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Offenbarung und Untergang

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Trakl gehört zu den seltenen Dichtern, deren Werk mit dem Leben im Einklang steht. So ist es zu begrüßen, daß in der neuen Arche-Ausgabe ein wertvoller Anhang über das Leben Trakls angefügt ist, an dem besonders der Auszug aus den ergreifenden Erinnerungen L. v. Fickcrs interessiert.

Trakl ist eine der umstrittenst Gestalten der Literatur von gestern. Die einen sehen in ihm einen Höhepunkt dichterischen Sehertums in der Neuzeit, andere wieder nennen ihn einen Pathologen, dessen eigenartiges Aneinanderreihen von Gesichten dem Wein, Veronal und Morphium entstammen- Sicher ist, daß er auf den engeren Kreis seiner Umgebung einen tiefen Eindruck gemacht hat. Das gleiche läßt sich auch von seiner Dichtung sagen. Sie ist sicherlich keine spezifisch christliche Dichtung, aber sie birgt doch eine Art heimlicher Bereitschaft zum Christentum in sich.

„Offenbarung und Untergang“ steht über dem Zyklus der letzten Gedidne. Diese beiden Worre charakterisieren am besten auch das ganze Werk. Untergang ist die eine Seite: „Unter Dornenbogen klimmen wir blinde Zeiger gen Mitternacht.“ Es ist wie ein großes De profundis aus Dunkelheit und Vergehen, Fremde und Einsamkeit, wie ein Herbst, aber nicht ein in seinen Farben leuchtender, sondern der des kalten, kahlen Novembers. So schreibt der Dichter „in ein altes Stammbuch“ von der immer wiederkehrendeen Schwermut, „schaudernd unter herbstlichen Sternen neigt sich jährlich tiefer das Haupt“. Nacht und Tod bis in die ekelste Verwesung brechen herauf, hoffnungslose Todesklage vor offenen Totenkammern mit grinsendem Schweigen an den Wänden. „Alle Straßen münden in schwarze Verwesung“, „ein ganzes Weltunglück geistert durch den Nachmittag“, das sich bis in eine wahrhaft prophetische Vision kommender Kriege hineinsteigert, in denen die Menschheit vor Feuei'Schlünden aufgestellt ist. Eine wilde, verzweifelte Schwermut bis zum Hang nach Selbstzerstörung erfaßt ihn. Verschärft wird diese Untergangsstimmung noch durch das Rose, dem die quälende Schuld entspringt. Leidenschaft und Wollust verbrennen das Herz und vergewaltigen das unschuldige Dasein, das immer wieder unter dem Symbol des arglosen Wildes erscheint. Wahnsinn und Verzweiflung drohen ihn zu umnachten, ja, sie entpersönlichen ihn nahezu: er schreibt in dieser Zeit immer wieder in der Es-Form. Angstvoll denkt er daran, seinen Dichrermund verstummen zu lassen, und eine Stimme flüstert: Töte dich! Dazu leidet er noch neben der persönlichen Schuld .unter der Schuld und dem Abfall der ganzen Welt.

Aber das ist noch nicht das Ende. Wenn auch die Verzweiflung düster und groß ist, so ist sie doch, wie L. v. Ficker sagt, eine gefaßte Verzweiflung. Das unsägliche Leid weist hinüber in Verklärung und Offenbarung. Er seufzt: O, die Nähe des Todes, aber gleich darauf: Laß uns beten. Eine leise Sehnsucht regt sich zuerst nach anderen, schönen Ländern, die von helleren Geschicken träumt, und „langsam beugt die heiße Stirne sich den weißen Sternen zu“. Im stillen, mannhaften Erdulden des Opfers und in der Reue verwandeln sich Leiden, Bosheit und Schuld in Erlösung und Offenbarung. Er ringt sich zu einer heiligen Auserwähltheit zum leiden durdi. In seinem Kahn fährt er dann über den ruhenden Weiher einem süßen Frieden zu, abgekehrt aller irdischen Schuldverhaftung. Es mutet wie eine Heimfahrt zu einem blauen Himmel voller Sterne an. „O Flöte des Lichtes, o Flöte des Todes“ stehen nun nebeneinander. Die Schauer des Todes werden golden und „über der Schädelstätte öffnen sich schweigsam Gottes Augen“. Und damit klingt bereits christliche Symbolik an, von Golgatha und Karfreitag, deren bleibendes Gedächtnis „Brot und Wein“ sind. „Leise steht in der dunklen Seele das Kreuz auf.“ „Von den Kirchenfenstern schauen des Todes reine Bilder.“ Sicher sind das nur entfernte Andeutungen,.„ deren Christentum nicht ganz klar ist. Aber von seinem Leben her, in den er an die Gottheit Christi und die Auferstehung glaubte, ist die Deutung solcher Stellen als Ausdruck eines tiefen religiösen Empfindens berechtigt.

Offenbarung und Untergang ist damit die Formel für das Werk Trakls, besser: Offenbarung i m Untergang. Denn diese beiden stehen nidit sosehr neben- oder nacheinander, sondern: im Erleiden des Untergangs, im eigenen Leid und im Mitleiden mit Welt und Menschheit, im Opfern und Geopfertwerden bricht die Offenbarung auf. Auch seine Dichtung bedeutet ihm, eine ihm ganz persönlich erklingende, erlösende Offenbarung im Untergang seines Lebens. Dieser Untergang steht im Vordergrund, in seinem Leben wie in seiner Dichtung. Ein eigentlidies Exsultet scheint er nicht zu kennen. Er selbst nennt einmal sein Werk „eine unvollkommene Sühne“. Vielleicht ist das dem Gefühl seines gläubigen Protestantismus zuzuschreiben? Im gleichen Sinne klagt das eine von den beiden letzten Gediditen: „Schwester stürmischer Schwermut / Sieh ein ängstlicher Kahn versinkt / Unter Sternen, / Dem schweigenden Antlitz der Nacht.“

Vieles an Trakl ist und bleibt ungeklärt Es ist wie mit Dürers rätselhafter Melancholie, bei deren schwierigem Deutungsversuch Waetzoldt einmal erkennt, daß alle analysierenden Zergliederungen nur eine Staubschicht auf das Kunstwerk zu legen drohen, denn „der Vorgang der künstlerischen Schöpfung . .. wird immer rätselhaft bleiben, weil er sich in seelischen Schichten abspielt, in die eine noch so genaue Inhaltsanalyse nicht eindringt.“

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