon in den Titeln der Themenkreise äußert: Atemholen,

Ort zu Ort, den Himmel hinunter, Rollen, Hochverehrtes Publikum usw.), und von diesem lassen wir uns gern anwehen.

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