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Dunkle, dichterische Wanderfahrt

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Allein schon um des Vorwortes willen sollte jeder, der sich mit der Interpretation von Dichtung beschäftigt, einen Blick in dieses Buch werfen, findet doch hier endlich einmal einer den Mut, die fundamentale Frage nach der Beziehung der Dichtung zu Philosophie und Theologie zu stellen. Sicher gibt die Dichtung keine geschlossene Weltanschauung, das ist auch nicht ihre ursprüngliche Bestimmung, aber sie erhellt auf ihre Weise durch Bilder und Symbole die Welt und das Leben. Durch das Wort, das im endlichen Geist die einzige Geste des übersteigenden Verweises auf die Unendlichkeit ist, reicht Dichtung — mit oder ohne Wissen, ja gegen den Willen des Dichters — in die metaphysische Dimension. Sie ist darum notwendig sinngerichtet, so daß der Aesthetizismus nichts anderes ist als eine willkürliche Verkürzung ihrer natürlichen Weite.

Wie fruchtbar sich diese Erkenntnis für die Erschließung der Dichtung auswirkt, zeigt Fockes Buch. Weil er um den ontologischen Bezug dessen weiß, was er zu deuten sucht, weist er Trakl weder in eine heidnische Abgeschiedenheit, noch greift er allzu rasch mit apologetischer Wendung nach dem christlichen Taufwasser. Er vertraut sich einfach den erschütternden Dichtungen Trakls an und findet in Untergang, Verfall, Schwermut, Herbstseele und im Wohllaut der geistlichen Jahre die Grundworte dieses frühvollendeten Lebensliedes, dessen Sänger sich von Anfang an als den Letzten eines verfluchten Geschlechts fühlte. Focke folgt den dornigen Pfaden dieser dunklen dichterischen Wanderschaft in allen ihren Stadien von der Novemberzerstörung über die purpurnen Martern des Fleisches bis hin zur Schädelstätte, wo sich Gottes goldene Augen öffnen. Diese denkende Zwiesprache mit der Dichtung Trakls führt tief in ihre natürliche Sakramentalität hinein, die von verschiedenen Punkten her still in die christliche Transzendenz mündet.

In diesem Zusammenhang setzt sich Focke auch mit den Deutungen Heideggers auseinander (Seiten 96 bis 115), die der Philosoph in drei Abendvorträgen auf der Bühler Höhe bei Baden-Baden anläßlich einer Gedenkfeier für den Dichter gegeben hat. Man könne sich des Eindruckes nicht erwehren, heißt es da, daß Heidegger, sobald er auf das Christliche zu sprechen komme, den großen geradlinigen Tiefgang seiner Interpretationen verlasse und sich in Spekulationen verliere, bis das Christliche aufgelöst sei. Dieses Urteil dürfte der Lage der Dinge entsprechen, denn Heideggers Trakl-Deutung bleibt wie die Hölderlins in der Tat — ber aller Anerkennung ihrer sonstigen Durchdringungskraft — zu sehr von den eigenen Denkversuchen bestimmt.

Gewiß ist die Dichtung Trakls nicht thematisch christlich wie zum Beispiel die einer Gertrud von Le Fort. Trakls Christlichkeit glüht im Verborgenen auf und steigt in Farben und Bildern voll trauriger Schönheit aus der Tiefe eines von Schuld und Schrecken zerwühlten Herzens, das durch das Gesicht als einer „unvollkommenen Sühne“ auf Gottes erbarmendes Umfangen hofft. In diesem Sinne hat Georg Trakl in seinem Werk wahrhaft „die Säkularisation von innen her gesprengt“.

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