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Georg Trakls Lyrik als Sprachkunstwerk

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Georg Trakl, der in Salzburg Geborene, wäre am 3. Februar 59 Jahre geworden. Aber schon 1914, erst siebemmdzwanzigjährig, starb dieser Mann, nachdem er das Wort unserer Sprache, darin Maler und Musiker in einem, zn neuer Bildhaftigkeit und Farben-glanz, Tonfülle und rhythmischer Spannkraft verwandelt hatte. Dieser Lyriker ist wirklich einer der Früh vollendeten; ihm ließ das Gesetz seines kurzen Lebens jene Zeit, sein Gesetz der Sprachkunst im Worte bis zor Neige auszuwiegen. Wenn es ihm, darin Hölderlin ähnlich, unter dem dreißigsten Lebensjahr zugemessen war, Endgültiges in eigengültiger Sprache in die Wirklichkeit umzusetzen, so ist er gleich diesem schon in seinen jungen Jahren „einsam, wie immer, nacer den Sternen“, aber als einsamer and emtelleuchtender Stern dauert er am Sprachhimmel weiter. Und Trakl ist noch ein anderes, höheres. Er ist das im eigenen Fleisch verwundete Sinnbild jenes ausgehenden Staates Alt-Österreich, das im goldenen Glanz lemer Herbsttage noch die süßen und farbigen Früchte zeitigt, deren erhöhter Schimmer aber mit schmalerer Daseinskraft dem Schicksal zahlen und büßen muß. So wurde es aoeh nach den ersten Schlachten des Jahres 1914 der feinen Seele zu viel, und sie ging auf immer fort.

Wer über Dichtung und Gedicht mm aussagen will, muß zunächst vom Worte wissen, daß es seinem Rhythmus und Klang gemäß mit anderen, gleichermaßen gemessenen und gewogenen Worten zn einer Sprachlandschaft aneinandergereiht, zusammengeschoben und hinaufgehoben werden will. Wer dieses nicht weiß, möge besser nicht behaupten, daß er von Dichtung und Gedicht mehr innehabe als glücklichenfalls deren Inhalt. Denn das Wort wird nicht anders zum Gedicht, wie die Farbe zum Bild, der Stein zur Statue, der Ton zum Klanggebilde: das Wort muß seinen Aussageinhalt verlassen wie ein Haus, in dem es daheim war, und muß herumziehen und an jedes Nachbarn Türe anklopfen. Dieser Nachbar ist der Wirkung des Wortes nach jeder, der es hören will und es zu hören vermag, und dieser Nachbar ist im Werke selbst jedes nächste, jedes vor-und nachfolgende Wort oder eine ebenso gesetzte Wortgruppe. Ein Gedicht will so nicht im üblichen Sinne verstanden und so kann es auch nicht verstanden werden. Ein Gedicht will in seinem Gesetz nachgespürt sein und in diesem ahnenden Erkennen will es, daß man vor seinem geistigen und leibhaften Leben scheu ist, indem es ja gewährt, seinen Schleier zu berühren, aber nicht, ihn wegzutun.

Doch zum Beispiel. Jeder schon hat eine Amsel gehört und ist von ihrem Flöten gerührt worden; doch dieses Gefühl, erzeugt vom Flöten der Amsel, wird erst dann Teil eines Gedichtes oder so selbst zum Gedicht, wenn es in eine Wortlandschaft einbezogen wird oder selbst eine solche “bildet, wie es geschieht in Trakls: Die junge Magd:

Im Holunder vor der Kammer kläglich eine Amsel flötet

oder, um es an anderem Beispiel zu sagen: jedem blies der Wind schon einmal Empfindungen wach und jedem ging der Glanz des Mondes schon silberfarben auf; aber zum Gedicht wird beides erst wieder in einer Wortlandschaft, wie in den Versen des gleichen Gedichtes:

Mürrisch greint der Wind im Anger und der Mond lauscht aus den Bäumen.

Und zum dritten: das täglich hier und anderswo zu hundertenmalen gesprochene Wort: ich liebe dich, wie der Gefühlswert der Liebe überhaupt, ist dann neu und eigenwertig gemünzt, und so hundertmal gebraucht, verbraucht und abgebraucht jenes ist, dann wieder zum wirklichen Gedicht geworden, wie im: Herbst des Einsamen: Und Engel treten leise aus den blauen Augen der Liebenden, die sanfter leiden.

Um am Gedicht: Die junge Magd, wie es an anderen Versen auch aufgewiesen werden könnte, gleich eine andere Kostbarkeit der Traklschen Lyrik zu werten, möge dessen äußere Form besehen werden, es ist eine Abwandlung des Ghasels. Im Ghasel geht es, grob tmd allgemein umschrieben, darum: obwohl es immer wieder dieselben Worte zu Reimen bindet, diese dennoch nicht zu alberner Reimerei zu gebrauchen, sondern gerade mittels der Durchbildung der zu ihnen führenden Verse jenes Reimen gleicher oder nur teilweise abgewandelter Worte immer wieder neu und immer wieder anders schimmern und leuchten zu lassen. Seit Goethe und Rücken über den großen Formkönner Platen ist so das Ghasel Prüfstein und Anreiz für jeden Meister- des Wortkunstwerkes geworden. Seit jenen Tagen des strengen Ghasels sind viele Abwandlungen die Ghaselform niedergeflossen, aber -im Grundsatz ging es doch immer um ■ das aufgezeigte Sprachvermögen, dasselbe Wort im gleichen Reim zu magisch anderem Glänze zu heben. Siehe das Gedicht:

In der Schmiede dröhnt der Hammer und sie huscht am Tor vorüber. Glührot schwingt der Knecht den Hammer und sie schaut wie tot hinüber.

