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Neue deutsche und schweizerische Lyrik

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Gemeinsam mit den Namen K r o 1 o*w und Hans Egon Holthusen wird in letzter Zeit immer wieder Heinz Piontek genannt; in wenigen Jahren hat er sich seinen Plate im Dreigestirn der deutschen Lyrik der mittleren Generatron (der heute Dreißig-und Vierzigjährigen) gesichert. Bisher liegen zwei Publikationen von ihm vor; „Die Für t“ (60 Seiten, broschiert, Preis 3.20 DM) und „Die Rauchfahne“ (72 Seiten, Leinen, Preis 4 DM), beide im Bechtle-Verlag, Eßlingen, erschienen. Heinz Piontek begann mit Naturlyrik, die offenbar an Wilhelm Lehmann geschult war. Die kurzzeiligen, prägnanten Verse „erarbeiten“ in zäher Kleinarbeit ein Stück Wirklichkeit; es sind Gedichte, die kein Geheimnis haben, aber uns sehr exakt mit einem Stück Wirklichkeit, einem Momentausschnitt des Lebens, konfrontieren. Dort, wo er das Naturbild vertieft, gelingen ihm einzelne wesentliche Aussagen. Zuweilen erscheint manches noch als Reflexion, und die sollte gerade in dieser Art Naturlyrik, wie sie Piontek pflegt (pflegen ist hier wirklich der richtige Ausdruck), nicht vorkommen: es sind Gedichte, die den Dingen unterworfen sind, die präsentieren, die das Seelenerlebnis auf die Schlichtheit der ausgesprochenen Dinge abstimmen. Diese Gedichte sind primitiver als die Lehmanns, aber klarer und erdnaher wie die Krolows, mit dem Piontek eine gewisse Verwandtschaft verbindet.

Die Naturlyrik, die in der „Rauchfahne“ fortgesetzt wird, ist nicht stärker geworden. Gelungene Metaphern erschöpfen sich oft in bloßer Aneinanderreihung. Manche der £edichte wirken nicht geschlossen, sondern offen; es scheint, als hätten sie poröse, undichte Stellen, durch die die Welt, die Piontek bannen will, ausströmt. Damit soll nicht gesagt sein, daß diese Gedichte etwa Pointen haben sollten — keineswegs. Piontek ist stark genug, dieser Versuchung zu widerstehen. — Alle Einwände aber müssen vor den „Vergänglichen Psalmen“ verschwinden, die „Die Rauchfahne“ beschließen. Der Ton der Psalmen Davids, Einfalt, Urspriinglich-keit und Naturnähe sind geblieben. Aber die Welt ist eine andere geworden in den Jahrtausenden, die seit dem Psalmisten vergangen sind: es wird nicht mehr mit der Steinschleuder geschossen, sondern die Maschinengewehre sind auf „Zielpunkt 208“ gerichtet: Breslau ist gefallen, der Tod nimmt ..an einem Tisch im Expreß-Cafe“ Platz: aber einiges ist unverändert geblieben: Geist und Herz des Dichters sind immer noch die Davids, auch wenn es Gedichte des 20. Jahrhunderts sind, die Piontek schreibt. Vielleicht ist es, um ein Rilke-Wort abzuwandeln, immer David, wenn es singt, wenn die Schöpfung gerühmt wird: „Ich bilde aus Deinem Atem Gedanken, die Dich loben.“ Piontek gelang es, das Wort Davids zu erfüllen: „Singet Ihm ein neues Lied ...“ (Psalm 33).

Der Themenkreis Wolfgäng B ä c h 1 e r s, von dem . ebenfalls zwei Gedichtbändchen im Bechtle-Verlag, Eßlingen, erschienen sind („Die Zisterne“, broschiert, 7? Seiten, Preis 2.50 DM, und „L i c h t w e c h s e 1“. broschiert, 52 Seiten mit acht Holzschnitten von H. A. P. G r i e s h a b e r, Preis 4.20 DM), ist weiter als der Pionteks. Die Gedichte Bächlcrs haben harte, klare Konturen; scharf umrissen stehen die Erscheinungen der Welt gegeneinander Wie ein Maler dem Bild aus der Wirkung der Komplementärfarben Leben gibt, so Bächler seinen Gedichten durch die Gegensätze der Bilder, die er verwendet. Von der „Zisterne“ zum „Lichtwechsel“, der 1955 herauskam, hat Bächler eine entscheidende Wandlung durchgemacht: seine Verse sind dichter, stärker, männlicher geworden; an einigen wenigen Worten, die im Gedicht „Nachmittagsstunde“, das er aus dem ersten Bändchen übernahm, nun anders, sind, wird das deutlich. Was diese Gedichte der Naturlyrik Pionteks voraus haben ist, daß in ihnen der lebendige Mensch mit seinen Schmerzen und seiner Freude anwesend ist. der Mensch, dem der „Frost die Ohren aufbeißt^ der Frost die Atigen aufreißt“, der die „Konterbande erbeuteten Lichts“ in sich eingräbt.

Thomas Mann fand in Bächlers Gedichten „viel echte Lebensinbrunst“; angesichts der Ueberfälle der Klage- und Schwermutgedichte ist die Lyrik eines Menschen, der die Welt jeden Tag, jede Nacht neu besteht, nicht hoch genug einzuschätzen.

Albert Ehrismann, der Schweizer Dichter, von dem beinahe alljährlich ein neues Bändchen erscheint, gab zuletzt Gedichte unter dem Titel „Ein ganz gewöhnlicher Tag“ im Verlag F r e t z & Wasmuth, Zürich, heraus (80 Seiten, Preis 5.50 sfr.). Seine Gedichte, die den Diminutiv lieben, sind scharmante, dahingeplauderte. Feuilletons, vielleicht ein wenig prägnanter formuliert als Feuilletons, rhythmisch gegliedert und in Verszeilen abgeteilt — aber sonst unterscheiden sie sich nicht viel von. ihnen Winzige Betrachtungen, kleine Gedanken (auch die Rezension bedient sich des Diminutivs!),. . nüchtern, gescheit, witzig, von schweizerischer Solidität, das sind diese Verse, die einen eigenen Reiz haben. Besonders gefielen uns die ,,Liegegedichte“ — Gedichte, die im Liegen geschrieben werden, nach 8 und 12.30 Uhr . . .

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