Vielen war Trakl dankbar und vielen widmen fich seine Gedichte, wie es auch „Die Dichtungen“ (in einem Band gesammelt und 1938 bei Otto Müller, Salzburg, verlegt) einzeln nachweisen. Aber kein Gedicht trägt als Titel den Namen eines der Fördernden und Verehrten außer eines die kahle, schmücklose und um so einprägsamere Uberschrift: Karl Kraus, dieses Sprachbewahrers für alle, denen nach ihm es gegeben war, am Wortkunstwerk zu gestalten.

Daß Trakl Vater und zugleich Höhepunkt des Expressionismus genannt wird, sei nur erwähnt, aber was soll die Wertung in eine literarische Richtung hinein, wenn lange nach dem Hingehen ihrer schönsten Gestalt diese Stilrichtung erst ihre Ausbildung in die Breite erfährt? Wir glauben Trakl gerechter zu werden, wenn wir seiner persönlichen Stilkunst nahezukommen suchen.

Zweimal, und also unter mehr als hundert Dichtungen als einziges doppelt, gestaltet Georg Trakl das Thema des Abendlandes. Jedesmal sieht er es hinsinken, wenn er es dabei auch jedesmal in andere Formen schlägt. Er sieht das Abendland in hellen und dämmernden' Farben und sieht es wie „fallende Sterne“, er spürt die „schaurige Abendröte“ und spürt die „sterbenden Völker“, noch mehr, er ahnt die „bittere Stunde des Untergangs“ und ahnt endlich den „süßen Gesang der Auferstandenen“.

Wir müssen aber zu Trakls vermutlich letzten Versen eilen, zu seinem Gedicht: Grodek. Das Ethos, das es zunächst schwebenden Inhalts enthält und das an seinem Ende erst wie Posaunenstöße klar erklingt:

O stolzere Trauer! Ihr ehernen Altäre, die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz, die ungeborenen Enkel ist das Gericht über den Krieg schlechthin, ohne daß es dabei zu unmittelbarer Anklage sich zu erheben brauchte.

Dieses Gedicht aber hat die Größe seines Ethos auch wieder nicht in seiner Aussage, sondern in seinem sprachkünstlerischen Ausdruds. Um seinen ganzen Wert zu umkreisen, möchte auf eine Wesensverwandtschaft aller eigenpersönlichen und großen Gestaltungen unserer Sprache verwiesen werden. Wen einer nur die Lyrik von Walter von der Vogelweicle über Matthias Claudius, Lenau und Hofmannsthal, aber auch die Prosa von Grillparzer, Keller und Stifter ihrer Wort-i behandlung nach durchpflügt, so wird ihm der gleiche oder ähnliche Arbeitsgang deutlich, den jene gehen. Er führt die Wortmächtigen zu innerer Bindung inerhalb der Dichtungen und Gedichte, welche Arbeit diese zu solchen erst macht, und jene erarbeiten sie, indem sie Worte und Silben innerhalb eines Verses oder einer Satzperiode nebeneinander oder etwas weiter aufgerückt wählen, deren klanglose oder klingende Laute gleich oder einander verwandt sind. Wie der Bildkenner an Pinselstrich und Farbe den alten Meister oder den Meister seiner Kunst erkennt, nicht weniger wird dem Stilkundigen an solcher Spracharbeit derjenige gewahr, der Gewalt über eine Wortlandschaft besitzt. Dies möge erwiesen sein auch an Trakls Versen:

Doch stille sammelt im Weidengrund rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt, das vergossene Blut sich, mondene Kühle; .. Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain, zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter; .. Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz, die ungebornen Enkel.

Aber endigen möchte die Betrachtung dieses Gedichts nicht, ohne daß auf das persönlich eigene Versgesetz Trakls darin gedeutet wird, daß es durch einen immer noch einmal zusätzlich verwendeten Versfuß die Verszeilen gegenüber den vorhergehenden, nicht etwa dehnt, sondern sie spannt, rhythmisch noch selbständiger macht und sie gerade in diesen Eigenwerten noch enger bindet, bis sie durch die letzte Verszeile mit nur drei Versfüßen um so endgültiger zusammengebunden werden:

.. ein gewaltiger Schmerz, die ungebornen Enkel.

Dann kam schon die Nacht. Aber sie hatte das Licht von Geborenen und Ungeborenen. Vom frühen Tod des Dichters gewiß fiel zurück jener nächtlichtiefe, schöne, aber eisige Glanz auf das Wortwerk Trakls, der es einer Rilkeschen oder Hofmannsthalschen Lyrik gleichhoch Zur Seite reiht. Von jenem Tod zu Allerseelen 1914 fiel zurück der tragische magische Schimmer auf das Gedicht „Allerseelen“ des Zwanzigjährigen schon, der ihm jenen schwebenden Rhythmus und jenen Klang einer alten Glocke verlieh:

Einsame wandeln still im Sternensaal.

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